Ursprünglich dazu entschlossen eine Therapie
zu beginnen, hatte ich mich, weil ich mich depressiv fühlte. Mein Leben
konnte ich ohne täglichen Alkoholkonsum nicht mehr ertragen. Zusätzlich
litt ich unter Zwangshandlungen. Neben abendlichen Kontrollgängen, bei
denen ich überprüfte, ob ich auch wirklich den Energiesparschalter am
Verlängerungsstecker ausgemacht hatte, die Tür zu war, der Klodeckel
geschlossen war usw., hielt mich vor allem der Zwang wach, wieder und
wieder aufs Klo zu gehen. Angetrieben wurde ich dabei von der Angst, ich
würde sonst ins Bett machen (diese Angst habe ich dann mit dem Alkohol
„erfolgreich“ kompensiert).
Generell hatte ich das Gefühl, den Verstand zu
verlieren und „reif für die Klapse zu sein“. Kleinere Herausforderungen im
Alltag oder unvorhergesehen Ereignisse überforderten mich vollkommen.
Probleme mit dem Computer oder eine verspätete S- Bahn reichten aus, um
mich aus der Fassung zu bringen und lösten z. T. richtige
Nervenzusammenbrüche aus. Bei diesen weinte, brüllte und/oder fluchte ich
und hatte zuletzt das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Nach solchen
Anfällen war der Tag in der Regel gelaufen. Wenn ich nicht noch
irgendetwas zu erledigen hatte, habe ich mich ins Bett gelegt und
gewartet, dass der Tag vorbei geht (oder wenigstens der Abend kommt, damit
ich endlich Alkohol trinken kann).
Rückblickend habe ich erkannt, dass sich all
diese Probleme (oder besser „Symptome“) über Jahre entwickelt haben. Schon
lange war mein Alltag von verschiedenen Süchten bestimmt. So hatte ich
z.B. bereits in der Oberstufe angefangen mir „mein Leben schön zu kiffen“,
phasenweise kiffte ich bereits zu dieser Zeit täglich. Auch der
zusätzliche Gang auf die Toilette, vorm zu Bett gehen, hatte schon seit
Jahrzehnten als Einschlafritual fest zu meinem Tagesablauf gehört. Über
die Jahre ging ich dann öfter und öfter auf Klo, bis ich zum Zeitpunkt der
Beginn der Therapie so oft aufs Klo ging, dass ich nicht mehr zum
Einschlafen kam.
Durch die Therapie ist es mir inzwischen
möglich, depressiven Tiefs und Stress- und Konfliktsituationen nicht mehr
mit Alkohol zu begegnen Ein wichtiges Stichwort ist in diesem Zusammenhang
der Sport, zu dem Sie mich immer wieder angeregt haben. Regelmäßiges
Laufen und auch Kampfsport haben bewirkt, dass ich mich nun auch ohne
Alkohol (oder andere Betäubungsmittel) ausgeglichen fühle und nicht mehr
das Gefühl habe von alltäglichen Aufgaben „erdrückt“ zu werden.
Generell gilt, dass ich gelassener geworden
bin, im Bezug auf unvorhergesehene Geschehnisse. Probleme mit dem Computer
oder Verspätungen der DB, die meinen im inneren entworfenen „Zeitplan“ in
Verzögerung bringen oder komplett umwerfen, führen nicht mehr zu
„Anfällen“ Stattdessen überlege ich mir, wie ich eine andere Lösung für
mein Problem finden kann bzw. nehme Dinge, an denen ich nichts ändern
kann, eben so hin wie sie sind. Obwohl ich keine Zusammenbrüche mehr
erleide und gelassener geworden bin, empfinde ich es aber nach wie vor als
anstrengend, mit alltäglichen „Störungen“ (wie Sie es mal genannt haben)“
auseinander zu setzten..
Meine Depression habe ich überwunden. Ich
versuche die Ereignisse, auch die schlechten, von ihrer positiven Seite zu
betrachten. Um diese schön klingende Lebensweisheit mal etwas zu
konkretisieren hier ein Beispiel: Auf dem Lebensfragebogen fragten Sie
danach, was das positive an meinen Problemen sei. Als ich den Bogen vor
Beginn der Therapie ausfüllte, habe ich diese Frage für einen schlechten
Scherz gehalten. Inzwischen habe ich aber verstanden, was Sie mit dieser
Frage bezwecken und kann sie Ihnen beantworten: Positiv an meinen
destruktiven Verhalten und den Zwängen war, dass sie dazu geführt haben,
dass ich jetzt eine Therapie mache. Wären sie nicht so ausgeartet, wie sie
es zuletzt sind, hätte ich mein Leben lang weiter „vor mich hin
vegetiert“. Im Rahmen der Therapie haben Sie mich das erste Mal mit ganz
grundlegenden Fragen konfrontiert. Ich weiß nicht, ob ich mir je ernsthaft
Gedanken darüber gemacht hätte, was ich eigentlich von meinem Leben
erwarte und wie ich es gestalten möchte, wenn Sie mich nicht dazu
angestoßen hätten.
Die Zwänge spielen nach wie vor eine Rolle in
meinem Leben. Dennoch gibt es auch hier - dank der Therapie -
Fortschritte. Ich habe sie soweit minimiert, dass ich nicht mehr
stundenlang wach liege, sondern schnell ein- und dann auch durchschlafen
kann.
Außerdem isoliere ich mich sozial nicht mehr
so extrem, wie ich es lange Zeit getan habe. Die Therapie hat mir zwar
einerseits die Augen dafür geöffnet, dass mich einige wichtige
Bezugspersonen allein gelassen haben. Gleichzeitig aber hat sie mir die
Augen dafür geöffnet, dass es auch wichtige Menschen gibt, die mich nicht
im Stich gelassen haben, sondern einfach nicht da waren, weil ich sie
nicht gelassen habe. Auch wenn ich immer noch dazu neige, mich zurück zu
ziehen, wenn es mir schlecht geht, gehe ich im Vergleich zu letztem Jahr
sehr viel mehr unter Menschen und führe endlich ein „richtiges
Studentenleben“.
In der Therapie habe ich sehr viel über mich,
die einzelnen Familienmitglieder und der Beziehungsstruktur zwischen den
einzelnen Familienmitgliedern erfahren. Im Nachhinein erstaunt es mich
(wie ich Ihnen auch einmal in einer Email geschrieben habe), dass es ein
viertel Jahrhundert gedauert hat, um zu den Erkenntnissen zu kommen, zu
denen ich im Verlauf der Therapie gekommen bin. Viel zu viel habe ich
nicht hinterfragt, sondern als „normal“ akzeptiert (weil ich es nicht
anders kannte). Offensichtlich brauchte ich erst einen Außenstehenden, der
mir den Wald, den ich vor lauter Bäumen nicht sehen konnte, zeigen musste.
Zu dem Menschen, der ich heute bin, bin ich zu
einem großen Teil dank unseres Familiensystems geworden. Das wichtigste
Schlüsselerlebnis für die gesamte Familie war dabei der Tod meiner
Mutter.... Zu diesem Zeitpunkt war ich grade mal sechs Monate alt.....
Meine Kindheit war geprägt von Stress und
Chaos. Mit der Aufgabe, fünf kleine Kinder zu erziehen und gleichzeitig
jeden Tag als.... zu arbeiten (vom Haushalt mal ganz zu schweigen), war
mein Vater – wie es jeder gewesen wäre – überfordert.... Kindermädchen
kamen und gingen. Oft bin ich auch bei verschiedenen Nachbarn
„untergekommen“. Zu Hause galt eigentlich immer, dass man meinem Vater am
besten helfen kann, indem man sich möglichst „pflegeleicht“ verhält....
Pflegeleicht heisst hier, dass man möglichst leise oder am Besten nicht im
Haus spielte, damit mein Vater nach der Arbeit Ruhe fand. Eigene Sorgen
und Probleme behielt man besser für sich oder besprach sie mit den
Geschwistern, weil mein Vater schon mit so vielen anderen Dingen
beschäftigt war (dabei war es nicht so, dass mein Vater sich nicht für
meine/ unsere Probleme interessiert hätte, sondern vielmehr so, dass es
ein persönliches Bedürfnis war, ihm nicht auch noch damit zur Last zu
fallen). Wahrscheinlich habe ich bereits in dieser frühen Phase meines
Lebens verlernt (oder einfach nicht gelernt) über mich zu sprechen. Schon
damals konnte ich mich nicht mitteilen, wenn ich traurig oder wütend war.
Ich weinte lieber heimlich abends im Bett oder verriet meinen Geschwistern
den Grund für meine Tränen erst nach unzähligen Nachfragen, warum ich
weinte.. Meine Aggressionen bekam meine Puppe zu spüren. Als ich
irgendwann zu alt war, um mit Puppen zu spielen, richtete ich sie gegen
mich selbst, indem ich mir mit scharfen Gegenständen Schnittwunden an
Armen und Beinen zufügte.
Auch die Angst nahm bereits zu diesem
Zeitpunkt viel Platz in meinem Leben ein. Besonders schlimm wurde sie,
wenn ich schlafen sollte (was für Kinder ja nicht weiter ungewöhnlich
ist). Böse Geister und Hexen, die mich in der Dunkelheit finden und töten
könnten, musste xxxx verjagen, indem sie einen „Anti-Hexen und Geister
Tanz aufführte“ und Schilder vor meinem Bett drapierte, auf denen stand,
die Geister sollen mich doch bitte in Ruhe lassen. Besonders schlimm wurde
die Angst auch immer dann, wenn sich keine Betreuung für mich finden ließ
und ich für einige Stunden alleine zu Hause bleiben musste. In unserem
großen Haus lauerten überall Gefahren, weswegen ich unmöglich dort bleiben
konnte. So lief ich in den Garten, um dort auf die Rückkehr meines Vaters
zu warten oder ließ (sehr zu seiner Freude) die Haustür sperrangelweit
offen, um im Falle des Angriffs eines Geistes oder einer Hexe, sofort
flüchten zu können. Ich war die einzige von uns fünfen, die man wirklich
gar nicht alleine lassen konnte. Mein Vater war daher immer dazu
gezwungen, mich irgendwie bei Nachbarn unterzubringen, wenn er nicht zu
Hause sein konnte.
Die für meinen Vater anstrengendsten Jahre
vergingen und er schaffte es trotz aller Widrigkeiten, die Familie
zusammen zu halten und uns alle irgendwie „groß zu kriegen“. Die nächsten
„Erlebnisse“, die mich prägen sollten, waren dann Essstörungen meiner
Schwestern, die diese zu Beginn und im Verlauf ihrer Pubertät entwickelten
und z. T. bis heute nicht überwunden haben. Wieder musste ich zu gucken,
wie sich gerade die Menschen, die ich am meisten liebte, selbst zerstören.
Und wieder stand es nicht in meiner Macht, die Situation zu verändern.
Stattdessen stand ich mehr oder weniger schweigend daneben. Wirkte ich
bereits in meiner Kindheit ruhig auf andere Menschen, so muss ich in
meiner Pubertät extrem introvertiert gewirkt haben. Inzwischen fällt es
mir zwar um einiges leichter, mich anderen Menschen zu öffnen, aber bis
heute ist es so geblieben, dass in den meisten Gesprächen ich die Rolle
des Zuhörers einnehme und mein Gegenüber, die des Erzählers.
In der Schulzeit fing ich dann mit dem Kiffen
an. Mir gefiel das Gefühl der Sorglosigkeit, das ich erlebte, sobald der
Zustand des Rausches einsetzte. Hatte ich sonst nicht viel zu lachen in
meinem Leben, konnte ich mich breit über die albernsten Kleinigkeiten
minutenlang totlachen. Es gab Zeiten, da kiffte ich nicht (wenige), es gab
Zeiten, da kiffte ich ab und zu und es gab Zeiten, da kiffte ich täglich.
Dass ich tatsächlich mein Abitur gemacht habe ist verwunderlich. Außer den
Nachhilfestunden in Chemie, die mein Vater für mich organisiert hatte,
machte ich bis zu dem Zeitpunkt zwei Wochen vor den Abiturprüfungen im
Prinzip gar nichts für die Schule.
Da ich weder Vorstellungen von meinem Leben,
noch Pläne für die nahe Zukunft hatte, beschloss ich, nach meinem Abitur
es meinen älteren Geschwistern gleich zu tun und auch zu studieren (was
ich aber bis heute nicht bereue). Wie der Lauf der Natur es mit sich
bringt, zog etwa in dieser Zeitspanne meines Lebens ein Kind nach der
nächsten aus. Da ich die jüngste bin, blieb ich als letzte übrig.
Mit dem Wunsch auszuziehen verband sich dann
für mich das Problem, dass ich meinen Vater nicht alleine lassen wollte.
Wie konnte ich grade der Person gegenüber das Recht einfordern mich
abzugrenzen, die jahrzehntelang jegliche Privatsphäre aufgegeben hatte, um
für die Kinder da zu sein? Hinzu kam ein ganz praktischer Grund, der gegen
meinen Auszug sprach. So hatte sich die Gesundheit meines Vaters ....
kontinuierlich verschlechtert. Mehr und mehr war er auf Hilfe bei
alltäglichen Angelegenheiten angewiesen. Wie Sie es in einer der ersten
Sitzungen beschrieben haben, lebte ich in einer „eheähnlichen Beziehung“
mit ihm Je mehr sich sein Zustand verschlechterte, desto auswegsloser kam
mir meine Lebenssituation vor, desto mehr Alkohol trank ich. Zuerst am
Wochenende in Gesellschaft, wenn ich mir regelmäßig die Nächte um die
Ohren schlug. Später mehr und mehr alleine und auch unter der Woche.
War es mir aus moralischen Gründen nicht
möglich auszuziehen, konnte ich es immerhin noch mit meinem Gewissen
vereinbaren, mir eine „Auszeit zu nehmen“. Während eines Auslandssemesters
in Großbritannien, so malte ich es mir aus, hätte ich genug Zeit neue
Kraft zu tanken, um danach wieder voll und ganz für meinen Vater da zu
sein. Außerdem musste ich kein schlechtes Gewissen haben meinen Vater
alleine zu lassen, weil ich ja auch noch drei Schwestern habe, die sich in
dieser Zeitspanne eben intensiver um ihn kümmern würden. Außerdem könnte
ich mit dem Flugzeug, falls sich der Gesundheitszustand meines Vaters
tatsächlich genau in dieser Zeit dramatisch verschlechtern sollte,
innerhalb eines Tages wieder in Köln sein.
Wenn man so möchte, war die Zeit in
Großbritannien ein weiteres wichtiges Schlüsselerlebnis in meinem Leben.
Obwohl ich mehr oder weniger täglich mit meinem Vater telefonierte, habe
ich dort das erste mal ein richtiges „Studentenleben“ geführt. Ich weiß
noch, wie ich es genossen habe, dass sich die alltäglichen Gespräche nun
nicht mehr um eptileptische Anfälle und ihre Bedeutung,
Patientenverfügung, Lebenserwartung von Patienten, die nicht aufhören zu
rauchen usw., sondern um Mitbewohner, die Putzpläne nicht einhielten,
drehten.. Die Zeit war auch in dem Sinne ein Schlüsselerlebnis, als dass
mir durch die Distanz, die ich nun im wahrsten Sinne des Wortes gewonnen
hatte, bewusst geworden ist, wie schlecht es meinem Vater wirklich ging.
Meine Geschwister informierten mich regelmäßig über den Zustand meines
Vaters. Berichte er habe einen „guten Tag“ gehabt, er sei dreizehn Stufen
gestiegen, ohne danach zehn Minuten Ruhe zu brauchen, um wieder zu Atem zu
kommen, riefen aus der Distanz ein ganz neues Gefühl in mir hervor.
Am Ende des Semesters fühlte ich mich zwar
nicht glücklich, dafür aber ausgeruht und entspannt. Dies sollte sich nach
meiner Rückkehr schlagartig ändern. Anstatt wieder voll und ganz für
meinen Vater da sein zu können, stellte ich nur wieder fest, wie
unglücklich ich mit meiner Lebenssituation war. Nach kurzer Zeit befand
ich mich erneut in dem Dilemma, welches ich durch meinen Aufenthalt in
Großbritannien erhofft hatte, überwinden zu können. Da sich mein Vater
während meines Aufenthalts in Großbritannien darüber beklagt hatte, er sei
die meiste Zeit alleine und würde nicht viel „von meinen Geschwistern
sehen“, schien mein Auszug unrealistischer als je zuvor.
Stärker als je zuvor machte mir nach meiner
Rückkehr auch die panische Angst meinen Vater tot aufzufinden, zu
schaffen. Mehr oder weniger jeden Tag stellte ich mir die verschiedenen
Möglichkeiten vor, wann, wie und wo ich die Leiche meines Vaters finden
könnte. Wie Sie es auch in einer der ersten Sitzungen gesagt haben, war
meine Angst berechtigt, war ich doch bereits allein bei meinem Vater, als
dieser einen epileptischen Anfall erlitt und hörte ich doch (allerdings
schon so lange ich denken kann) jeden Tag seinen Raucherhusten. Dieses
Geräusch konnte ich irgendwann gar nicht mehr ertragen und hielt mir
irgendwann immer die Ohren zu, wenn ich es hörte oder drehte die Musik
möglichst laut auf. Schlimmer wurde die Angst dadurch, dass ich ja als
jüngstes Kind noch zu Hause lebte, also auch tatsächlich ALLEINE sein
würde, wenn ich den Leichnam fände. Je mehr Angst ich bekam, desto
schlimmer wurden meine Zwänge, desto mehr Alkohol brauchte ich, um die
Zwänge unter Kontrolle zu bringen. In meinem Leben drehte sich alles nur
noch darum, Kontrolle zu gewinnen, während ich sie gleichzeitig mehr und
mehr verlor.
Irgendwann begann die Phase, in der ich meinem
Alltag nicht mehr nachgehen konnte. Der Alkohol und die Zwänge sorgten
dafür, dass ich nachts nicht mehr als vier Stunden schlief. Tagsüber war
ich folglich total verkatert und übermüdet. Inzwischen war ich für
niemanden mehr eine Hilfe. Stattdessen benötigte ich selbst welche. Das
war der Zeitpunkt als ich Ihnen die E- Mail geschrieben habe.
Im weiteren Verlauf der Therapie möchte ich in
erster Linie die Therapieziele, die ich noch nicht erreicht habe,
umsetzen. Insbesondere möchte ich in diesem Zusammenhang weiter an meinen
Zwängen arbeiten, die mich (wenn nicht in vergleichbarer Form wie zu
Beginn der Therapie) immer wieder einholen.
Ein weiteres wichtiges Ziel, das noch nicht
erreicht ist, ist das mit der Nähe und den Männern (obwohl das Ziel
paradox ist, weil ich einerseits sehr gerne allein bin gleichzeitig, aber
auch lieber jemanden hätte, also eigentlich gar nicht weiß was ich
wirklich will). Aber vielleicht liegt das ja auch einfach nur daran, dass
ich noch nie richtig dauerhaft in einer Beziehung war und es mir einfach
nicht vorstellen kann. Generell möchte ich offener werden. Ich bin es so
leid, immer „die Ruhige“ oder „die Stille“ zu sein.
Ein weiteres wichtiges Ziel ist, endlich
Kritik äußern/ streiten zu können, anstatt alles immer in mich „hinein zu
fressen“ oder nur mit anderen nicht aber mit der betreffenden Person über
die Dinge, die mich stören, zu sprechen.
Allgemein hoffe ich im weiteren Verlauf der
Therapie durch die „spontanen Bemerkungen“ noch viel über mich zu erfahren
und das was ich dabei erfahre, gegebenenfalls zu ändern.
Was ich eigentlich will, ist eine stinknormale
Studentin sein.
Besonders bedeutsam für die Erkenntnis wo
meine Probleme (ich weiß, Sie mögen dieses Wort nicht) herkommen, waren
vor allem die ersten Therapiesitzungen. Das erste was ich zu Ihnen gesagt
habe, war :“ Ich fühle mich so eingeengt.“ Das hat mich selbst noch im
Augenblick als ich es sagte, selbst überrascht. Ich hatte keinen Plan in
meinem Kopf, was ich nun eigentlich erzählen würde, aber war mir bis
dahin – auch wenn es vielleicht seltsam klingt – gar nicht so sehr darüber
bewusst, wie unzufrieden ich mit dem Zusammenleben mit meinem Vater war.
Auch ihre Frage, ob ich meinen Vater nicht mit
meinem Alkoholproblem konfrontieren wolle, weil ich ihm dann einen Spiegel
im Bezug auf sein eigenes Suchtverhalten vor die Augen halten würde, hat
mich sehr nachdenklich gemacht. Bei den Al-Anon Treffen haben mir die
ähnliche Familiensituationen-/probleme (Essstörungen, zerstrittene
Familienmitglieder usw.) gezeigt, dass Sie mit Ihrer Vermutung Recht haben
könnten. Je länger er tot ist, desto offensichtlicher wird diese
Erkenntnis für mich (Schweigen, als ich ihm sagte, dass Sie über ihn
gesagt hätten, dass er mit offenen Augen in sein Unglück liefe,
Auseinandersetzungen zwischen xxx und meiner Oma über ihren
„Selbstgebrannten“, regelmäßige Besäufnisse um die Weihnachtszeit, wenn
sich der Todestag meiner Mutter jährte und viele weitere Beispiele, die
ich hier nicht alle aufzählen kann). In diesem Zusammenhang ist mir das
erste mal der extrem ausgeprägte selbstzerstörerische Hang aller
Familienmitglieder bewusst geworden.
Eine weitere wichtige Erkenntniss, zu der ich
durch die Therapie gelangt bin, ist die, dass ich (bzw. alle
Familienmitglieder) immer wieder mit Schuldgefühlen zu kämpfen haben.
Besonders aufgefallen ist mir dies – nicht zuletzt, weil Sie mich darauf
hinwiesen – als ich angefangen habe mich abzugrenzen. Z.T. mein Vater und
meine Geschwister haben mir deswegen Vorwürfe gemacht. In der Zeit vor der
Therapie hätte ich sofort darauf reagiert und mir stundenlang Gedanken
darüber gemacht, ob ich wirklich so egoistisch bin, wie sie behaupten.
Durch die Therapie habe ich gelernt, dass die beiden mit ihren eigenen
Schuldgefühlen zu kämpfen haben. Gemerkt wie gut es mir tut mich in den
Mittelpunkt zu stellen, habe ich u. a. als wir diese „innere Coach-Übung“
abhielten und Sie mich (bzw. den Coach) gefragt haben, was mir an der
Therapie besonders gut gefallen würde. Mittlerweile schaffe ich es immer
öfter, mehr über mich zu erzählen, ohne direkt ein schlechtes Gewissen zu
bekommen, dass ich mein Gegenüber total zutexte. Im Gegenteil, habe ich
festgestellt, dass die Leute es mir nicht übel nehmen, sondern dass sie
wirklich interessiert, was ich zu erzählen habe und Nachfragen stellen
(ganz egal, ob ich über etwas Persönliches oder etwas „Berufliches“
erzähle).
Außerdem ist mir, dank der Therapie,
aufgefallen, was für ein schlechtes Selbstwertgefühl ich habe. Durch
unsere Gespräche bin ich für die Selbstwahrnehmung anderer sensibilisiert
worden. Zudem merke ich mehr und mehr, wie ich selbst auf andere wirke
(oder bilde mir zumindest ein, es zu merken). Ich kann mich an keine
konkrete Stunde erinnern, die für diese „neue Sichtweise“ eine besondere
Rolle gespielt hätte. Wahrscheinlich liegt es mehr an dem Konzept, auf dem
die Therapie basiert.
Besonders stolz bin ich, weil ich in relativ
kurzer Zeit schon so viele meiner Therapieziele erreicht habe. Zwar habe
ich auch immer wieder viel gejammert, aber am Ende viel in meinem Leben
verändert, anstatt mich an meinem Unglück hoch zu ziehen (wie es sonst in
dieser Familie üblich ist). Durch die Therapie habe ich zudem gelernt,
dass es keinen Menschen gibt, der in seinem Leben nicht wenigstens einen
„Schicksalsschlag“ hinnehmen muss. Vorher war es mehr so, dass ich dachte,
keiner könnte mich verstehen, weil niemand in so einer schwierigen
Situation sei wie ich. Jetzt denke ich mehr, es stimmt zwar, dass niemand
außer mir weiß, wie meine Lebenssituation ist bzw. war, aber dafür andere
schwierigen Lebenssituationen durchgemacht hat, die ich wiederum nicht
nachempfinden kann. Mit dieser Einstellung geht man auch ganz anders auf
Menschen zu.
Was meine Beziehungen zu anderen Menschen
betrifft, habe ich im Verlaufe der Therapie immer wieder feststellen
müssen, dass ich meine Gefühle im Allgemeinen und Wut im Speziellen
überhaupt nicht mitteilen kann. Im Bezug auf Beziehungen zu
Familienmitgliedern gilt, dass ich regelmäßig als „Seelenmülleimer“
benutzt wurde (wobei sich diese wiederum z. T. auch meine Probleme
angehört haben), der sich oft stundenlang die „Sorgen und Nöte“ der
anderen anhört. Gleichzeitig musste ich dabei immer wieder erleben, wie
jeder Vorschlag zur Verbesserung der Lebenssituation zunichte gemacht
wurde. Das mache ich jetzt nicht mehr. Ich bin immer noch gerne bereit zu
zu hören, aber wenn ich merke, dass alle meine „Aufmunterungsversuche“
abgeblockt werden, wechsele ich einfach das Thema oder distanziere mich
ganz einfach von der Person. Es ist nicht meine Aufgabe, für das
Lebensglück von anderen Sorge zu tragen.
Im Rahmen der Therapie habe ich auch erfahren,
dass ich mich in Beziehungen oft verschließe, weswegen ich vielleicht
manchmal etwas unzuverlässig oder gleichgültig wirke. Wenn ich Ihnen immer
erst nach einiger Zeit auf die Emails antworte bzw. so unregelmäßig
update, dann liegt das nicht daran, dass die Therapie keine Rolle mehr für
mich spielt, sondern daran, dass ich denke Sie sind ja eh bald wieder weg,
deswegen sollte man sich nicht auf einen zu intensiven Kontakt einlassen
(manchmal vertrödele ich Sachen aber auch einfach nur, wie z.B. die
Zwischenbilanz). Eigentlich ist es bei mir immer so, dass ich erstmal
skeptisch bin, wenn ich jemand Neuen kennenlerne, ob derjenige auch
„wirklich für mich da sein wird“, oder ob sich der Kontakt nicht eh wieder
verlaufen wird. Besonders deutlich haben Sie meine „Angst des
Vergessenwerdens“ erfahren, als ich Ihnen zu Beginn der Therapie die
aufgebrachte Email geschrieben habe, ob Sie mich vergessen hätten und was
das bitte solle.
Ähnlich habe ich mich Ihnen gegenüber wie
meinem Vater verhalten, als ich Ihnen nichts davon erzählte, dass ich mir
eine Wohnung suche, obwohl mein Auszug ja den wichtigsten Schritt zur
Abgrenzung von meinem Vater darstellte und somit für die Therapie sehr
interessant und relevant war. Wie ich Ihnen damals auch schon gesagt habe,
habe ich Ihnen erst im nachhinein davon erzählt, weil ich Angst hatte, sie
würden mich ansonsten mit ständigen Nachfragen nerven. Stattdessen wollte
ich mir die Wohnung ohne Druck in meinem eigenen Tempo organisieren. |