Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Vertrauen in den Wandel
(Einmal "böse" - immer "böse"?)


Hand aufs Herz: Können Sie sich vorstellen, einem Menschen abzunehmen, dass er sich innerlich entscheidend geändert hat oder sich ab sofort gründlich ändern will? Diese Frage stellt sich beispielsweise fast immer, wenn ein Strafgefangener in die Freiheit entlassen wird. Bereut er wirklich seine Taten und wird er künftig anders mit dem Leben umgehen? Kann man ihm jetzt vertrauen und in ihm einen „Anderen“ sehen als vor der Inhaftierung? Kann ich es dem Partner abnehmen, dass er wirklich künftig zu mir stehen wird und sich definitiv für mich entschieden hat, wenn er mich zuvor mehrfach betrogen hat und beispielsweise fremd ging?

Wie schwer es unserer Gesellschaft fällt, einem Menschen seinen vorgezeigten Wandel abzunehmen, zeigt sehr eindrucksvoll die Geschichte des ehemaligen Hauptstürmführers der SS Dr. Hans Ernst Schneider (deren Einzelheiten ich dem Buch von Arnold Retzer: Passagen. Systemische Erkundungen verdanke). Der Erwähnte hatte über „Turgenjew und die deutsche Literatur“ promoviert und brachte es dann während der Nazizeit in Heinrich Himmlers Abteilung „Ahnenerbe“ bis zum Leiter der „Zentralstelle des Germanischen Wissenschaftseinsatzes“. Nach dem Krieg nahm Hans Ernst Schneider den Namen „Hans Schwerte“ an, heiratete erneut seine Frau, adoptierte seine Kinder, promovierte nochmals neu in Germanistik und habilitierte sich dann mit einer Arbeit über „Faust und das Faustische – ein Kapitel deutscher Ideologie“. Die letztgenannte Leistung verschaffte ihm den Ruf eines Begründers einer kritischen Germanistik. Im weiteren Verlauf seines Berufslebens wurde er zuerst Rektor und nach seiner Emeritierung Ehrensenator der Technischen Universität Aachen. Außerdem betätigte er sich als Beauftragter der nordrhein-westfälischen SPD-Landesregierung für den Wissenschaftsaustausch mit Belgien und den Niederlanden und erhielt das Bundesverdienstkreuz. Während seiner amtierenden Zeit als Professor stand er für die Verbindung von neuem Linksradikalismus und altem Liberalismus, was von Studenten respektiert oder sogar verehrt wurde. Erst Anfang Mai 1995 wurde er als „Hans Ernst Schneider“ enttarnt, was die Öffentlichkeit empörte und die Mehrheit dazu bewegte, sich von ihm zu distanzieren. Schwerte wurden der Professorentitel, die Beamtenrechte und das Bundesverdienstkreuz entzogen und alle bis dahin bezahlten Beamtenbezüge zurückgefordert. Waren diese Reaktionen (noch) angemessen?

Vor einem ähnlichen Dilemma stehen fast alle Menschen irgendwann in ihrem Leben, wenn sie von einer wichtigen Bezugsperson enttäuscht werden. Der damit verbundene Zweifel wird noch lange spürbar sein, auch wenn die betreffende Bezugsperson fest ihren Veränderungswillen bekundet und diesen sogar durch Taten unterstreicht. Sicherlich werden uns Handlungen eher überzeugen als bloße Worte, aber wie das vorgestellte Beispiel zeigt, kann selbst nach Jahrzehnten eindrucksvollen Wandels das gesamte Kartenhaus rasch in sich zusammenstürzen. Wir alle wissen, dass auch der „Täter“ weiß, was er getan hat, dass es also in diesem einen Teil gibt, der noch immer über das Wissen und die Handlungsmöglichkeiten von früher verfügt. Woran wir letztlich zweifeln, ist, ob der ehemalige „Täter“ in der Lage ist, künftig auf diese Handlungsmöglichkeiten dauerhaft zu verzichten. Hier ist vor allem Vertrauen gefragt. Und dieses hängt letztlich von dem Vertrauen ab, das wir zu uns selbst haben: Denn jeder von uns beherbergt unterschiedliche Teile, die oft mit sehr widersprüchlichen Handlungsimpulsen und Werten verbunden sein können. Wenn wir selbst bezweifeln, ob wir die eigenen „bösen“ Anteile dauerhaft kontrollieren und einen von uns geplanten Entwicklungsweg konsequent einhalten können, werden wir auch anderen Menschen gegenüber eher skeptisch sein: Denn wenn ich mir schon selbst nicht vertrauen kann, wie soll ich dann erst recht einem Fremden trauen?

Der Fall des Hans Schneider alias Hans Schwerte verdeutlicht, dass es mitunter mehr von der Umwelt abhängt als vom Betroffenen selbst, ob ein Wandel als vollzogen gilt. Hier reichte selbst ein halbes Jahrhundert neuen und bis dahin öffentlich akzeptierten Lebens nicht aus, um Hans Schwerte als rehabilitiert zu betrachten. Schwertes Kommentar „Ich habe mich doch selbst entnazifiziert“ stieß auf taube Ohren. Möglicherweise mangelte es der Öffentlichkeit auch an offenkundiger Reue und ausreichender Sühne.