Washington/Wien (pte/08.11.2005/11:54)
- Es wäre wohl zu einfach Depressionen lediglich auf ein Ungleichgewicht
des Botenstoffs Serotonin zu reduzieren. Experten des Lake Erie College
of Osteopathic Medicine in Bradenton, Florida,
http://www.lec.edu
kritisieren jedenfalls die irreführende Werbung für
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Prozac, Zoloft und Paxil.
Manchen mögen diese Medikamente bereits geholfen haben, allerdings gebe
es auch gegenteilige Effekte, berichtet das Wissenschaftsmagazin Nature
http://www.nature.com.
Die Medikamente werden auch in Europa unter anderen Handelsnamen
verkauft.
Die Kritik der Wissenschaftler um Jonathan Leo kommt in einem denkbar
günstigen Moment. Erst vorige Woche veröffentlichten Forscher der
Columbia University im Wissenschaftsmagazin Science eine Studie wonach
es in Tierversuchen mit SSRI-Antidepressiva bei Jungen zu Störungen im
Erwachsenenalter gekommen war. Die Jungtiere, die mit Prozac behandelt
wurden, zeigten nämlich ähnliche Symptome wie Erwachsene mit einem
Gendefekt, bei dem der Serotonintransport gestört ist. Leo kritisiert
nun, dass der Mechanismus hinter diesen Wirkungen der Medikamente
weitgehend unklar sei. Ein Serotonin-Defizit konnte niemals eindeutig
als Ursache für Depressionen nachgewiesen werden. Versuche durch eine
Verringerung des Serotonins im Hirn künstlich eine Depression
einzuleiten scheiterten.
Leo meint außerdem, dass andere Studien gezeigt haben, dass Übungen,
Placebo und Medikamente, die nicht auf den Serotonin-Haushalt wirken,
mindestens genauso gut - wenn nicht sogar besser - auf die Psyche wirken
als die SSRI. Zustimmung bekommt Leo dabei auch von Irving Kirsch von
der University of Plymouth. "Die Wirksamkeit anderer Antidepressiva
scheint mindestens genauso gut zu sein", so der Experte. Dass ein reines
Stoffwechsel-Ungleichgewicht zu einer psychischen Erkrankung führt,
zweifeln sehr viele Experten an.
"Es ist erfreulich, wenn es seitens der Schul- und Labormedizin Einwände
gegen diese vereinfachte Darstellung gibt", erklärt die Wiener
Psychiaterin Bettina Reiter gegenüber pressetext. Neben den SSRI werden
auch Noradrenalin-Wiederaufnahme Inhibitoren (NARI), die vergleichbar
sind, am häufigsten gegen Depressionen und Verstimmungen verschrieben.
Reiter kritisiert zudem, dass es über das Internet praktisch einfach
sei, diese "mood stabilisers" zu erwerben. "Es steht außer Zweifel, dass
die Neurotransmitter eine Rolle bei der Steuerung von Gefühlen spielen.
Allerdings sind diese Zusammenhänge wesentlich komplexer", so die
Medizinerin, die auch Geschäftsführerin der Akademie für
Ganzheitsmedizin
http://www.gamed.or.at in Wien ist. Der Trend sich nicht mit den
tatsächlichen Problemen zu beschäftigen, sondern ein gut verträgliches
Medikament einzunehmen, das die Stimmung verändert, sei letztlich nicht
zielführend. "Alle tun allerdings weiterhin so, als ob es in Ordnung
wäre", so Reiters Kritik im pressetext-Gespräch. (Ende)
Quelle: pressetext nachrichtenagentur GmbH |