Die Aufgabe, eine Geschichte
von sich selbst zu schreiben ("Wie ich mir den Ablauf einer Woche in fünf
Jahren vorstelle"), erleichtert es, Lebensziele und Lebenssinn zu
entwickeln. Herr G. H. (Name
geändert) hat mir gestattet, als Beispiel einer solchen Phantasie seine
Erzählung hier zu veröffentlichen. Auch an dieser Geschichte besticht, dass sie
sehr konkret formuliert ist. Herr G. H. litt unter
"Angst und Depression"
– Eine Woche im Leben von G. H. im Jahre 2012 –
Plötzlich
springt leise der Radiowecker an. Es ist Montagmorgen, 6:00 Uhr und ich
brauche einen Moment, um zu realisieren, dass die Hintergrundgeräusche
nicht in meinen Traum gehören. Sandra streichelt mir zärtlich durch die
Haare, wie immer ist sie früh morgens viel wacher als ich und signalisiert
mir nun, dass auch meine Zeit gekommen ist. Dummerweise bin ich auch viel
zu schwach, um einen Ausweg zu suchen, deshalb streiche ich ihr auch kurz
durch das Gesicht und durch die Haare, ein paar Sekunden den Nacken
gekrabbelt bis ich zu dem Entschluss komme, dass ich gleich wieder
einschlafe, wenn ich nicht sofort aufstehe.
Mit noch
etwas kraftloser Bewegung steuere ich auf die Schlafzimmertüre zu und kurz
nachdem ich die Tür geöffnet und das Flurlicht eingeschaltet habe setzt
sich das Haus in Bewegung: Die beiden Kater sind nun wie auf Kommando auch
wach, Lilly kommt müde aus seinem Korb des Arbeitszimmers angelaufen und
Tom kommt eilig durch die Katzenklappe im Erdgeschoss herein und die
Treppe hoch gelaufen, um dabei zu sein. Selbst nach Jahren fällt mir immer
wieder auf, wie die Katzen eine unglaublich angenehme Ruhe verbreiten, auf
der anderen Seite aber auch ganz klar ihre Zuneigung zeigen: Während Sam
mich "laut erzählend" mit dem Kopf anstößt krabbele ich gerade Tom durch,
der sich vor mir auf den Boden geworfen hat. Dies ist einer der schönsten
Momente des Tages, für einige Minuten ist die Uhrzeit und auch (fast)
alles Andere vergessen. Laut brummend begleiten die Katzen mich bis ans
Kinderzimmer, wo unser Sohn Max derzeit noch tief schläft.
Also schnell
runter in die Küche, die Katzen füttern und einen kleinen Moment inne
halten, um zuzuschauen, wie die beiden Racker sich über ihre Futternäpfe
hermachen. Normalerweise mag ich Schmatzen ja nicht besonders aber das
hier ist irgendwie anders.
Mehr
automatisch als wach steuere ich wieder die Treppe hinauf, um mich der
morgendlichen Dusche zu widmen, nachdem ich mich rasiert habe. Sandra
wundert sich immer, dass ich morgens so lange brauche, aber das Gefühl,
unter dem warmen Wasserstrahl zu stehen ist einfach schön und erst hier
kommen meine Lebensgeister zu mir zurück. Und damit wird natürlich auch
der Kopf wach: Was ist heute für ein Tag? Was steht heute an? Was wollte
ich noch mal alles machen? Kurz sortiere ich den Tag, heute habe ich einen
"normalen" Bürotag, ein paar Meetings, nichts Besonderes also. Dafür aber
heute Abend Karatetraining mit Max.
Noch ein
bisschen in Gedanken versunken kommt Sandra ins Bad flötet mir ein
freundliches "Guten Morgen mein Schatz" zu und geht lachend wieder raus,
als ich so tue, dass ich mich darüber echauffiere, dass wieder einmal alle
meine weiblichen Groupies in mein Badezimmer gelassen werden. Schließlich
ist mein Gesang und mein Flöten unter der Dusche ... na ja, sagen wir mal
"unverwechselbar", aber auf jeden Fall dafür geeignet, es auch in
geschlossenen Räumen regnen zu lassen.
Nach dem
Duschen schnell abtrocknen und anziehen, aus dem Kinderzimmer sind auch
schon die ersten Geräusche zu hören, also schnell mal rüberschauen. Ich
glaube, Max singt irgendwie besser als ich aber zumindest haben wir beide
großen Spaß dabei, wenn wir mitten in der Sommerzeit Weihnachtslieder
anstimmen und Sandra uns mal wieder aufklärt, dass wir wohl den Kalender
nicht richtig verstanden haben. Ich nehme Max zur Begrüßung in den Arm und
wir erzählen uns, was wir heute Nacht geträumt haben. Dann lege ich ihm
noch eine andere Hörspielkassette ein, vielleicht hat Max ja noch die
Möglichkeit, ein bisschen weiterzuschlafen, bevor er in den Kindergarten
muss. Vielleicht wünsche ich mir aber auch nur weiterzuschlafen, Max hat
auf jeden Fall auch zur frühen Stunde schon Faxen im Kopf, an schlafen ist
da wohl nicht zu denken.
Wenn ich
früher aufstehe als Max, dann frühstücken wir normalerweise nicht
zusammen. Sandra hat in der Küche schon ein paar Brote vorbereitet. Dafür
bedanke ich mich gerne mit einem dicken Schmatzer und stelle bei solchen
Kleinigkeiten immer wieder fest, dass ich sehr froh bin, dass wir
normalerweise sehr schnell unsere Rollenverteilung finden. Aber irgendwie
stellen wir das zu selten fest, deshalb nehme ich Sandra noch mal in den
Arm und sage ihr, dass ich sie total süß finde und sehr dankbar bin, dass
wir zusammengefunden haben. Und ich will sie auch nie nie nie mehr
umtauschen. Dass ihr das auch so geht beruhig mich ungemein und so kann
ich mich dem weiteren Tagesablauf widmen.
Anziehen,
schnell noch zwei Wasserflaschen einstecken und dann geht es nach einer
kurzen Verabschiedung von der ganzen Familie mit dem Auto ins Büro. Eine
halbe Stunde Fahrt und die neue CD von Pink und ich bin immer wieder
überrascht, wie Musik nochmals dazu beiträgt, die Stimmung zu heben. So
stören mich noch nicht mal mehr die Autofahrer, die anscheinend heute
einen nicht so guten Start in die neue Woche hatten.
Im Büro kann
ich in aller Ruhe die letzten Rückmeldungen von Freitag zusammenfassen,
denn um 9.00 Uhr startet das wöchentliche Teamleiter-Meeting. In meiner
Eigenschaft als selbständiger Unternehmensberater habe ich bei meinem
Kunden die Funktion, internationale Geschäftsprozesse im Unternehmen
einzuführen und dies bedarf natürlich regelmäßiger Abstimmung mit den
anderen Teams.
Während ich
meine 53 neuen Emails durchgehe kommt nun schon der dritte Kollege in mein
Büro, der mir seine Sorge mitteilt, dass der Zeitplan viel zu eng ist und
die Unterstützung durch andere Teams zu schlecht ist. Also das gleiche wie
immer. Ich frage den Kollegen, ob konkrete Aktivitäten derzeit gefährdet
sind (Antwort: keine) oder in wieweit ich ihn konkret unterstützen kann.
Darauf antwortet er, dass er diese Woche gerne spontan einige Tage Urlaub
machen möchte, aber nicht weiß, ob das konkret machbar ist. Aus meiner
Sicht spricht nichts Wesentliches dagegen, deshalb vereinbaren wir eine
entsprechende Vorgehensweise, wie wir sicherstellen, dass keine Termine in
Verzug geraten und ich kann mich frohen Mutes ins Meeting begeben.
Mittlerweile
besteht meine Tätigkeit vornehmlich daraus, anderen zuzuhören, manchmal
Dinge weiterzuleiten und ein bisschen übergreifend die Fäden in der Hand
zu halten. Oft entsteht ohne großartig nachvollziehbaren Grund eine
Aufregung, die es zu "versachlichen" gilt und nachdem ein bisschen Ruhe
eingekehrt ist zeigt sich, dass es dazu eigentlich gar keinen sachlichen
Hintergrund gab.
Ob man für
diese Art der Koordinierungstätigkeiten aber immer externe Unterstützung
braucht oder man das vielleicht nicht auch durch einen anderen Umgang mit
seine Mitarbeitern und eine andere Firmenkultur mit deutlich weniger
Beratern schaffen kann bleibt eine Frage für die Zukunft. Vielleicht mag
ich mich dieser Frage ja zukünftig mal widmen und meine Tätigkeit in
Richtung der Management-Beratung ausbauen?
Im Moment
habe ich aber einfach Spaß daran, mich mit meinen Kollegen
auseinanderzusetzen und konstruktive Lösungen zu entwickeln. Dass das auch
recht gut funktioniert zeigen die Feedbackbögen, die ich regelmäßig von
meinem Auftraggeber und einigen ausgewählten Kollegen ausfüllen lasse. Und
ich liebe es noch immer, wenn jemand mit einer sehr speziellen Aufgabe
oder Frage Hilfe sucht – und ich ihm genau das anbieten kann. So gehen die
Dinge wirklich gut von der Hand.
Das war
früher nicht so einfach. Da haben mich verschiedenste Störungen aus dem
Konzept gebracht. Heute gehören Störungen dazu: von einem Moment auf den
anderen wechsele ich dann mit meiner Aufmerksamkeit hin zum Auslöser und
höre erstmal zu oder beobachte die Situation, bevor ich versuche,
angemessen zu reagieren. Früher habe ich oft schroff reagiert und andere
Menschen abgewiesen, aber eigentlich braucht man das gar nicht. Es gehört
einfach dazu und seit ich ein bisschen besser zuhöre und bezogen auf die
aktuelle Situation gemeinsam mit Anderen Lösungen entwickele kann ich
selber auch mal zum "Störer" werden. Zum Beispiel wenn Max krank wird und
Sandra selber wichtige Termine hat, so dass ich selbst spontan die Arbeit
schon mal "liegenlassen" muss. Sofort bieten sich die Kollegen dann an,
die wichtigsten Aktivitäten zu übernehmen. Wie Du mir, so ich Dir.
So vergehen
die Arbeitstage insgesamt recht angenehm. Selbst dann, wenn ich einmal
mehr nicht verstehen kann, warum große Firmen mehr Aufwand in die
Qualitätssicherung als in die Kernprozesse investieren. Aber auch die
Lösung dieses Rätsels muss ich wohl vertagen.
Halbwegs
pünktlich gegen 17:00 Uhr beginnt der Feierabend. Seit ich meine Verträge
auf Tagessatzbasis abschließe ist ein pünktliches Arbeitsende eigentlich
relativ gut gewährleistet. Gut für mich, denn Max versteht nicht immer,
warum ich jeden Tag wegfahren muss. Auf jeden Fall bekommt er nun
"Vorfahrt", vielleicht finde ich ja später noch ein bisschen Zeit, den
Expertenbeitrag für's Online-Forum zu erstellen, den ich diese Woche
fertig stellen soll.
Zuhause
angekommen werde ich von Max fast über den Haufen gerannt. An schlechten
Tagen ist er immer ein bisschen enttäuscht, wenn ich ihn nicht so wild
begrüßen will, aber heute wirbele ich ihn mal wieder durch die Luft. Auch
eine Art des Krafttrainings, aber nicht wirklich länger als ein paar
Minuten durchzuhalten. Deshalb muss ich ihn bald herunterlassen, damit er
mir auch erzählen kann, was er heute alles erlebt hat. Dafür darf ich ihm
dann auch erzählen, was ich heute erlebt habe. Er wundert sich immer
darüber dass man für so etwas auch noch Geld bekommt. Vor allem, weil er
viel lieber Feuerwehrmann werden will und nicht "so langweilig im Büro"
sitzen möchte.
Ich müsste
eigentlich mal wieder schauen, wo in nächster Zeit Tag der offenen Türe
bei einer Feuerwehr ist. Aber erstmal schicke ich Max mit einem
freundschaftlichen Klaps ins Wohnzimmer, damit ich mich umziehen gehen
kann. Schnell in ein paar bequemere Sachen reinhüpfen, denn jetzt müssen
wir Gas geben: Schnell gemeinsam eine Kleinigkeit Essen, weil um 18:00 Uhr
das Karatetraining beginnt, auf das Max sich schon wieder die ganze Woche
freut. Zugegeben: Ich auch. Ich wollte so etwas schon immer mal machen,
habe dazu aber nie die Zeit gefunden. Oft ist das zwar ein Rumtoben auf
dicken Sportmatten, aber es macht trotzdem Spaß und gibt mir in solchen
Situationen das besondere Gefühl, für meinen Sohn da zu sein.
Und weil so
viel Aktion natürlich Hunger macht müssen wir unbedingt auf dem Rückweg
noch mal an der Pommesbude anhalten und was für die gute Figur tun. Aber
... pssst! ... bloß nichts der Mama erzählen!
Zuhause
kommen die beiden Katzen auch wieder zur Begrüßung angelaufen, obwohl sie
lange Zeit einen Bogen um Max gemacht haben. So können wir aber wenigstens
zusammen mit vier Händen die beiden Katzen durchkrabbeln, bevor es dann so
langsam mal weiter in Richtung Kinderzimmer geht. Bettzeit. Natürlich gibt
es immer wieder Diskussionen, dass es viel zu früh sei, keiner müde ist
und schlafen sowieso schädlich. Aber meistens hilft das Angebot einer
Geschichte zum Einschlafen. Manchmal auch nicht, dann muss ich mich halt
dazulegen.
Heute reicht
die Geschichte zum Einschlafen. Anschließend gehe ich ins Wohnzimmer
runter, wo Sandra gerade mit Notebook bewaffnet im Internet surft. Das mit
dem Expertenbeitrag habe ich ihr noch gar nicht gebeichtet. Irgendwie
dumm, denn die letzten Tage hatte ich auch keine Zeit für sie. Erst das
Fachforum am Freitag, bei dem ich an einem Workshop zum Thema
prozessorientierte EDV teilgenommen habe und noch einiges nachzuarbeiten
hatte, dann das Wochenende, an dem ich viel mit Max draußen war und meine
Eltern besuchte, um den Rechner zu reparieren.
Als ich sie
frage, was sie denn heute Abend Nettes machen möchte kommt auch prompt das
Unvermeidliche: "Weiß nicht, aber Du hast ja eh keine Zeit". Stimmt
irgendwie, aber vielleicht ist nun der Zeitpunkt passend, um die
Prioritäten zu verändern. Also unterhalte ich mich mit ihr, dass ich noch
den Fachbeitrag schreiben müsste, aber ich kann das auch verschieben, wenn
ich irgendwo anders ein passendes Zeitfenster dafür finde. Das findet sich
auch recht schnell, denn morgen und übermorgen Abend ist noch ein bisschen
Zeit frei. Dafür machen wir heute dann lieber eine Flasche Rioja auf und
Spielen eine Runde Kanaster. Max kommt auch nur zweimal runter, weil er
doch nicht so richtig schlafen kann. Also ab zu uns auf die Couch und ich
kann ihn ja später mit hoch tragen, wenn wir selber ins Bett gehen.
Zum Glück
ist bald Wochenende und dann kann ich wieder einige liegen gebliebene
Dinge aufarbeiten und ein bisschen Zeit mit Max und Sandra verbringen... |