„Annehmen“ („akzeptieren“) kann zu den
großen „Lösungen“ dieser Welt gehören, bei denen wir uns von bisherigen
Haltungen regelrecht „lösen“. Wir hören dann auf, unser Schicksal, andere
Menschen oder besondere Situationen in dieser Welt weiter in unserem Sinne
verändern oder sogar bekämpfen zu wollen. Das Ergebnis kann wohltuender
innerer Frieden und eine unerwartete Fülle neuer Energie sein. Das
Gegenteil von Annehmen ist Ablehnen, was oft dauerhaft Kräfte verschlingt.
„Annehmen“ hat nicht zwingend etwas mit
„Resignieren“, „Aufgeben“ oder Verdrängen zu tun, obwohl dies durchaus
Vorläuferstadien sein können. Menschen, die Vorgegebenes annehmen können,
sind keine „geborenen Verlierer“. Denn der Begriff beinhaltet eine „aktive
Komponente“, bei der es darum geht, zum eigenen Schicksal, einer anderen
Person oder einer Lebenssituation bewusst (also durchaus souverän) „ja“ zu
sagen, sich mit dem Angenommenen zu versöhnen, es künftig zumindest
wohlwollend zu tolerieren oder sich ihm sogar vertrauensvoll hinzugeben.
Selbstverständlich muss und kann nicht alles
in dieser Welt angenommen werden. Das gilt insbesondere für offenkundiges
Unrecht oder Leid und Leiden, die sich bei entsprechendem Einsatz lindern
lassen. Auch dort, wo es ohne Unrecht und Leid Dinge zu verbessern gibt,
ist sofortiges Annehmen nicht unbedingt der sinnvollste Ansatz. Der
Vorschlag, unser Schicksal, andere Menschen oder besondere Situationen
anzunehmen, will uns davor schützen, unnötige (!) Energien zu verausgaben
und dort nicht mit unserem Schicksal zu hadern, wo wir an die Grenzen
unserer Einflussmöglichkeiten stoßen. Im Grunde geht es um eine Variante
der Lebensempfehlung, die z.B. von den Anonymen Alkoholikern vertreten
wird: „Gott gebe mir die Gelassenheit hinzunehmen, was nicht zu ändern
ist, den Mut zu ändern, was ich ändern kann, und die Weisheit zwischen
beidem zu unterscheiden.“ Damit wird klar, dass „Wahrheit“ und „Lösung“
nichts allgemein Verbindliches sind, sondern im Einzelfall immer wieder
neu gefunden werden müssen.
Wer Unveränderliches akzeptiert, statt sich in
fruchtlosen Veränderungsbemühungen zu verausgaben, gewinnt dadurch
eindrucksvoll an Lebenszeit und Energie. Umgekehrt eröffnet Veränderung,
wo sie möglich ist, ganz neue Lebensperspektiven. Beide Einstellungen
verhindern Depressionen bzw. heilen diese. Erstellen Sie mit Hilfe der
folgenden Tabelle eine aktuelle Bilanz von denjenigen, Ereignissen und
Situationen sowie Erlebens- und Denkweisen, die Sie momentan belasten.
Entscheiden Sie dann, ob Sie diese Phänomene lieber akzeptieren (= A) oder
verändern (= V) sollten. Bedenken Sie dabei, dass Gedanken, Gefühle und
Empfindungen automatisch entstehen und nicht aktiv veränderbar sind.
Ereignissen, Situationen, Erlebens- und Denkweisen, die mich belasten |
A |
V |
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Wer sich für das „Annehmen“ entscheidet, wird
insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich häufig das „Änderungsparadox“
erleben. Der bislang heftig kritisierte und zu Änderungen aufgeforderte
Mitmensch wird Veränderungen oft erst in dem Augenblick erstmalig in
Erwägung ziehen, wo er sich wahrhaft angenommen fühlt. Denn jetzt muss er
sich nicht mehr vorrangig verteidigen und kann sich im Vertrauen auf das
erlebte Angenommensein erstmalig selbst in Frage stellen. Der Versuch, das
„Änderungsparadox“ als Kunstgriff zu benutzen und über eine scheinbare
Akzeptanz den anderen doch indirekt zu beeinflussen, wird meist schief
gehen: Denn Menschen spüren in der Regel, ob sie wirklich akzeptiert
werden oder ob ihnen nur etwas vorgemacht wird, weil man sie manipulieren
möchte.
Die vielleicht schwierigste Form des Annehmens
ist die Selbstakzeptanz. Hier gilt es, eigene Schwächen, Bedürftigkeiten
und fest eingebrannte Denk-, Verhaltens- und Gefühlsmuster als wohl
dauerhaft zur eigenen Person gehörig anzuerkennen. Zwar machen uns Heiler,
Motivationstrainer und Gesundheitsindustrie permanent Hoffnungen („alles
ist veränderbar, man muss es nur wollen“); diese Botschaften dienen aber
oft mehr der Umsatzsteigerung als dem Wohl der über kurz oder lang
enttäuschten Adressaten. Manche „Lebenserfahrungen“ haben uns tatsächlich
so stark „geprägt“, dass wir mit der „Prägung“ auf Dauer leben müssen.
Akzeptanz kann in allen Lebensphasen helfen,
besonders aber in mittleren und späteren Lebensabschnitten. Hier gilt es
sich einzugestehen, dass eben doch nicht alles im Leben machbar oder
erreichbar ist und dass der bisherige Lebensweg eben der uns mögliche war.
Wer sich in dieser Erkenntnis selbst annimmt, eröffnet sich die besten
Möglichkeiten, um die verbleibende Wegstrecke in (innerem) Frieden und mit
Genuss zu beschreiten und so die wahrhaft eigenen Potenziale doch noch
auszuschöpfen. Nicht selten werden dann noch Erfahrungen möglich, die man
sich durch „Erkämpfen“ nie hätte erschließen können.
Stand: 30.08.2009 |