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Ich war 19
Jahre alt, als mein erster Angstanfall kam. Damals dachte ich noch, es
wäre mein Körper, der einfach geschwächt war, beeinflusst war, durch die
ersten Beruhigungstabletten meines Lebens. Es war im Januar 1988, ich
hatte gerade einen Klinikaufenthalt in der Psychiatrie Marburg hinter mir.
Ich hatte mich dort freiwillig einweisen lassen und bin eine Woche später
wieder gegangen.
Ich,
ein Scheidungskind, war ich im Sommer 1987 aus der gemeinsamen Wohnung
meiner Mutter und ihres Freundes ausgezogen, da ich mit ihm überhaupt
nicht klar kam. Er wollte mich nicht da haben und zeigte es auch. Doch
alleine leben konnte ich auch nicht. Ich war verunsichert, verzweifelt,
eigentlich ohne es zu merken. Ich "genoss" meine neue Freiheit, trank viel
und machte die Nacht zum Tag. Meine Lehre als Rechtsanwaltsgehilfin hatte
ich geschmissen, ich hielt mich mit Kellnern über Wasser. Als ich dann in
einer Kurzschlusshandlung ca. 60 Tabletten nahm, nicht um mich
umzubringen, sondern um meinen Hilfeschrei loszuwerden, erkannte selbst
ich, dass ich Hilfe brauchte. Ich entschloss mich, meinem Motto getreu
"Ganz oder gar nicht", in eine Klinik zu gehen. Das tat ich auch.
Es
das völlig Falsche. Die anderen Patienten dort waren alle viel älter als
ich, voll gepumpt mit Medikamenten. Ich musste abends eine
Beruhigungstablette nehmen, obwohl ich keine Schlafstörungen
hatte, doch die Ärztin, die mich
kaum kannte, ja noch nicht einmal ein Gespräch mit mir hatte, bestand
darauf. Die nächsten Tage verbrachte ich damit, meine Mahlzeiten mit
Menschen einzunehmen, die sich noch nicht mal bewusst waren, wo sie sich
befanden, musste Püppchen basteln und ansonsten saß ich in
meinem
Zimmer und las. Als ich einmal Besuch von einem Freund bekam, mit ihm 2
Stunden im Park spazieren ging, bekam ich am Abend von der Ärztin einen
Tadel, da ich mich nicht abgemeldet hätte und auch nicht gefragt habe, ob
ich denn überhaupt dürfe.
Mein
erstes Gespräch mit
der Ärztin hatte ich an
einem Donnerstag (den Freitag zuvor war ich gekommen) und es war das
reinste Fiasko. Sie sprach sehr schlechtes Deutsch, verstand also
inhaltlich kaum was ich sagte, und fragte mich fortwährend, ob ich Drogen
nähme (welches ich nie, auch heute nicht, getan hatte). Dass ich aufgrund
meiner Weigerung, zumindest eine leichte Beruhigungstablette zu nehmen,
gar nicht süchtig sein konnte, bzw. mich völlig untypisch einem
Drogensüchtigen verhielt, sah sie gar nicht.
Ich
wollte wieder nach Hause.
Doch
sie ließ mich nicht, d.h. sie wollte mich nicht lassen. Als ich nach einer
halben Stunde "Gespräch" mit ihr, anfing zu heulen, sagte sie, ich würde
ja doch selbst sehen, dass ich instabiler wäre als bei meiner
Einlieferung. Dass diese Instabilität ihrem Unverständnis und ihrer
Weigerung zugrunde lag, sah sie natürlich nicht. Doch auch selbst als sie
den Oberarzt geholt hatte, der dann in die gleiche Kerbe wie sie hieb und
der mich ja nun erst recht nicht kannte, ließ ich mich nicht erweichen, es
wurde mir immer klarer,
dass ich gehen musste! Und
sie hatten ja auch keine Möglichkeit mich festzuhalten, da ich ja auch
freiwillig gekommen war....ich ging also. Zwei Tage später hatte ich
meinen ersten Angstanfall.
Aus
heutiger Sicht war dieser noch recht harmlos. Ich fühlte mich einfach
"komisch", nahm eine der von der Ärztin mir mitgegebenen Tabletten (ich
weiß bis heute noch nicht, was es war) und der erste Anfall kam. Ich
hyperventilierte, lag schließlich, die Beine hoch, in meinem Bett - meiner
Meinung nach war der Auslöser dieses Anfalles meine Angst vor
Nebenwirkungen der Tablette.
Doch
ich vergaß ihn schon, sobald er wieder weg war. Aber meine Probleme
häuften sich. Die Angstanfälle kamen immer öfter, in verschiedenen
Situationen, doch immer noch so "harmlos", dass ich ein normales Leben
führen konnte, arbeiten konnte und für die Anfälle immer irgendeine
"körperliche" Begründung fand.
In
den Jahren darauf entwickelte sich mein Leben relativ normal. Ich
heiratete, bekam ein Kind. Mein Mann, ein sehr liebenswürdiger Mensch,
entpuppte sich als jemand, der es gewohnt war, die Verantwortung für sein
eigenes Leben auf andere abzuwälzen. Wir hatten also das selbe
Ursprungsproblem: Angst vor der Verantwortung für das eigene Leben,
gingen nur unterschiedlich damit um. Ich saß Tag für Tag am Fenster und
wartete darauf, dass er nach Hause kam. Immer seltener geschah es, dass er
nicht in der Kneipe landete. In der Kneipe, in der wir uns auch kennen
gelernt hatten, in der Kneipe, in der auch ich gezeigt hatte:
Verantwortung? Wie komme ich dazu?
Nur
ich hatte mich geändert, wollte nun Verantwortung übernehmen. Er nicht (er
hat es bis heute nicht).
Ich
musste diese meine Veränderung mit zunehmenden Panikzuständen "bezahlen".
Ich trennte mich dann von ihm, und mir ging es wieder besser. Ich hatte
einen sehr guten Kellnerjob in einem Ausflugslokal und ich änderte endlich
meinen Freundeskreis von Menschen, die so waren wie mein Mann (und auch
ich), zu Menschen, die wirklich zu der Verantwortlichkeit und der Nähe
anderer gegenüber fähig waren.
Ich
begann meine Ausbildung zur Justizangestellten im März 1993, bei der ich
mich von Anfang an wohl fühlte. Bis dahin ging es gut.
Mein
erster Urlaub während meiner Ausbildung war im Sommer 1993. Ich fuhr meine
Tante auf Sylt besuchen, gemeinsam mit meiner Tochter. Es war ein sehr
schöner Urlaub.
Doch
schon auf der Rückfahrt mit dem Zug, holte mich dann das ein, was - aus
heutiger Sicht - unausweichlich war: Ich bekam einen so starken
Angstanfall im Zug, dass ich in Itzehoe aussteigen musste und einen
Notarzt rufen ließ. Die Ärztin in dem Itzehoer Krankenhaus bestätigte, was
ich eigentlich schon wusste: Ich war nicht körperlich krank, es handele
sich um psychische Probleme. Ein Freund holte mich dann
dort ab, und ich
war endlich wieder zu Hause, in meiner sicheren "Höhle".
Doch
die Angst ließ mich nicht gehen.
Es
wurde immer schlimmer. So schlimm, dass ich mir eines Abends heißes Öl
über das Bein gegossen habe, wieder ein Hilfeschrei, damit endlich was
passierte, wahrscheinlich, damit ICH selbst endlich erkannte, dass ICH
etwas tun musste. Natürlich stellte ich diese Verletzung als Unfall dar
und wurde dementsprechend behandelt.
Letztendlich war es so, dass ich an einem Abend, 1 1/2 Jahre nach der
Trennung, meinen Nochehemann, nachts anrief (ich wusste ja, dass er die
Trennung noch immer nicht wollte), da ich sogar Panik davor hatte, zu
weinen. Ich war so in Panik, dass er und mein bester Freund, den ich auch
angerufen hatte, mich in die Psychiatrie fahren mussten, da ich nicht
weiter wusste.
Diesmal war und bin ich unendlich dankbar, dass ich dort gelandet bin.
Denn der Arzt, zu dem ich dann kam, erkannte sofort, was mit mir los war
und auch ich war endlich bereit, es einzugestehen, der Leidensdruck war
endlich groß genug. Er empfahl mir eine Psychotherapeutin, die auch in der
CDS schon gearbeitet hatte, und bei der ich glücklicherweise sofort einen
Termin bekam.
Als
erstes weigerte sie sich, mir Beruhigungstabletten zu geben. Denn diese
Tabletten würden nur die Symptome unterdrücken, nicht aber beseitigen und
es wäre wichtig, dass ich lernte, dass die Angst nicht mein Feind ist,
sondern dass durch die Angst mir meine Seele, meine Psyche was sagen
wolle.
Durch
die Konfrontationstherapie, die sie als erstes anstrebte, ging es
mir wieder besser. Die Konfrontationstherapie die Hölle, doch sie half.
Es
dauerte nicht lange, da hatte ich die Angst als so etwas akzeptieren
gelernt was sie war: ein Hilferuf meiner selbst, dass ich an meinem Leben
was ändern musste.
Während und nach der Therapie ging es mir einigermaßen gut, das heißt, es
ging mir sehr gut, was meinen Alltag, mein allgemeines Leben, die
Lebensfreude, anging, doch weg waren die Ängste nicht.
Ich
konnte sie akzeptieren als das, was sie waren: Verhaltensstörungen. Erst
hatte ich auch Angst vor dem Wort: Was sollte das heißen, ich bin
verhaltensgestört? Doch langsam lernte ich, dass damit einfach gemeint
war, dass ich mich falsch verhielt, wenn ich in einer "normalen" Situation
befand, dass meine Seele einfach "falsch" reagierte, mir damit etwas sagen
wollte. Nur was, wusste ich nicht. Ich konnte auf kein Trauma in meiner
Kindheit zurückgreifen,
wie Missbrauch, Schläge
etc.
Bis
ich erkannte, dass ich das sehr wohl konnte: Ich war 15, als meine Eltern
sich trennten und meine Mutter war so fertig, dass ich das Gefühl bekam,
ich müsse die Verantwortung für mich jetzt alleine tragen, manchmal sogar
auch für sie mit. Ich fand das natürlich damals toll, fühlte mich
erwachsen dabei. Ich war allerdings oft "krank", ging nicht zur Schule,
verkroch mich mit einem Buch im Bett, sehnte mich nach dem Gefühl, welches
ich als Kind hatte: Mama kommt und kümmert sich um Dich.....meine
Kompensierung für das frühe Verantwortung übernehmen.
Dass
dieser Schritt in das Erwachsensein zu schnell, zu brutal über mich
gekommen war, erkannte ich erst in der Therapie. Auch, dass es nicht
mein Vater war, der mir Probleme machte, zu dem ich seit der Scheidung ein
immer brüchigeres Verhältnis hatte, bis gar keins mehr da war, wurde mir
klar. Meine Mutter war es. Denn sie fing an, nachdem sie wieder "sicheren
Boden" unter den Füßen hatte, mich zu erziehen, doch das ließ ich
natürlich nicht mehr zu. Jahrelang war ich gefühlsmäßig auf mich alleine
gestellt gewesen und nun wollte sie mich mit 22 noch erziehen?
Im
Laufe der Therapie lernten meine Mutter und ich, dass ich nun mal die
Verantwortung für mich selbst tragen muss. Sie hörte - fast - ganz damit
auf, sich meinetwegen die "Nacht um die Ohren zu hauen" und ich hörte auf,
sie für alles, was mit mir war, zur Verantwortung zu ziehen. Heute haben
wir ein sehr gutes Verhältnis und sie erkennt auch meine Krankheit an,
ohne dass es da jemanden geben muss, der die Schuld daran trägt....
Die
Jahre darauf lebte ich mein Leben relativ angstfrei. Ab und zu kamen noch
Panikanfälle, doch ich lernte, entweder damit umzugehen oder sie zu
vermeiden (Mein Standartspruch während eines solchen Anfalls war
"Lass' sie zu. lass' sie zu......"). Auch der Alkohol half mir in
gewissem Maße. Handelte es sich um Dinge, die Abends stattfanden, so
konnte ich ja ein bis zwei Bier vorher trinken, dann ging es. Das war mir
immer noch lieber, als irgendwelche Medikamente zu nehmen.
Doch ging ich auch
mit Alkohol sehr vorsichtig um, so trank ich z.B. Vormittags, Mittags,
nicht.
Ich
ging eine neue Beziehung ein, mit einem Mann, den ich schon aus meiner
Anfangsangstzeit kannte, also wieder so jemand, der die Verantwortung auf
andere - dann also auf mich - abschob. Ein Rückfall? Sicher, ich lebte
wieder in meinem alten Verhaltensmuster. Ich bekam von ihm meine 2.
Tochter, nach deren Geburt ich mich sofort von ihm trennte.
Ich
erlebte 2 glückliche Jahre mit meinen beiden Kindern. Ich kam sehr gut
klar mit meinem Leben, zum ersten Mal auch mit dem Alleinesein. Es hat
mich befreit.
Dann
lernte ich 1999 meinen jetzigen Lebensgefährten kennen. Er war ganz
anders, er war gar nicht in mein bisheriges Verhaltensmuster einzubringen.
Ich war begeistert! Ein solcher Mensch, ein Mensch, der Verantwortung
übernahm, interessierte sich für mich!
Es
dauerte nicht lange, da fasste ich den Entschluss, zu ihm zu ziehen, 500
km von zu Hause weg, mit zwei Kindern. ich fühlte mich toll dabei. Viele
bewunderten mich, "Ich könnte das nicht", sagten sie zu mir. Das gab mir
Auftrieb! Ich konnte also auch etwas, etwas, das anderen Schwierigkeiten
machte! Ich, die ich oft aus Angst vor der Angst noch nicht mal
einkaufen gehen konnte, tat etwas, was sich viele nicht zutrauten!
Doch
ich merkte bald, dass ich vom Regen in die Traufe gekommen war: Hatte ich
bis dahin doch immer die Möglichkeit gehabt, mein eigenes "Versagen" auf
einen anderen umzuwälzen, so war das jetzt nicht mehr der Fall. Früher
hatte ich mein Märtyrer-Dasein genießen können, mein Standartspruch war:
"klar habe ich das und das falsch gemacht, aber x ist ja noch viiiiiiiiiel
schlimmer, er hat doch......". Jetzt saß ich in der Falle. Meine
eigenen Unzulänglichkeiten waren nicht mehr zu verstecken, nicht mehr
vor MIR selbst zu verstecken. Es war ja nicht so, dass mir jemals jemand
Vorwürfe gemacht hätte, außer ich mir selbst Perfektionismus dem eigenen
Selbst gegenüber ist wohl eine Begleiterscheinung unserer Krankheit, wie
ich endlich mal erkennen musste.
Ich setzte mich derart unter Druck, alles richtig zu machen. Man
bedenke, die Situation war so: Ich lebte in SEINER Wohnung, die er alleine
bezahlte, es waren nicht SEINE Kinder, die er da miterzog. Das alles
versuchte ich durch andere Dinge wieder zu kompensieren. Ihm also
"Dankbar" zu sein, dafür, dass er die Kinder akzeptierte. Natürlich ging
das alles nicht von ihm aus, sondern von mir. Dass ich dabei dann hin und
wieder "ausflippte", mich betrank und dann ziemlich unmöglich verhielt,
war auch wiederum unvermeidlich, denn ich war ja nicht ich selbst. Er
konnte damit natürlich nicht umgehen, da er ja nicht wusste, was da so
Verworrenes los war. Er sah nur den Alkohol und dass ich dann "aus mir
heraus ging". Diesen Alkohol wollte er mir dann verbieten, was bei mir
natürlich wiederum eine Reaktion auslöste: Ich bin erwachsen, kann auch
mal was trinken ohne auszuflippen, ausflippen tue ich ja nur weil er ja
doch.....usw.
Ich begann wieder zu arbeiten - und lebte auf.
Ich
arbeite in einer Abteilung, in der ich sofort Anschluss fand. Es gibt
keine Hierarchie, alle Duzen sich und selbst dem Chef kann man seine
Meinung sagen, ohne dass er den Chef "raushängen" lässt. Mit einem
Kollegen verstand ich mich besonders gut. So gut, weil er mir so ähnlich
war. Und wie es kommen musste, bekam mein Freund raus, dass ich diesen
Kollegen ihm in gewissen Dingen vorzog. Ich hatte kein Verhältnis im
üblichen Sinne mit dem Kollegen und ich liebte meinen Freund, doch dass es
meinem Freund wehtat, wenn er in irgendeiner Internet-Newsgroup lesen
musste,. dass dieser Kollege mich wohl besser verstand als er....das tut
ihm natürlich unendlich weh (Ok, mein Freund hatte dies natürlich nur
heraus gefunden, weil er mir auf die verbotenste Weise nachspioniert hat,
aber das ist sein Problem und jetzt auch nicht das Thema).
Es
gab seit dem einen Streit nach dem anderen. Mal flippte er aus, mal ich,
immer aber kam dieser Kollege zur Sprache, der mir schon lange nicht mehr
das bedeutete wie einen kurze Zeit lang mal.
Zu
der Zeit war es mit der Arbeit wie es sonst zu Hause war: Sie war meine
Höhle, mein "sicherer Ort".
Doch
die Liebe und das grundsätzliche Verstehen, die Gemeinsamkeiten, die bei
meinem Freund und mir doch gegeben waren, änderten das Blatt wieder: Zu
Hause war es, wo ich hingehörte, es wurde wieder meine Höhle.
Auf
der Arbeit änderte sich etwas. Der Kollege, den ich auch da noch als
Freund betrachtete, zog sich von mir zurück, als er erfuhr, dass ich
weiter mit meinem Freund zusammen war. Die Freundschaft, die einzige
Freundschaft, die ich bis dato in meiner neuen Heimat gefunden hatte,
zerbrach. Es war sehr bitter für mich. Denn ich hatte erwartet, dass er es
akzeptiert. Zumal es nichts sexuelles zwischen uns gab, er war selber
glücklich verheiratet. Also hatte ich wieder mal jemandem das Gefühl
gegeben, ich wäre jemand, den man sich "erziehen" kann, ja, aller
Wahrscheinlichkeit nach hätte er mich sogar gerne als kleines
"Verhältnis". Ich war wie gesagt sehr enttäuscht, auch von mir selbst.
In
dieser Zeit, Anfang 2002, kehrten auch die Panikanfälle gehäufter und
stärker wieder. Doch noch schaffte ich es, sie in der mir meiner
altbekannten Weise, anzunehmen, sie zu überstehen, auch wenn es immer
schwerer wurde.
Ich las nach wie vor
Bücher, Artikel, über das Thema "Angstkrankheit", jedoch ohne es zu nahe
an mich ranzulassen.
Wir
zogen von der Wohnung meines Freundes in ein Haus. Die Wohnung war zu
klein, außerdem war es noch immer "seine" Wohnung. Das Haus aber war uns
gemeinsam.
Der
Umzug war der pure Stress, die Hitzewelle begann.
Dann
kam der Tag, an dem ich den ersten Panikanfall bekam, den ich nicht mehr
unter Kontrolle bringen konnte. Den ganzen Tag schon, es war ein Freitag,
redete jeder den ich auf der Arbeit traf davon, wie heiß es doch wäre und
wie schrecklich dieses Schwitzen wäre....Nach Feierabend lief ich also wie
immer zur S-Bahn, schon mit unterschwelligem Angst-Gefühl in mir, was aber
ja nichts neues war. Diesmal kam ich nicht weit. Schon auf dem Weg zur
S-Bahn wurde die Panik so stark, dass ich zu rennen begann. Als ich mich
an dem für mich einzigen Ort befand, der einigermaßen sicher für mich
schien, dem Zwischenstock zwischen Fußgängerzone und S-Bahnhof,
"flüchtete",
traf es
mich mit voller Wucht.
Ich
hyperventilierte, brachte es zum ersten Mal seit Jahren nicht unter
Kontrolle. Ich lief auf und ab, immer von einer Ecke in die andere....ich
wollte mich setzen, wollte laufen, ich wollte um Hilfe bitten, wollte nur
meine Ruhe.....es war ein einziges Desaster.
Letztendlich schaffte ich es, durch gelernte Entspannungsübungen, durch
Gegenmittel gegen die Hyperventilation, den Anfall zu überwinden, setzte
mich völlig erschöpft in die S-Bahn und fuhr nach Hause.
Am
Montag drauf schaffte ich es auch, mit der S-Bahn zur Arbeit zu fahren.
Doch ich kam nicht mehr zurück. Schon im Büro begann die Panik nur bei dem
Gedanken, jetzt wieder "da" hin zu müssen. Mir war klar, dass die
Vermeidung begann, doch ich konnte nicht dagegen an. Schließlich holte
mich mein Freund, 4 Stunden nachdem ich Feierabend hatte, ab.
Am
nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zur S-Bahn, doch ich wusste
eigentlich von Anfang an, was ich tun würde: Ich rief vom S-Bahnhof aus
meinen Chef an und meldete mich krank.
Seitdem bin ich krankgeschrieben (seit Juni 2002).
Ich
brachte natürlich erst mal andere Gründe an, Kreislauf und so.
Nachdem ich 4 Wochen krankgeschrieben war, überwies mich meine neue
Hausärztin an eine Neurologin, bei der ich dann damit anfing, was ich nie
wollte: medikamentöse Therapie. Aber was blieb mir anderes übrig? Einen
Therapieplatz für eine Verhaltenstherapie
bekam ich so
schnell dies Mal nicht.
Dieses Medikament (Doxepin - ein Antidepressivum) machte mich in erster
Linie nur müde. Ich schlief mindestens 12 Stunden am Tag, zumindest die
ersten Tage. Wie ich schon sagte, bei mir gilt "ganz oder gar nicht", also
hielt ich mich streng an die ärztliche Anweisung.
Es
wurde nicht besser, im Gegenteil, das Einkaufen fiel mir selbst in
Gegenwart meines Freundes immer schwerer. Ich wurde weiter
krankgeschrieben,
obwohl ich wusste, dass dies die
"Vermeidung"
noch förderte, doch das war egal, ich konnte einfach nicht!
Bei
meinem nächsten Arztbesuch, ca. 8 Wochen nach Anfang der Therapie mit
Doxepin, verschrieb mir meine Ärztin zusätzlich noch Buspiron und ich
fand im Internet eine Selbsthilfegruppe. Endlich, endlich änderte sich
etwas!
Ich
lernte Menschen kennen, denen es genauso geht wie mir, die genauso
lebenslustig sind und sich durch die Krankheit auch gefangen fühlen.
Noch eines merke ich:
Teilweise habe ich, bei Begegnungen mit anderen Angstpatienten, das
Gefühl, schon sehr viel einsichtiger zu sein und die Zusammenhänge besser
verinnerlicht zu haben. Doch leider hapert es auch bei mir, immer wieder
mal an der Anwendung aller Möglichkeiten. Dies vertieft meine
Niedergeschlagenheit dann noch. Wenn ich doch schon so weit bin, mich und
meine Angst so gut kenne, akzeptiere als das, was sie ist, mein Freund und
nicht mein Feind, WARUM geht es mir dann noch immer so schlecht?
Vor
einer Woche kam die Wende: Ich begann das Buspiron zu nehmen, noch am
selben Tag, ging es mir besser, ich war zum ersten mal seit Wochen,
Monaten, gelöst, ausgeglichen, gut gelaunt. Nanu? Das konnte doch wohl
nicht an den Tabletten liegen, die haben eine Wirksamkeit von 3 Wochen!
Aber es ist so, es ging/geht mir besser.
Mir
wurde langsam klar, dass die Gespräche, und war es auch fast nur über
das Internet, viel brachten. Durch die Probleme anderer, auf die ich ja
auch eingehe, erfährt man auch viel über sich selbst. Man schreibt
jemandem, dem es schlecht geht, und bemerkt auf einmal, dass man ja damit
auch an sich selbst
schreibt, zu sich selbst spricht!
Ich
bin noch immer nicht wieder soweit, dass ich anderen Menschen gegenüber
treten kann, in meiner mir eigenen Offenheit, meiner Lebenslust,
Lebendigkeit. Dies ist alles irgendwie "auf Eis gelegt" worden. Wenn ich
meine Entspannungsübungen mache, dann möchte ich einen Garten sehen,
blühend, mit strahlendem Sonnenschein. Was ich sehe ist ein Garten, der
zwar Blumen hat, die aber sind mit einer dicken Eisschicht überzogen. Auch
meine Angst, die sich mir als Wolf darstellt, redet noch nicht so mit mir,
wie ich es möchte. Ich habe keine Angst mehr vor dem Wolf, aber er sagt
eben noch nichts, es kommt noch keine Unterhaltung mit ihm zustande.
Ich
hatte niemals Angst vor anderen Menschen, ich bin ein sehr
kontaktfreudiger Mensch. Doch jetzt ist das so; wahrscheinlich aber auch
bedingt durch die dreimonatige Isolation, in die ich mich selbst rein
gebracht habe. Jetzt habe ich Angst. Ich kann noch nicht einmal meine
Arbeitskolleginnen anrufen, die doch das größte Verständnis aufgebracht
hatten für mich.....
Aber
ich werde es schaffen!
Ich will es schaffen!
Ich will, ich will, ich will, ich werde, ich werde, ich werde!
Keiner kann mir dabei helfen, außer mir.
Geh Du vor"
sagte die Seele zum Körper. "Auf mich hört er nicht, vielleicht hört er
auf Dich." "Ich werde
krank werden, dann wird er auf Dich hören." sagte der Körper zur Seele.
von Ulrich
Schaffer
C. K.,
September 2002 Natürlich freue ich mich auch über eine
Mail an mich persönlich, ich werde so schnell es geht antworten:
Angsthasen@web.de )<<Meine
Homepage lautet:
www.angsthaeschen.de ( = Internet-Selbsthilfegruppe).
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