Vielen Dank für Ihr
Interesse am Thema „Depression“. Die folgenden Anregungen können es
Ihnen erleichtern, mit depressiven Menschen hilfreich umzugehen.
Depressionen ernst nehmen
Depressionen – wie
sie hier gemeint sind – haben nichts mit „Missstimmung“ oder „Nicht-Gut-Drauf-Sein“
zu tun, wie sie fast jeder aus dem Alltag kennt. Depressionen im
medizinischen Sinn sind schwere Erkrankungen, die in Extremfällen tödlich
enden können. Denn einige der Betroffenen leiden so stark, dass sie
ihrem Leben selbst ein Ende setzen. Verzichten Sie deshalb auf
Bagatellisieren („Das ist doch nicht so schlimm“, „Damit kommt
doch jeder klar“). Anderenfalls wird sich der depressive Mensch
unverstanden fühlen und seine Stimmung wird weiter sinken. Betrachten
Sie Depressionen als Leiden, die genau so einer raschen und gezielten
Behandlung bedürfen wie eine schwere Infektion oder ein komplizierter
Knochenbruch. Depressionen sprechen umso besser auf eine Therapie an,
je früher die Behandlung beginnt. Lange Vorlaufzeiten scheinen eine Gewöhnung
(Einschleifen von Gewohnheiten) und damit die Festschreibung des
Krankheitszustandes zu begünstigen. Helfen Sie deshalb dem Depressiven,
einen geeigneten Arzt bzw. Psychotherapeuten oder in schweren Fällen
eine Fachklinik zu finden. Unterstützen Sie ihn dabei, die
erforderliche Behandlung durchzuhalten, was den oft antriebslosen und
pessimistischen Kranken schwer fällt. Achten Sie darauf, dass der
Patient die Therapie nicht zu früh beendet, da sonst Rückfälle
drohen.
Hoffnung vermitteln
Weisen Sie den
Patienten immer wieder darauf hin, dass Depressionen heute zu den
besonders erfolgreich behandelbaren seelischen Erkrankungen gehören.
Bei richtiger Therapie zeichnet sich meist schon innerhalb weniger
Wochen eine sichtbare Besserung ab (bei Antidepressiva mitunter schon
nach 14 Tagen bis 3 Wochen). Lassen Sie sich durch die
typischerweise pessimistischen Äußerungen und dauernden Zweifel des
Kranken nicht entmutigen. Auch wenn sich ein antidepressiv wirkendes
Medikament als ungeeignet erweisen sollte, ist dies kein Grund zur
Resignation: Heute gibt es glücklicherweise eine Vielfalt
unterschiedlicher Antidepressiva (und Kombinationsmöglichkeiten mit
anderen Arzneimitteln), so dass man für die meisten depressiven
Menschen eine für sie geeignete Medikation finden wird. Unterstützen
Sie den Patienten dabei, täglich einen Stimmungskalender zu führen und
darin die Stimmungsverbesserungen zu protokollieren. Da depressive
Menschen dazu tendieren, „alles schwarz zu sehen“, fällt es ihnen
oft schwer, Behandlungsfortschritte zu erkennen.
Auf Appelle, Vorwürfe, „kluge Ratschläge“,
Ablenkungsmanöver, Urlaubsempfehlungen und Überredungsversuche
verzichten
Traktieren Sie den
Patienten nicht mit moralischen Appellen (wie „die Haltung zu
bewahren“, „sich zusammenzureißen“, „anderen das Leben nicht so
schwer zu machen“). Denn depressive Menschen haben nicht die Kraft,
den Grauschleier über ihrer Gefühlswelt zu durchdringen und
eingeschliffene Denkmuster zu verlassen. Appelle nagen nur an dem
ohnehin meist schwachen Selbstwertgefühl. Sie verstärken
Selbstzweifel, Mut- und Hoffnungslosigkeit. Auch die oft schon
vorhandenen Schuldgefühle werden durch Vorwürfe unnötig vermehrt.
Meist wirkungslos sind außerdem Ablenkungsmanöver, Vergnügungsangebote,
Zerstreuungsbemühungen und gut gemeinte Vorschläge, die Welt doch zu
genießen. Der Kranke will durchaus das Schöne im Leben sehen, aber er
kann es einfach nicht. Ähnliches gilt für Hinweise darauf, wie gut es
dem Kranken eigentlich gehe und daß er sich doch darüber freuen müsse.
Solche Bemerkungen vertiefen nur den Graben zwischen dem Kranken und
Ihnen. Eher selten profitieren Depressive von Urlauben, wo sie sich
meist auch nicht freuen können und zudem häufig Schwierigkeiten haben,
Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen. Nicht selten kommt in der
fremden Umgebung auch schwere Angst hinzu.
Den Kranken entlasten und wertschätzen
Viele Depressive fühlen
sich innerlich leer, erschöpft und kraftlos. In dieser Situation benötigen
sie einen Schonraum (zum Beispiel in Form einer anfänglichen
Krankschreibung) und Zuwendung. Obwohl die Patienten durch ihr Verhalten
(Antriebslosigkeit, Pessimismus, Abwertung der eigenen Person und
anderer) nicht gerade dazu einladen, sind sie auf die Wertschätzung
durch ihre Umwelt besonders angewiesen. Oft hungern sie regelrecht
danach. Halten Sie sich deshalb vor Augen, dass sich das für die Umwelt
oft schwierige Verhalten des Kranken nicht gegen Sie persönlich
richtet, sondern Ausdruck bzw. Folge der Grundkrankheit ist. Geben Sie
dem Patienten Rückmeldungen, die diesem helfen, sein Selbstbild zu
verbessern. Seien Sie dabei ehrlich, da der Kranke möglicherweise Ihre
Aufrichtigkeit bezweifeln wird.
Zu Aktivität und Bewegung einladen
Stimmung und Verhalten
beeinflussen sich gegenseitig. Deshalb hilft es Depressiven oft, überhaupt
etwas zu unternehmen (statt sich zurückzuziehen). Der Kranke kann sich
dann davon überraschen lassen, dass es wieder bergauf geht. Denn ähnlich
wie Feuer und Wasser sind auch gesunde Aktivität und Depression
miteinander eher unvereinbar. Erläutern Sie dem Kranken diesen
Zusammenhang und motivieren Sie ihn, aktiver zu werden und so seine
Stimmung zu verbessern. Stellen Sie gemeinsam mit ihm eine möglichst
umfangreiche Liste gut zu bewältigender und angenehmer Aktivitäten
zusammen (Beispiele: Spazierengehen, Fahrrad fahren, Wohnung aufräumen,
im Garten arbeiten, Lesen, Freunde anrufen, sich schön anziehen usw.).
Machen Sie anfänglich mit, wenn Ihnen dies möglich ist. Weisen Sie den
Patienten auch auf die antidepressive Wirkung von sportlicher Bewegung
hin. Offensichtlich setzt Sport im Körper Botenstoffe frei, die
entspannen und die Stimmung verbessern. Besonders bewährt haben sich
Ausdauersportarten wie Walking (schnelles Gehen), Jogging, Radfahren,
Schwimmen usw. Auch hier motivieren Sie den Kranken am ehesten, wenn Sie
sich mit ihm gemeinsam bewegen.
Wirkung des Kranken auf sich selbst
erkennen
Machen Sie sich
folgende Zusammenhänge klar und reagieren Sie dadurch gelassener: Durch
anhaltendes Klagen (aus Ihrer Sicht vielleicht: „ewiges Jammern“
oder „An-Klagen“) drückt ein depressiver Menschen seine Aggressivität
aus. Sie ist zwar gegen den Kranken selbst gerichtet, kann aber bei
Ihnen Ungeduld und Ablehnung (Gegenaggression) hervorrufen. Die
dauernden Selbstanklagen, ein gekränkt-trotziges Verhalten, der Appell
zu helfen und die gleichzeitigen Misserfolge des Helfers, werden Sie
irgendwann wütend machen und enttäuschen. Während Sie die Heftigkeit
Ihrer Gefühle erleben, spürt der Depressive oft gar nichts mehr. Die häufig
wiederholte Feststellung „Mir hilft nichts“ interpretieren Sie
vielleicht als „Auch Du kannst mir nicht helfen“. Damit stellen
Depressionen die Frustrationstoleranz
von Familienangehörigen, Freunden, Bekannten, Ärzten und anderen
Helfern oft erheblich auf die Probe. Vielfach müssen sie den Ärger
aushalten, den der Depressive eigentlich gegenüber anderen wichtigen
Bezugspersonen hegt. Nicht selten werden auch Personen der Umwelt
regelrecht „angesteckt“, so dass sich diese ebenfalls vorübergehend
gefühlsleer, wert-, interesse- und willenlos fühlen. Wenn depressive
Menschen sich anklammern, nehmen sie anderen oft die „Luft“. Um
nicht zu ersticken, gehen diese dann auf Abstand und verstärken damit
die Angst des Depressiven, abgelehnt und allein gelassen zu werden.
Lebensentscheidungen vertagen
Hüten Sie sich davor,
den Patienten zu grundlegenden Entscheidungen (Kündigung,
Berufswechsel, Heirat, Umzug, Scheidung, Kinderkriegen, bedeutsame Kauf-
oder Verkaufsentscheidungen) zu drängen. Der Kranke ist nicht in der
Lage, vernünftig abzuwägen und zu urteilen. Wenn er später solche
Entscheidungen bereut, wird er möglicherweise noch depressiver.
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