Im offenen Vollzug
Sonntagmorgen. Ein Blick
aus dem Fenster kündet von einem herrlichen Sommertag. Auch der
Wetterbericht verspricht weder Schauer noch Gewitter. Es gibt keinen
Grund, einen solchen Tag in den vier Wänden zu verbringen.
Wie wäre es mit einer
Radtour oder einem Ausflug in die Eiffel und einer schönen Wanderung? Man
könnte auch in der Nähe einen Spaziergang machen und dann mit Freunden
...
Liegen auf dem
Schreibtisch nicht doch noch viele dringend zu erledigende Aufgaben?
Vielleicht wird es viel zu heiß im Laufe des Tages und außerdem, an
einem solchen Tag sind viel zu viele Leute unterwegs, das macht dann auch
keinen Spaß. Sicher kommt man auf dem Rückweg in irgendwelche Staus, die
Lokale werden furchtbar voll sein und der Service schlecht, in den Reifen
der Fahrräder ist wenig Luft, vielleicht gibt es doch ein Gewitter, die
Wege in der Eiffel sind bestimmt noch voller Schlamm nach all dem Regen
der letzten Wochen, mein Rücken schmerzt heute auch wieder mehr als
sonst. Wie wär´s mit einem gemütlichen und entspannten Tag im Garten?
Schöner kann es in der Eiffel auch nicht sein. In der Woche muss man ja
sowieso jeden Tag raus und für die Umwelt ist es auch besser, das Auto
mal stehen zu lassen.
Sonntagmorgen. Ein Blick
aus dem Fenster kündet von einem tristen November-Tag mit
Schmuddelwetter. Der ideale Tag um den lange hinausgeschobenen
Museumsbesuch nachzuholen und abends dann ins Kino oder Theater zu gehen.
Im Museum wird es heute
furchtbar voll werden, die Ausstellung geht am nächsten Wochenende zu
Ende, bei dem Andrang sieht man eh´ nichts von den Exponaten, und dann
die Parkplatzsuche und das Anstehen an der Kasse.
Für die
Theatervorstellung bekommen wir doch keine Karten mehr. Ob der Film
wirklich so gut ist? Die Freunde, die den Film empfohlen haben, hatten in
dieser Beziehung schon immer einen absonderlichen Geschmack. Die Kritik in
der Zeitung ist auch nicht gerade berauschend. Übrigens läuft heute
Abend ein ganz toller Krimi im Fernsehen.
Sonntagmorgen. Es hat die
ganze Nacht geschneit. Das Telefon klingelt. „Habt ihr Lust mit in die
Eiffel zu fahren? Wir kennen dort einen grandiosen Wanderweg, der sogar
sonntags geräumt wird, ein echter Geheimtipp, kennt kaum einer. Anschließend
könnten wir ...
Mist. Hört sich wirklich
klasse an. Ich hätte schon Lust. Aber die Fahrt dorthin. Und dann eine
lange Wanderung. Womöglich merken die dann, dass mit mir nicht alles in
Ordnung ist. Möglicherweise erwischt mich gerade heute wieder eine
Attacke. Und wenn ich mit denen fahre, kann auch nicht einfach zurück,
wenn ich will, sondern bin auf sie angewiesen. Aber Lust hätte ich schon.
Ich werde jetzt schon ein bisschen unruhig, nur vom Daran-Denken. Nein,
das ist mir zu riskant. Jetzt schnell eine plausible Ausrede. Was hört
sich denn halbwegs vernünftig an. Bevor ich wusste, was sie wollen, habe
ich ja auf die Frage „Wie geht´s?“ mit „Prima!“ geantwortet; also
eine Krankheit vorzuschützen haut nicht mehr hin. Lass dir schnell was
anderes einfallen, zuviel Arbeit oder eine andere Verabredung ...
Hoffentlich haben sie mir
das abgenommen. Scheiß Lügerei. Wenn ich das noch oft mache, ruft mich
bald keiner mehr an.
Ich sehe aus dem Fenster,
sehe den Schnee, und ich sehe schwarz.
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