Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Beispiel einer Selbstanalyse (7)
- Therapie-Zwischenbilanz (junge Patientin, 17x2 Sitzungen) -

 

Ursprünglich dazu entschlossen eine Therapie zu beginnen, hatte ich mich, weil ich mich depressiv fühlte. Mein Leben konnte ich ohne täglichen Alkoholkonsum nicht mehr ertragen. Zusätzlich litt ich unter Zwangshandlungen. Neben abendlichen Kontrollgängen, bei denen ich überprüfte, ob ich auch wirklich den Energiesparschalter am Verlängerungsstecker ausgemacht hatte, die Tür zu war, der Klodeckel geschlossen war usw., hielt mich vor allem der Zwang wach, wieder und wieder aufs Klo zu gehen. Angetrieben wurde ich dabei von der Angst, ich würde sonst ins Bett machen (diese Angst habe ich dann mit dem Alkohol „erfolgreich“ kompensiert).

Generell hatte ich das Gefühl, den Verstand zu verlieren und „reif für die Klapse zu sein“. Kleinere Herausforderungen im Alltag oder unvorhergesehen Ereignisse überforderten mich vollkommen. Probleme mit dem Computer oder eine verspätete S- Bahn reichten aus, um mich aus der Fassung zu bringen und lösten z. T. richtige Nervenzusammenbrüche aus. Bei diesen weinte, brüllte und/oder fluchte ich und hatte zuletzt das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Nach solchen Anfällen war der Tag in der Regel gelaufen. Wenn ich nicht noch irgendetwas zu erledigen hatte, habe ich mich ins Bett gelegt und gewartet, dass der Tag vorbei geht (oder wenigstens der Abend kommt, damit ich endlich Alkohol trinken kann).

Rückblickend habe ich erkannt, dass sich all diese Probleme (oder besser „Symptome“) über Jahre entwickelt haben. Schon lange war mein Alltag von verschiedenen Süchten bestimmt. So hatte ich z.B. bereits in der Oberstufe angefangen mir „mein Leben schön zu kiffen“, phasenweise kiffte ich bereits zu dieser Zeit täglich. Auch der zusätzliche Gang auf die Toilette, vorm zu Bett gehen, hatte schon seit Jahrzehnten als Einschlafritual fest zu meinem Tagesablauf gehört. Über die Jahre ging ich dann öfter und öfter auf Klo, bis ich zum Zeitpunkt der Beginn der Therapie so oft aufs Klo ging, dass ich nicht mehr zum Einschlafen kam.

Durch die Therapie ist es mir inzwischen möglich, depressiven Tiefs und Stress- und Konfliktsituationen nicht mehr mit Alkohol zu begegnen Ein wichtiges Stichwort ist in diesem Zusammenhang der Sport, zu dem Sie mich immer wieder angeregt haben. Regelmäßiges Laufen und auch Kampfsport haben bewirkt, dass ich mich nun auch ohne Alkohol (oder andere Betäubungsmittel) ausgeglichen fühle und nicht mehr das Gefühl habe von alltäglichen Aufgaben „erdrückt“ zu werden.

Generell gilt, dass ich gelassener geworden bin, im Bezug auf unvorhergesehene Geschehnisse. Probleme mit dem Computer oder Verspätungen der DB, die meinen im inneren entworfenen „Zeitplan“ in Verzögerung bringen oder komplett umwerfen, führen nicht mehr zu „Anfällen“ Stattdessen überlege ich mir, wie ich eine andere Lösung für mein Problem finden kann bzw. nehme Dinge, an denen ich nichts ändern kann, eben so hin wie sie sind. Obwohl ich keine Zusammenbrüche mehr erleide und gelassener geworden bin, empfinde ich es aber nach wie vor als anstrengend, mit alltäglichen „Störungen“ (wie Sie es mal genannt haben)“ auseinander zu setzten..

Meine Depression habe ich überwunden. Ich versuche die Ereignisse, auch die schlechten, von ihrer positiven Seite zu betrachten. Um diese schön klingende Lebensweisheit mal etwas zu konkretisieren hier ein Beispiel: Auf dem Lebensfragebogen fragten Sie danach, was das positive an meinen Problemen sei. Als ich den Bogen vor Beginn der Therapie ausfüllte, habe ich diese Frage für einen schlechten Scherz gehalten. Inzwischen habe ich aber verstanden, was Sie mit dieser Frage bezwecken und kann sie Ihnen beantworten: Positiv an meinen destruktiven Verhalten und den Zwängen war, dass sie dazu geführt haben, dass ich jetzt eine Therapie mache. Wären sie nicht so ausgeartet, wie sie es zuletzt sind, hätte ich mein Leben lang weiter „vor mich hin vegetiert“. Im Rahmen der Therapie haben Sie mich das erste Mal mit ganz grundlegenden Fragen konfrontiert. Ich weiß nicht, ob ich mir je ernsthaft Gedanken darüber gemacht hätte, was ich eigentlich von meinem Leben erwarte und wie ich es gestalten möchte, wenn Sie mich nicht dazu angestoßen hätten.

Die Zwänge spielen nach wie vor eine Rolle in meinem Leben. Dennoch gibt es auch hier - dank der Therapie - Fortschritte. Ich habe sie soweit minimiert, dass ich nicht mehr stundenlang wach liege, sondern schnell ein- und dann auch durchschlafen kann.

Außerdem isoliere ich mich sozial nicht mehr so extrem, wie ich es lange Zeit getan habe. Die Therapie hat mir zwar einerseits die Augen dafür geöffnet, dass mich einige wichtige Bezugspersonen allein gelassen haben. Gleichzeitig aber hat sie mir die Augen dafür geöffnet, dass es auch wichtige Menschen gibt, die mich nicht im Stich gelassen haben, sondern einfach nicht da waren, weil ich sie nicht gelassen habe. Auch wenn ich immer noch dazu neige, mich zurück zu ziehen, wenn es mir schlecht geht, gehe ich im Vergleich zu letztem Jahr sehr viel mehr unter Menschen und führe endlich ein „richtiges Studentenleben“.

In der Therapie habe ich sehr viel über mich, die einzelnen Familienmitglieder und der Beziehungsstruktur zwischen den einzelnen Familienmitgliedern erfahren. Im Nachhinein erstaunt es mich (wie ich Ihnen auch einmal in einer Email geschrieben habe), dass es ein viertel Jahrhundert gedauert hat, um zu den Erkenntnissen zu kommen, zu denen ich im Verlauf der Therapie gekommen bin. Viel zu viel habe ich nicht hinterfragt, sondern als „normal“ akzeptiert (weil ich es nicht anders kannte). Offensichtlich brauchte ich erst einen Außenstehenden, der mir den Wald, den ich vor lauter Bäumen nicht sehen konnte, zeigen musste.

Zu dem Menschen, der ich heute bin, bin ich zu einem großen Teil dank unseres Familiensystems geworden. Das wichtigste Schlüsselerlebnis für die gesamte Familie war dabei der Tod meiner Mutter.... Zu diesem Zeitpunkt war ich grade mal sechs Monate alt.....

Meine Kindheit war geprägt von Stress und Chaos. Mit der Aufgabe, fünf kleine Kinder zu erziehen und gleichzeitig jeden Tag als.... zu arbeiten (vom Haushalt mal ganz zu schweigen), war mein Vater – wie es jeder gewesen wäre – überfordert.... Kindermädchen kamen und gingen. Oft bin ich auch bei verschiedenen Nachbarn „untergekommen“. Zu Hause galt eigentlich immer, dass man meinem Vater am besten helfen kann, indem man sich möglichst „pflegeleicht“ verhält.... Pflegeleicht heisst hier, dass man möglichst leise oder am Besten nicht im Haus spielte, damit mein Vater nach der Arbeit Ruhe fand. Eigene Sorgen und Probleme behielt man besser für sich oder besprach sie mit den Geschwistern, weil mein Vater schon mit so vielen anderen Dingen beschäftigt war (dabei war es nicht so, dass mein Vater sich nicht für meine/ unsere Probleme interessiert hätte, sondern vielmehr so, dass es ein persönliches Bedürfnis war, ihm nicht auch noch damit zur Last zu fallen). Wahrscheinlich habe ich bereits in dieser frühen Phase meines Lebens verlernt (oder einfach nicht gelernt) über mich zu sprechen. Schon damals konnte ich mich nicht mitteilen, wenn ich traurig oder wütend war. Ich weinte lieber heimlich abends im Bett oder verriet meinen Geschwistern den Grund für meine Tränen erst nach unzähligen Nachfragen, warum ich weinte.. Meine Aggressionen bekam meine Puppe zu spüren. Als ich irgendwann zu alt war, um mit Puppen zu spielen, richtete ich sie gegen mich selbst, indem ich mir mit scharfen Gegenständen Schnittwunden an Armen und Beinen zufügte.

Auch die Angst nahm bereits zu diesem Zeitpunkt viel Platz in meinem Leben ein. Besonders schlimm wurde sie, wenn ich schlafen sollte (was für Kinder ja nicht weiter ungewöhnlich ist). Böse Geister und Hexen, die mich in der Dunkelheit finden und töten könnten, musste xxxx verjagen, indem sie einen „Anti-Hexen und Geister Tanz aufführte“ und Schilder vor meinem Bett drapierte, auf denen stand, die Geister sollen mich doch bitte in Ruhe lassen. Besonders schlimm wurde die Angst auch immer dann, wenn sich keine Betreuung für mich finden ließ und ich für einige Stunden alleine zu Hause bleiben musste. In unserem großen Haus lauerten überall Gefahren, weswegen ich unmöglich dort bleiben konnte. So lief ich in den Garten, um dort auf die Rückkehr meines Vaters zu warten oder ließ (sehr zu seiner Freude) die Haustür sperrangelweit offen, um im Falle des Angriffs eines Geistes oder einer Hexe, sofort flüchten zu können. Ich war die einzige von uns fünfen, die man wirklich gar nicht alleine lassen konnte. Mein Vater war daher immer dazu gezwungen, mich irgendwie bei Nachbarn unterzubringen, wenn er nicht zu Hause sein konnte.

Die für meinen Vater anstrengendsten Jahre vergingen und er schaffte es trotz aller Widrigkeiten, die Familie zusammen zu halten und uns alle irgendwie „groß zu kriegen“. Die nächsten „Erlebnisse“, die mich prägen sollten, waren dann Essstörungen meiner Schwestern, die diese zu Beginn und im Verlauf ihrer Pubertät entwickelten und z. T. bis heute nicht überwunden haben. Wieder musste ich zu gucken, wie sich gerade die Menschen, die ich am meisten liebte, selbst zerstören. Und wieder stand es nicht in meiner Macht, die Situation zu verändern. Stattdessen stand ich mehr oder weniger schweigend daneben. Wirkte ich bereits in meiner Kindheit ruhig auf andere Menschen, so muss ich in meiner Pubertät extrem introvertiert gewirkt haben. Inzwischen fällt es mir zwar um einiges leichter, mich anderen Menschen zu öffnen, aber bis heute ist es so geblieben, dass in den meisten Gesprächen ich die Rolle des Zuhörers einnehme und mein Gegenüber, die des Erzählers.

In der Schulzeit fing ich dann mit dem Kiffen an. Mir gefiel das Gefühl der Sorglosigkeit, das ich erlebte, sobald der Zustand des Rausches einsetzte. Hatte ich sonst nicht viel zu lachen in meinem Leben, konnte ich mich breit über die albernsten Kleinigkeiten minutenlang totlachen. Es gab Zeiten, da kiffte ich nicht (wenige), es gab Zeiten, da kiffte ich ab und zu und es gab Zeiten, da kiffte ich täglich. Dass ich tatsächlich mein Abitur gemacht habe ist verwunderlich. Außer den Nachhilfestunden in Chemie, die mein Vater für mich organisiert hatte, machte ich bis zu dem Zeitpunkt zwei Wochen vor den Abiturprüfungen im Prinzip gar nichts für die Schule.

Da ich weder Vorstellungen von meinem Leben, noch Pläne für die nahe Zukunft hatte, beschloss ich, nach meinem Abitur es meinen älteren Geschwistern gleich zu tun und auch zu studieren (was ich aber bis heute nicht bereue). Wie der Lauf der Natur es mit sich bringt, zog etwa in dieser Zeitspanne meines Lebens ein Kind nach der nächsten aus. Da ich die jüngste bin, blieb ich als letzte übrig.

Mit dem Wunsch auszuziehen verband sich dann für mich das Problem, dass ich meinen Vater nicht alleine lassen wollte. Wie konnte ich grade der Person gegenüber das Recht einfordern mich abzugrenzen, die jahrzehntelang jegliche Privatsphäre aufgegeben hatte, um für die Kinder da zu sein? Hinzu kam ein ganz praktischer Grund, der gegen meinen Auszug sprach. So hatte sich die Gesundheit meines Vaters .... kontinuierlich verschlechtert. Mehr und mehr war er auf Hilfe bei alltäglichen Angelegenheiten angewiesen. Wie Sie es in einer der ersten Sitzungen beschrieben haben, lebte ich in einer „eheähnlichen Beziehung“ mit ihm Je mehr sich sein Zustand verschlechterte, desto auswegsloser kam mir meine Lebenssituation vor, desto mehr Alkohol trank ich. Zuerst am Wochenende in Gesellschaft, wenn ich mir regelmäßig die Nächte um die Ohren schlug. Später mehr und mehr alleine und auch unter der Woche.

War es mir aus moralischen Gründen nicht möglich auszuziehen, konnte ich es immerhin noch mit meinem Gewissen vereinbaren, mir eine „Auszeit zu nehmen“. Während eines Auslandssemesters in Großbritannien, so malte ich es mir aus, hätte ich genug Zeit neue Kraft zu tanken, um danach wieder voll und ganz für meinen Vater da zu sein. Außerdem musste ich kein schlechtes Gewissen haben meinen Vater alleine zu lassen, weil ich ja auch noch drei Schwestern habe, die sich in dieser Zeitspanne eben intensiver um ihn kümmern würden. Außerdem könnte ich mit dem Flugzeug, falls sich der Gesundheitszustand meines Vaters tatsächlich genau in dieser Zeit dramatisch verschlechtern sollte, innerhalb eines Tages wieder in Köln sein.

Wenn man so möchte, war die Zeit in Großbritannien ein weiteres wichtiges Schlüsselerlebnis in meinem Leben. Obwohl ich mehr oder weniger täglich mit meinem Vater telefonierte, habe ich dort das erste mal ein richtiges „Studentenleben“ geführt. Ich weiß noch, wie ich es genossen habe, dass sich die alltäglichen Gespräche nun nicht mehr um eptileptische Anfälle und ihre Bedeutung, Patientenverfügung, Lebenserwartung von Patienten, die nicht aufhören zu rauchen usw., sondern um Mitbewohner, die Putzpläne nicht einhielten, drehten..  Die Zeit war auch in dem Sinne ein Schlüsselerlebnis, als dass mir durch die Distanz, die ich nun im wahrsten Sinne des Wortes gewonnen hatte, bewusst geworden ist, wie schlecht es meinem Vater wirklich ging. Meine Geschwister informierten mich regelmäßig über den Zustand meines Vaters. Berichte er habe einen „guten Tag“ gehabt, er sei dreizehn Stufen gestiegen, ohne danach zehn Minuten Ruhe zu brauchen, um wieder zu Atem zu kommen, riefen aus der Distanz ein ganz neues Gefühl in mir hervor.

Am Ende des Semesters fühlte ich mich zwar nicht glücklich, dafür aber ausgeruht und entspannt. Dies sollte sich nach meiner Rückkehr schlagartig ändern. Anstatt wieder voll und ganz für meinen Vater da sein zu können, stellte ich nur wieder fest, wie unglücklich ich mit meiner Lebenssituation war. Nach kurzer Zeit befand ich mich erneut in dem Dilemma, welches ich durch meinen Aufenthalt in Großbritannien erhofft hatte, überwinden zu können. Da sich mein Vater während meines Aufenthalts in Großbritannien darüber beklagt hatte, er sei die meiste Zeit alleine und würde nicht viel „von meinen Geschwistern sehen“, schien mein Auszug  unrealistischer als je zuvor.

Stärker als je zuvor machte mir nach meiner Rückkehr auch die panische Angst meinen Vater tot aufzufinden, zu schaffen. Mehr oder weniger jeden Tag stellte ich mir die verschiedenen Möglichkeiten vor, wann, wie und wo ich die Leiche meines Vaters finden könnte. Wie Sie es auch in einer der ersten Sitzungen gesagt haben, war meine Angst berechtigt, war ich doch bereits allein bei meinem Vater, als dieser einen epileptischen Anfall erlitt und hörte ich doch (allerdings schon so lange ich denken kann) jeden Tag seinen Raucherhusten. Dieses Geräusch konnte ich irgendwann gar nicht mehr ertragen und hielt mir irgendwann immer die Ohren zu, wenn ich es hörte oder drehte die Musik möglichst laut auf. Schlimmer wurde die Angst dadurch, dass ich ja als jüngstes Kind noch zu Hause lebte, also auch tatsächlich ALLEINE sein würde, wenn ich den Leichnam fände. Je mehr Angst ich bekam, desto schlimmer wurden meine Zwänge, desto mehr Alkohol brauchte ich, um die Zwänge unter Kontrolle zu bringen. In meinem Leben drehte sich alles nur noch darum, Kontrolle zu gewinnen, während ich sie gleichzeitig mehr und mehr verlor.

Irgendwann begann die Phase, in der ich meinem Alltag nicht mehr nachgehen konnte. Der Alkohol und die Zwänge sorgten dafür, dass ich nachts nicht mehr als vier Stunden schlief. Tagsüber war ich folglich total verkatert und übermüdet. Inzwischen war ich für niemanden mehr eine Hilfe. Stattdessen benötigte ich selbst welche. Das war der Zeitpunkt als ich Ihnen die E- Mail geschrieben habe.

Im weiteren Verlauf der Therapie möchte ich in erster Linie die Therapieziele, die ich noch nicht erreicht habe, umsetzen. Insbesondere möchte ich in diesem Zusammenhang weiter an meinen Zwängen arbeiten, die mich (wenn nicht in vergleichbarer Form wie zu Beginn der Therapie) immer wieder einholen.

Ein weiteres wichtiges Ziel, das noch nicht erreicht ist, ist das mit der Nähe und den Männern (obwohl das Ziel paradox ist, weil ich einerseits sehr gerne allein bin gleichzeitig, aber auch lieber jemanden hätte, also eigentlich gar nicht weiß was ich wirklich will). Aber vielleicht liegt das ja auch einfach nur daran, dass ich noch nie richtig dauerhaft in einer Beziehung war und es mir einfach nicht vorstellen kann. Generell möchte ich offener werden. Ich bin es so leid, immer „die Ruhige“ oder „die Stille“ zu sein.

Ein weiteres wichtiges Ziel ist, endlich Kritik äußern/ streiten zu können, anstatt alles immer in mich „hinein zu fressen“ oder nur mit anderen nicht aber mit der betreffenden Person über die Dinge, die mich stören, zu sprechen.

Allgemein hoffe ich im weiteren Verlauf der Therapie durch die „spontanen Bemerkungen“ noch viel über mich zu erfahren und das was ich dabei erfahre, gegebenenfalls zu ändern.

Was ich eigentlich will, ist eine stinknormale Studentin sein.

Besonders bedeutsam für die Erkenntnis wo meine Probleme (ich weiß, Sie mögen dieses Wort nicht) herkommen, waren vor allem die ersten Therapiesitzungen. Das erste was ich zu Ihnen gesagt habe, war :“ Ich fühle mich so eingeengt.“ Das hat mich selbst noch im Augenblick als ich es sagte, selbst überrascht. Ich hatte keinen Plan in meinem Kopf, was ich nun eigentlich erzählen würde, aber  war mir bis dahin – auch wenn es vielleicht seltsam klingt – gar nicht so sehr darüber bewusst, wie unzufrieden ich mit dem Zusammenleben mit meinem Vater war.

Auch ihre Frage, ob ich meinen Vater nicht mit meinem Alkoholproblem konfrontieren wolle, weil ich ihm dann einen Spiegel im Bezug auf sein eigenes Suchtverhalten vor die Augen halten würde, hat mich sehr nachdenklich gemacht. Bei den Al-Anon Treffen haben mir die ähnliche Familiensituationen-/probleme (Essstörungen, zerstrittene Familienmitglieder usw.) gezeigt, dass Sie mit Ihrer Vermutung Recht haben könnten. Je länger er tot ist, desto offensichtlicher wird diese Erkenntnis für mich (Schweigen, als ich ihm sagte, dass Sie über ihn gesagt hätten, dass er mit offenen Augen in sein Unglück liefe, Auseinandersetzungen zwischen xxx und meiner Oma über ihren „Selbstgebrannten“, regelmäßige Besäufnisse um die Weihnachtszeit, wenn sich der Todestag meiner Mutter jährte und viele weitere Beispiele, die ich hier nicht alle aufzählen kann). In diesem Zusammenhang ist mir das erste mal der extrem ausgeprägte selbstzerstörerische Hang aller Familienmitglieder bewusst geworden.

Eine weitere wichtige Erkenntniss, zu der ich durch die Therapie gelangt bin, ist die, dass ich (bzw. alle Familienmitglieder) immer wieder mit Schuldgefühlen zu kämpfen haben. Besonders aufgefallen ist mir dies – nicht zuletzt, weil Sie mich darauf hinwiesen – als ich angefangen habe mich abzugrenzen. Z.T. mein Vater und meine Geschwister haben mir deswegen Vorwürfe gemacht. In der Zeit vor der Therapie hätte ich sofort darauf reagiert und mir stundenlang Gedanken darüber gemacht, ob ich wirklich so egoistisch bin, wie sie behaupten. Durch die Therapie habe ich gelernt, dass die beiden mit ihren eigenen Schuldgefühlen zu kämpfen haben. Gemerkt wie gut es mir tut mich in den Mittelpunkt zu stellen, habe ich u. a. als wir diese „innere Coach-Übung“ abhielten und Sie mich (bzw. den Coach) gefragt haben, was mir an der Therapie besonders gut gefallen würde. Mittlerweile schaffe ich es immer öfter, mehr über mich zu erzählen, ohne direkt ein schlechtes Gewissen zu bekommen, dass ich mein Gegenüber total zutexte. Im Gegenteil, habe ich festgestellt, dass die Leute es mir nicht übel nehmen, sondern dass sie wirklich interessiert, was ich zu erzählen habe und Nachfragen stellen (ganz egal, ob ich über etwas Persönliches oder etwas „Berufliches“ erzähle).

Außerdem ist mir, dank der Therapie, aufgefallen, was für ein schlechtes Selbstwertgefühl ich habe. Durch unsere Gespräche bin ich für die Selbstwahrnehmung anderer sensibilisiert worden. Zudem merke ich mehr und mehr, wie ich selbst auf andere wirke (oder bilde mir zumindest ein, es zu merken). Ich kann mich an keine konkrete Stunde erinnern, die für diese „neue Sichtweise“ eine besondere Rolle gespielt hätte. Wahrscheinlich liegt es mehr an dem Konzept, auf dem die Therapie basiert.

Besonders stolz bin ich, weil ich in relativ kurzer Zeit schon so viele meiner Therapieziele erreicht habe. Zwar habe ich auch immer wieder viel gejammert, aber am Ende viel in meinem Leben verändert, anstatt mich an meinem Unglück hoch zu ziehen (wie es sonst in dieser Familie üblich ist). Durch die Therapie habe ich zudem gelernt, dass es keinen Menschen gibt, der in seinem Leben nicht wenigstens einen „Schicksalsschlag“ hinnehmen muss. Vorher war es mehr so, dass ich dachte, keiner könnte mich verstehen, weil niemand in so einer schwierigen Situation sei wie ich. Jetzt denke ich mehr, es stimmt zwar, dass niemand außer mir weiß, wie meine Lebenssituation ist bzw. war, aber dafür andere schwierigen Lebenssituationen durchgemacht hat, die ich wiederum nicht nachempfinden kann. Mit dieser Einstellung geht man auch ganz anders auf Menschen zu.

Was meine Beziehungen zu anderen Menschen betrifft, habe ich im Verlaufe der Therapie immer wieder feststellen müssen, dass ich meine Gefühle im Allgemeinen und Wut im Speziellen überhaupt nicht mitteilen kann. Im Bezug auf Beziehungen zu Familienmitgliedern gilt, dass ich regelmäßig als „Seelenmülleimer“ benutzt wurde (wobei sich diese wiederum z. T. auch meine Probleme angehört haben), der sich oft stundenlang die „Sorgen und Nöte“ der anderen anhört. Gleichzeitig musste ich dabei immer wieder erleben, wie jeder Vorschlag zur Verbesserung der Lebenssituation zunichte gemacht wurde. Das mache ich jetzt nicht mehr. Ich bin immer noch gerne bereit zu zu hören, aber wenn ich merke, dass alle meine „Aufmunterungsversuche“ abgeblockt werden, wechsele ich einfach das Thema oder distanziere mich ganz einfach von der Person. Es ist nicht meine Aufgabe, für das Lebensglück von anderen Sorge zu tragen.

Im Rahmen der Therapie habe ich auch erfahren, dass ich mich in Beziehungen oft verschließe, weswegen ich vielleicht manchmal etwas unzuverlässig oder gleichgültig wirke. Wenn ich Ihnen immer erst nach einiger Zeit auf die Emails antworte bzw. so unregelmäßig update, dann liegt das nicht daran, dass die Therapie keine Rolle mehr für mich spielt, sondern daran, dass ich denke Sie sind ja eh bald wieder weg, deswegen sollte man sich nicht auf einen zu intensiven Kontakt einlassen (manchmal vertrödele ich Sachen aber auch einfach nur, wie z.B. die Zwischenbilanz). Eigentlich ist es bei mir immer so, dass ich erstmal skeptisch bin, wenn ich jemand Neuen kennenlerne, ob derjenige auch „wirklich für mich da sein wird“, oder ob sich der Kontakt nicht eh wieder verlaufen wird. Besonders deutlich haben Sie meine „Angst des Vergessenwerdens“ erfahren, als ich Ihnen zu Beginn der Therapie die aufgebrachte Email geschrieben habe, ob Sie mich vergessen hätten und was das bitte solle.

Ähnlich habe ich mich Ihnen gegenüber wie meinem Vater verhalten, als ich Ihnen nichts davon erzählte, dass ich mir eine Wohnung suche, obwohl mein Auszug ja den wichtigsten Schritt zur Abgrenzung von meinem Vater darstellte und somit für die Therapie sehr interessant und relevant war. Wie ich Ihnen damals auch schon gesagt habe, habe ich Ihnen erst im nachhinein davon erzählt, weil ich Angst hatte, sie würden mich ansonsten mit ständigen Nachfragen nerven. Stattdessen wollte ich mir die Wohnung ohne Druck in meinem eigenen Tempo organisieren.