Immer mehr Kinder und
Jugendliche leiden unter körperlichen Beschwerden oder Schmerzen, für
die sich keine organischen Ursachen finden lassen. Etwa zehn Prozent der
Mädchen und Jungen klagen über Kopf-, Bauch- oder Gliederschmerzen,
Müdigkeit oder Übelkeit, für die es auf den ersten Blick keinen Grund
gibt, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP).
Ausgelöst werden solche
Somatisierungsstörungen oft durch chronisch belastende
Lebenssituationen, etwa schulische Überlastung, Integrationsprobleme bei
Gleichaltrigen, überhöhte elterliche Erwartungen oder einschneidende
Lebensereignisse wie Scheidungskonflikte, schwere Erkrankungen oder Tod
eines Elternteils“, erläutert Dr. Ulrich Hagenah von der DGKJP.
Viele Kinder zeigen
zusätzlich psychiatrische Begleitsymptome: Sie sind besonders ängstlich,
depressiv und haben ein gestörtes Selbstwertgefühl. Die Ursachen für
diese Entwicklung sind nicht endgültig geklärt. Experten vermuten eine
Wechselwirkung zwischen erblicher Veranlagung und stressenden
Lebensbedingungen.
So treten
Somatisierungsstörungen und begleitende Angsterkrankungen bei
Familienangehörigen der Kinder und Jugendlichen überdurchschnittlich
häufig auf. Die jungen Patienten selbst reagieren besonders sensibel auf
Schmerzreize, sie haben Schwierigkeiten bei der Stressverarbeitung und
stellen oft sehr hohe Ansprüche an die eigene Leistungsfähigkeit. Die
Angst, im Unterricht aufgerufen zu werden und sich zu blamieren, kann
dann für viele Kinder die Schule zum Albtraum werden lassen.
Häufig zeigen sich
Somatisierungsstörungen auch im Zusammenhang mit einer schulischen
Überforderung: Schlechte Noten trotz intensiver Vorbereitung verstärken
Misserfolgserwartungen der Kinder, die zusätzlich unter Hänseleien oder
Erpressungen auf dem Schulhof leiden können. Das Fernbleiben von der
Schule auf Grund der körperlichen Beschwerden führt zur Entlastung und
kann so eine Vermeidungshaltung fördern. „Übelkeit und Bauchschmerzen
treten bei diesen Kindern regelmäßig vor dem Unterricht, nicht aber an
den Wochenenden oder in den Ferien auf“, so Dr. Hagenah von der DGKJP.
Neben einer Schulangst kann auch die Furcht, von Mutter oder Vater
getrennt zu werden, somatische Beschwerden verstärken.
Häufige Arztwechsel
Eltern und Kinder
vermuten hinter den ständigen Bauch-, Kopf- oder Rückenschmerzen meist
eine schwere organische Erkrankung. Oftmals wechseln sie den Arzt, weil
der vorherige nichts finden konnte und die kleinen Patienten vorschnell
„psychologisierte“. So kommt es zu vielfältigen
Wiederholungsuntersuchungen und häufig sogar zu Krankenhausaufenthalten.
Ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, ist unter diesen Umständen oft
schwierig. Kinderärzte sollten, so die DGKJP, die Schilderungen der
Eltern ernst nehmen und deren Fixierung auf eine körperliche Ursache
respektieren.
Ist eine akute oder
lebensbedrohliche Erkrankung ausgeschlossen, sollte das vorrangige
Behandlungsziel eine Symptomreduktion sein. „Zur Therapie gehört eine
intensive Elternberatung, bei der die möglichen Zusammenhänge zwischen
überforderndem Stress und körperlichen Beschwerden erläutert werden“,
erklärt Dr. Hagenah (DGKJP). „Ebenso wichtig sind eine kindgerechte
Aufklärung, verhaltens- und entspannungstherapeutische Methoden und in
Einzelfällen eine medikamentöse Unterstützung. Mit diesen Maßnahmen
gelingt es meist, die somatischen Beschwerden zu lindern und die Kinder
wieder in den Alltag – und damit auch in die Schule – zu integrieren.“
Späte Diagnose – schlechte Prognose
Je früher die
Somatisierungsstörung beginnt und je später sie diagnostiziert und
behandelt wird, desto schlechter ist die Langzeitprognose der jungen
Patienten. Bei bis zu 56 Prozent der Mädchen und Jungen chronifizieren
die Beschwerden und halten bis ins Erwachsenenalter an, hat eine
Untersuchung ergeben. Ein rascher Behandlungsbeginn hingegen kann nach
Angaben der DGKJP eine schnelle Symptomlinderung bewirken. Einer
weiteren Studie zufolge erklärten fast 40 Prozent der befragten
Jugendlichen, in den vergangenen zwei Jahren mindestens ein Mal unter
Symptomen gelitten zu haben, die ihr Wohlbefinden stark beeinträchtigt
hatten, für die der Arzt aber keine Ursache finden konnte. Jugendliche
mit somatischen Beschwerden ohne nachvollziehbare körperliche
Beeinträchtigungen sind als Erwachsene häufiger von psychiatrischen
Erkrankungen, insbesondere Depressionen und Angsterkrankungen, betroffen
als gesunde Jugendliche.
Quelle:
DKJP |