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Stress am
Arbeitsplatz, unbezahlte Überstunden, unregelmäßige Nachtschichten und
stetig steigende Anforderungen können jeden Menschen krank machen. Auch
Medizinern fällt es schwer zu akzeptieren, dass sie zum Patienten werden
können. Die Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift"
(Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2007) unterstützt "Arzt-Patienten" und
solche, die es nicht werden wollen, durch eine Schwerpunktausgabe zum
Thema Arztgesundheit.
Dass der Arztberuf
in Deutschland viel von seinem Reiz eingebüßt hat – die Zahl der
Hochschulabsolventen sinkt seit Jahren – ist für Dr. Harald Jurkat von
der Universität Gießen nicht verwunderlich. Der Diplompsychologe
erforscht die Lebensqualität von Ärzten. Und seine Ergebnisse zeigen:
Der Weg zu einem erfüllten Leben ist für den Doktor lang und mühsam.
Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit und emotionale Rollenfunktion,
drei wichtige Bereiche der Lebensqualität, sind bei Ärzten über viele
Jahre schlechter als unter gleichaltrigen Nicht-Medizinern. Dies ändert
sich erst am Ende der Karriereleiter. Als Chefarzt erfreuen sich
Mediziner in Deutschland einer hohen Lebensqualität, die sogar den
Vergleich mit anderen Ländern wie den USA standhält. Dort äußern sich
aber auch Assistenz- und Oberärzte zufriedener – dank besserer Bezahlung
und geringerer Belastung. Eine Verbesserung ist für Dr. Jurkat in
Deutschland nicht in Sicht: Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen,
zunehmender Ärztemangel und steigende bürokratische Anforderungen werden
deutschen Ärzte auch in Zukunft das Leben schwer machen.
Die Kombination aus
Überforderung und geringer Bezahlung ("Gratifikationskrise") bleibt
nicht ohne Folgen: Jeder vierte Hausarzt und jeder fünfte Klinikarzt
klagt über ein sogenanntes "Burnout". Auch Depressionen und
Suchterkrankungen sind häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Neben
Alkohol werden häufig Opiate und Tranquilizer (Benzodiazepine)
missbraucht. Und stärker als andere Menschen leugnen Ärzte ihre
Abhängigkeit, weiß Professor Götz Mundle von der Deutschen Suchtstiftung
Matthias Gottschaldt. In Behandlung begeben sich Mediziner oft erst,
wenn Angehörige, Kollegen oder Apotheker (z.B. wegen der vielen
Betäubungsmittelrezepte) die Ärztekammer alarmieren oder wenn die
Mediziner wegen Trunkenheit am Steuer straffällig wurden. Die
Ärztekammern in Hamburg und Baden-Württemberg bieten inzwischen
spezielle Behandlungskonzepte für süchtige Mediziner an. Nach einer
stationären "Entgiftung" nehmen die Ärzte über ein Jahr an einer
wöchentlichen Suchttherapie teil: Die Erfolgsrate liegt bei über 80
Prozent, sagt Professor Mundle, Chefarzt des Oberbergklinikums im
Schwarzwald, das sich auf Suchterkrankungen bei Ärzten spezialisiert
hat. Mundle fordert die Ärzte in der DMW auf, die Beratungsangebote der
Ärztekammern früher anzunehmen.
Dass Ärzte ihre
eigenen psychischen (aber auch körperlichen) Krankheiten lange
ignorieren, hat tiefe kulturelle Wurzeln. Das biblische Sprichwort
"Arzt, hilf dir selbst" (Luc. 4,23) hat nach Erfahrung des
Medizinhistoriker Professor Wolfgang Eckart von der Universität
Heidelberg auch heute nicht an Gültigkeit verloren. Hinzu komme, dass
die Gesellschaft vom Arzt eine unbegrenzte Hingabe fordert, gleichzeitig
aber in naiver Weise annimmt, dass der Doktor als Vorbild selbst niemals
krank wird. Dieser Widerspruch ist auch Dr. Bernhard Mäulen vom Institut
für Ärztegesundheit in Villingen-Schwenningen bewusst. In der DMW
veröffentlicht er zehn Empfehlungen für den Arzt-Patienten. Dazu gehört
das Verbot der Selbstbehandlung. Mediziner sollten sich wie normale
Patienten behandeln lassen und sie sollten ihre Leiden auch gegenüber
Angehörigen und Kollegen nicht verheimlichen. "Hilf mit, den Mythos zu
brechen, dass Ärzte nicht krank werden" lautet eine der "Gebote" an den
Arzt-Patienten.
Ein Mittel gegen den
Ärztemangel und damit für mehr Lebensqualität wäre die vermehrte
Berufstätigkeit von Ärztinnen, schreibt Dr. Astrid Bühren, Murnau, die
Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Das Potenzial wäre vorhanden:
Mehr als die Hälfte aller Berufseinsteiger sind Frauen. Doch die langen
und unregelmäßigen Arbeitszeiten lassen sich mit dem Familienleben
selten in Einklang bringen. Viele Mütter steigen aus, da Teilzeitstellen
oder Jobsharing-Angebote rar sind. Nur wenige Frauen schaffen es bis zur
Chefarztposition (und einer hohen Lebensqualität). In der
Unfallchirurgie sind weniger als ein Prozent aller Chefärzte Frauen.
D. Nowak:
Ärztegesundheit: Mythen, Wirklichkeit und Visionen.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (1/2): S. 13
H. B. Jurkat:
Lebensqualität bei Ärztinnen und Ärzten.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (1/2): S. 14-16
G. Mundle, E.
Gottschaldt:
Abhängigkeitserkrankungen bei Ärztinnen und Ärzten.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (1/2): S. 17- 20
P. Angerer et al.:
Arbeitsbedingungen und Depression bei Ärzten.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (1/2): S. 26-29
B. Mäulen:
Ärzte als Patienten - Ärzte als Behandler von Ärzten.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (1/2): S. 30-33
A. Bühren:
Ärztinnen-Gesundheit.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (1/2): S. 23-25
W. U. Eckart:
"Arzt, hilf dir selbst!" Der Arzt als Patient.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (1/2): S. 34-38 |