Viele
Menschen, wenn nicht sogar die meisten, erleben sich immer wieder als
Opfer ihrer Gedanken (z.B. "Das kannst du nicht." "Du solltest
besser..." "Andere werden von dir denken..."). Rund um die Uhr „plappert“ es innerlich. Dabei
sind die inneren Vorschläge und Kommentare eher selten hilfreich. Zu
dieser Situation passen die Ergebnisse einer Studie an 250.000 iPhone-Besitzern. Letztere wurden wahllos zu unterschiedlichen
Zeitpunkten angerufen und danach befragt, womit sie sich gedanklich
gerade beschäftigen. Ergebnis Rund die Hälfte war in Gedanken
„woanders“, also nicht im „Hier und Jetzt“, sprich bei dem, was sie
gerade taten. Interessanterweise fühlten sich diese Menschen deutlich
unwohler als diejenigen, bei denen sich Denken und Tun deckten. Unter
ihren Gedanken leiden besonders Personen, die von Ängsten, Zwängen oder
Depressionen betroffen sind.
Nicht nur
diese Zielgruppen, sondern vermutlich jede Frau und jeder Mann würden
dauerhaft von einer „Praxis“ profitieren, die Prof. Dr. Sabine Bobert in
ihrem Buch „Mystik und Coaching mit MTP – Mental Turning Point®“
beschreibt. Ausgehend von alten christlichen Meditations- bzw.
Kontemplationstechniken hat die
evangelische Theologin ein Konzept entwickelt, das insbesondere auch
gestressten Menschen zu mentaler und emotionaler Ausgeglichenheit und
innerer und äußerer Autonomie verhelfen kann. Die Vorschläge sind so
formuliert, dass selbst spirituell wenig interessierte Menschen daraus
Nutzen ziehen können.
Drei Arten
von Übungen bilden die Basis des Konzepts. Bei ihnen geht es weniger um
Denkinhalte oder Denkabläufe, sondern um das tägliche und konsequente
Praktizieren bestimmter Verhaltensweisen, die auf Dauer neue
Erfahrungen vermitteln und so verändernd wirken. Je eine Übung gilt der
Entwicklung des WILLENS, der Pflege eines positiven GEFÜHLS und einem
souveräneren Umgang mit dem dauernden und kaum kontrollierbaren DENKEN.
Die
Willensübung zielt darauf ab, sich des eigenen Willens zu bemächtigen
und dadurch autonomer zu werden, sich also weniger fremd steuern zu
lassen. Psychotherapeuten würden sagen, dass auf diesem Weg vermutlich
das Erleben von „Selbstwirksamkeit“ verbessert wird. Als „Willensübung“
dienen sehr einfache und möglichst zweckfreie Handlungen (sonst wäre der Wille
nicht gefordert), die man jeden Tag zu bestimmten Uhrzeiten durchführt.
Diese gibt man sich selbst vor und hält sie anschließend möglichst
konsequent ein. Beispiel: Um 10 Uhr 45, 13 Uhr 30 und 19 Uhr 20 zupft
man sich am rechten Ohrläppchen. Diese Übung gilt es dann Wochen und
Monate beizubehalten, was in der Regel gar nicht einfach ist, dafür aber
Willen (und Konsequenz) nachhaltig schult.
Bei der
Gefühlsübung geht es darum, gezielt ein Gefühl von Liebe, Frieden oder
Ruhe erzeugen zu können. Als Ausgangspunkt dienen in der Regel (meist
bildhafte) Erinnerungsszenen aus dem eigenen Leben, in denen man eines
dieser Gefühle erlebt hat. Dieses Gefühl wird dann täglich so erinnert,
dass es wieder mit allen fünf Sinnen erlebbar wird. Anfangs ist es schon
ein Erfolg, das betreffende Gefühl für wenige Minuten zu spüren. Im
weiteren Verlauf wird es dann gelingen, immer größere Teile des Alltags
in diesem Gefühl zu verbringen. Während es zu Beginn sinnvoll sein kann,
sich einen ruhigen Moment für das Wiederbeleben des Gefühls zu
ermöglichen, macht es später Sinn, gerade in unruhigen Augenblicken zu
üben und so den jeweiligen Moment emotional zu verwandeln. Es empfiehlt
sich, sich auf ein einzelnes Gefühl zu konzentrieren, bis dieses tief
spürbar und problemlos aufrufbar ist, und erst dann weitere Gefühle
einzuüben.
Die
Gedankenübung soll helfen, sich vom analytischen und differenzierenden
Denken (dem „Affengeist“, wie man im Buddhismus sagen würde) zu
distanzieren. Dabei wird am grundsätzlichen Nutzen eines vernünftigen
Denkens nicht gezweifelt !. Am besten gewinnt man gesunden Abstand zum
Denken, wenn man konsequent
mit Hilfe eines „Mantras“ übt, das man formelhaft jeden Tag so oft wie
möglich wiederholt. Solche Mantren können weltanschaulich neutral sein
und beispielsweise nur aus dem Wort „Liebe“ bestehen oder kurze positive
Formeln umfassen wie „Liebe umgibt mich“, „Alles ist gut“ oder „Alles
ist eins“. Für Menschen mit christlichem Hintergrund haben sich Formeln
wie „Jesus Christus“ oder „Jesus Christus, erbarme dich meiner“ seit
Hunderten von Jahren bewährt. Jeder Interessent kann und sollte selbst
ausprobieren, welche Formel für ihn am besten „passt“ und ein Gefühl von
Stimmigkeit auslöst. Es ist wichtig, dass die Formel möglichst frei von
Bildern ist, damit keine konkreten Erwartungen erzeugt oder bestimmte
Suggestionen damit verbunden werden. Nur so kann die Denkübung Neues
ermöglichen, etwa eine angenehm überraschende Wachheit der Sinne, ein
tiefer innerer Frieden oder ein völlig neues Bewusstsein von sich
selbst. Das Wiederholen („Beten“) der Formel hilft, den „Filter“ unseres
antrainierten klassischen Denkens zunehmend besser erkennen und dann
auch verblassen zu lassen. Teilweise hat es sich bewährt, die Formel
anfangs zu murmeln oder sie auch mit dem Atmen zu verbinden (sowohl in
Ruhe als auch in Bewegung, etwa beim Joggen). Prof. Bobert ermutigt
ausdrücklich dazu, insbesondere die vielen „Standby-Zeiten“ im Alltag
für diese Übung zu nutzen (etwa beim Warten an der Supermarktkasse).
Störende Einflüsse von innen oder außen sollten mit einem gelassenen „Es
ist, wie es ist“ registriert, aber keinesfalls „bekämpft“ werden. Dies
gilt auch für Widerstände oder unangenehme Körperempfindungen, die man
lieber „Willkommen heißen“ sollte. Ein solches Vorgehen fördert eher das
„Ganzwerden“, also die „Heilung“, als das häufig praktizierte Verdrängen,
Ignorieren oder Abspalten.
Dieser Text
kann und will nur ein „Appetitmacher“ sein. Wer sich auf das Konzept
einlassen möchte (und dies kann fast jedem empfohlen werden), sollte
sich nicht scheuen, in das erwähnte Buch hinein zu schnuppern. Darin
beschreibt Frau Bobert in sehr verständlicherweise Weise das praktische
Vorgehen mit vielen Beispielen und Erläuterungen. Da es sich um das Werk
einer evangelischen Theologin handelt, liegt der Schwerpunkt auf Wissen
und Gedanken der christlichen Tradition. Wer sich mit solchem Kulturgut
schwer tut, wird möglicherweise die Lektüre nicht so genießen können,
wie diese es verdient hat.
Quelle:
Sabine Bobert: Mystik und Coaching mit MTP – Mental Turning Point®.
Vier-Türme-Verlag 2011. ISBN 978-3-89680-518-8. 235 Seiten. Euro 19,95
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