Dieser Text wendet sich
an „Fortgeschrittene“, die sich mit dem Thema
„Angst wegatmen –
Hinweise zur Atementspannung“ bereits ausgiebig befasst und damit
auch gute Erfahrungen gesammelt haben. Denn wer die befreiende Wirkung
des Atmens kennt, dem leuchtet meist unmittelbar ein, dass der „Zauber
befreienden Atmens“ in vielerlei Hinsicht wirken kann. Dieser Text lädt
Sie ein, nicht nur Angst, sondern auch andere belastende Gefühle
gleichsam „wegzuatmen“ und damit Ihre Möglichkeiten der Selbstregulation
zu erweitern.
Der diesem Ansatz zugrunde
liegende Gedanke steht in voller Übereinstimmung mit unserem heutigen
medizinischen Wissen: Danach ist davon auszugehen, dass ALLE unsere
Erfahrungen in komplexer Form in unserem Körper gespeichert sind. Für
unangenehme, also belastende Erfahrungen gilt, dass diese insbesondere auch
mit dem für „Stressreaktionen“ verantwortlichen „sympathischen Nervensystem“
so gut wie immer „verdrahtet“ sind. Es genügt daher meist, dass nur ein
einzelner Aspekt einer unangenehmen Erfahrung auftaucht (das kann ein Bild,
ein Geruch, eigenes oder fremdes Verhalten oder auch nur ein Traum sein), um
die „Gesamtverdrahtung“ und damit auch die damit verknüpften
„Stressreaktionen“ unmittelbar in Gang zu setzen. Wer solche unangenehmen
Verläufe unterbrechen oder dauerhaft verhindern möchte, kann sich mit Hilfe
des „befreienden“ Atmens zu einer angenehmeren „Neuverdrahtung“ verhelfen
(genauso gut könnte man auch von „Umlernen“ sprechen): Denn langsames Atmen
(sechsmal pro Minute), bei dem das Ausatmen doppelt so lange währt wie das
Einatmen, aktiviert das für Entspannung verantwortliche „parasympathische
Nervensystem“. Wichtig ist dabei, während des Atmens die unangenehmen Gefühle
so lange ausreichend „lebendig zu halten“, bis diese durch die einsetzende
„Neuverdrahtung“ (Neuverkoppelung) soweit verringert sind, dass sie kein
Problem mehr darstellen. Die gleichen „Auslöserreize“ werden dann künftig
nicht mehr zwangsläufig (!) Stressreaktionen hervorrufen können, sofern die
Neuverdrahtung ausreichend stabil genug im Körper verankert ist. Diese
Neuverankerung wird Ihnen umso besser gelingen, je bewusster, ausdauernder und
überzeugter Sie atmen, während Sie sich voll und ganz auf das langsame
nachlassende Belastungsgefühl konzentrieren und verhindern, dass Ihre Gedanken
abschweifen. Lassen Sie sich überraschen: Sie werden sich nicht nur zunehmend
entspannen, auch Ihr Herzschlag wird sich beruhigen und in seiner
„Variabilität“ zunehmen (was heute als Ausdruck von Gesundheit und Entspannung
gilt).
Kurzanleitung für „Befreiendes Atmen“:
-
Konzentrieren Sie sich voll
und ganz auf das belastende Gefühl. Stufen Sie den Belastungsgrad auf einer
Belastungsskala ein, bei der „Null“ für „keinerlei Belastung“ und „10“ für
„unerträgliche Belastung“ steht. Bleiben Sie während des Atmens unbedingt
auf das Gefühl konzentriert, insbesondere dann, wenn die gespürte Belastung
anfängt sich zu verringern. Lassen Sie sich durch nichts davon ablenken!
-
Beginnen Sie jetzt mit dem
„Entspannungsatmen“, bei dem Sie auf folgendes achten: Atmen Sie so langsam
wie möglich. Höchstens sechsmal pro Minute ein und aus. Atmen Sie möglichst
durch die Nase ein und durch den Mund aus, wobei Sie den Mund geschlossen
halten, so dass der Atem hörbar (!) gegen einen geringen Widerstand zwischen
den Lippen entweichen kann. Hören Sie dabei auf das entspannende Geräusch
(während Sie sich weiterhin auf das belastende Gefühl konzentrieren). Legen
Sie zwischen Ein- und Ausatmen eine kleine Pause ein, während beim Ausatmen
nahtlos auf das Einatmen wechseln. Besonders wichtig: Atmen Sie möglichst
doppelt so lange aus, wie Sie einatmen.
-
Begleiten Sie das Ein- und
Ausatmen mit Bewegungen von Hand und Arm. Stellen Sie sich bildhaft vor, Sie
würden beim Einatmen Luft „schöpfen“ und beim Ausatmen die verbrauchte Luft
„wegschieben“. Wechseln Sie die benutzte Hand nach 6 Atemzügen, um so beide
Körper- und Gehirnhälften in das Geschehen einzubeziehen.
-
Verbinden Sie das durch
Handbewegungen begleitete Atmen mit dazu passenden „inneren Formeln“. Sagen
Sie sich beim Einatmen „Mit jedem Atemzug schöpfe ich Energie und
Wohlbefinden“. Sagen Sie sich beim Ausatmen „Mit jedem Ausatmen weichen alle
Belastungen von mir und lasse ich meine Sorgen los.“
-
Gönnen Sie sich für diese
Übung so viel Zeit wie nur irgend möglich. Pausieren Sie erst dann, wenn der
Belastungsgrad auf der erwähnten Skala mindestens um mehrere Punkte gesunken
ist. Führen Sie die Übung bald fort, um das Belastungsgefühl möglichst bis
zum Wert „Null“ wegzuatmen.
-
Nutzen Sie diese Übung auch
in Akutsituationen, also wenn Sie mit einer für Sie völlig neuen Belastung
konfrontiert werden. So können Sie von vornherein verhindern, dass es zu
einer ungünstigen „Verdrahtung“ kommt.
Viel Erfolg!
Anmerkung:
Dass das hier beschriebene
Prinzip der „Neuverdrahtung“ offenbar „universell“ gilt, lässt sich nicht nur
den zunehmend häufiger berichteten Behandlungserfolgen mit
„Energie-Psychologie“ entnehmen (siehe dazu ein eigenes Merkblatt). Auch eine
neue Arzneimittelstudie (2009) beschreibt vergleichbare Effekte. Entscheidend
scheint für alle erfolgreichen Methoden zu sein, dass ein bisher belastender
Reiz mit anderen (neutralen, nichtbelastenden oder sogar entspannenden)
körperlichen Erfahrungen verknüpft wird, als dies bislang der Fall war.
Gelingt eine solche Verknüpfung, ist der ursprüngliche Reiz nicht mehr in der
Lage, das belastende Gefühl in seiner ursprünglichen Stärke zu aktivieren. Bei
der erwähnten niederländischen Arzneimittelstudie sahen sich die Teilnehmer
unterschiedliche Bilder an, wobei immer dann ein lauter Ton zu hören war, wenn
Fotos von Spinnen erschienen. Am nächsten Tag erhielt die Hälfte der Gruppe
den Betablocker Propranolol und die andere Hälfte ein Placebo, bevor die
Bilder erneut gezeigt wurden. Während des Betrachtens der Bilder wurde die
Schreckhaftigkeit der Teilnehmer anhand ihres Blinzelreflexes gemessen. Dieser
fiel bei den Anwendern von Propranolol signifikant geringer aus als bei den
Personen, die das Scheinmedikament erhalten hatten. Am dritten Tag wurde das
Experiment erneut wiederholt, allerdings ohne vorherige Einnahme von
Propranolol bzw. Placebo. Interessanterweise blieb der Unterschied zwischen
den beiden Gruppen weiterhin bestehen. Offenbar hatte es genügt, ein einziges
Mal unter dem Einfluss von Propranolol die „Schreckbilder“ zu betrachten, um
die damit ursprünglich verbundene Schreckhaftigkeit rasch und anhaltend zu
verlieren. Auch wenn die niederländischen Wissenschaftler dies offenbar nicht
ausdrücklich erwähnen, ist zu vermuten, dass der Betablocker beispielsweise
die Herzfrequenz senkte und die Ausschüttung von Stresshormonen verringerte,
so dass die erneute Betrachtung der „Schreckbilder“ diesmal mit angenehmeren
Erfahrungen verknüpft wurde.
Quelle: Kindt M
et al. Beyond extinction: erasing human fear responses and preventing the
return of fear. Nature Neuroscience Published online: 15 February 2009.
doi:10.1038/nn.2271 und
www.mind.org.u |