Fast jedes dritte Kind ist zu
dick
DGKJP:
Übergewicht verursacht auch psychosoziale Probleme
Immer mehr Kinder sind nach Angaben der Deutschen
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP) übergewichtig.
Bereits bei der Einschulung bringt jeder dritte Junge und jedes vierte
Mädchen zu viele Pfunde auf die Waage. Alarmierend: Auch die Zahl
derjenigen mit Adipositas (starkes Übergewicht) ist drastisch
angestiegen.
Die eine Hand in der Chipstüte, die andere an der Fernbedienung – so
oder ähnlich sieht der Alltag vieler Kinder aus. Die Folgen sind
inzwischen deutlich sichtbar: Immer mehr Mädchen und Jungen sind zu
dick. „Wir konnten in der Aachener Vorschulstudie eine deutliche Zunahme
von Übergewicht in den vergangenen 35 Jahren nachweisen“, erläutert
Prof. Beate Herpertz- Dahlmann, Präsidentin der DGKJP. „Legt man die
Kriterien von 1969 zugrunde, sind im Vergleich zu 10 Prozent damals
jetzt 33,1 Prozent der Jungen und 27 Prozent der Mädchen mit sechs
Jahren übergewichtig. Fettleibig, also adipös, waren 1969 drei Prozent
der Kinder. Heute sind es bei der Einschulung 15,7 Prozent der Jungen
und 11,3 Prozent der Mädchen.“
Dicke immer dicker
Auffallend bei der Untersuchung ist, dass das Gewicht der ohnehin schon
übergewichtigen Kinder im Laufe der Jahre immer weiter ansteigt: Die
Dicken werden immer dicker. Die gesundheitlichen Folgen sind weit
reichend. Schon Jugendliche entwickeln den so genannten Altersdiabetes,
Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck. Auf Dauer drohen
orthopädische Probleme an Hüften, Knien oder Füßen. Dazu kommen
psychosoziale Beeinträchtigungen: Dicke Kinder werden häufig von
Mitschülern stigmatisiert. Aus Angst, ausgelacht zu werden, trauen sie
sich nicht mehr in die Schwimmhalle oder verweigern sich dem Schulsport.
Diese Entwicklung setzt sich fort, so Prof. Johannes Hebebrand von der
DGKJP: „Junge Erwachsene mit Adipositas sind beruflich und finanziell
benachteiligt. Dies trifft insbesondere auf Frauen zu. Auch bleiben
adipöse Erwachsene häufiger als Normalgewichtige unverheiratet.“
Familie einbeziehen
Bei der Behandlung setzt die DGKJP auf verhaltenstherapeutische Ansätze
unter Einbeziehung der Familie. Dabei kann das Verhalten der Kinder
beeinflusst werden, damit sie weniger und anders essen und sich mehr
bewegen. Ganz wichtig hierbei ist die Ernährungsberatung. Sie hilft,
Schritt für Schritt die Nahrung umzustellen: mehr Obst, Gemüse und
Vollkornprodukte, dafür weniger Nahrungsfette; statt Schokolade lieber
Gummibärchen, Cola durch Mineralwasser ersetzen, Nutella durch Honig und
Marmelade und frittierte Pommes durch fettfreie Backofenfrites.
Auf Verbote oder penibles „Kalorienzählen“ verzichten die Therapeuten
heute in aller Regel. Vielmehr machen sich die Kinder und Jugendlichen
mit dem Ausfüllen von Ernährungsprotokollen ihr eigenes Essverhalten
bewusster. Praktische Kochübungen, regelmäßiges Wiegen und die Erfassung
des Körperfettanteils sind weitere Maßnahmen.
Ambulante Therapie von Vorteil
Die Behandlung kann sowohl ambulant als auch stationär erfolgen.
„Vorteil einer ambulanten Therapie ist die problemlose Einbeziehung der
Eltern sowie die bessere Möglichkeit, eingefahrene und Adipositas
fördernde Familienstrukturen zu verändern“, erklärt Prof. Hebebrand.
Stationäre Maßnahmen dagegen können durch die bessere Kontrolle vor Ort
und eine gewisse Distanz zur häuslichen Umgebung kurzfristig sehr
effektiv sein. „Hier ist anschließend jedoch eine mittel- bis
langfristige Nachbetreuung unbedingt notwendig.“
Nach Ansicht der DGKJP stellt Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen
eines der bedeutendsten gesundheitspolitischen und ökonomischen Probleme
der Zukunft dar. Prof. Herpertz-Dahlmann: „Hier sind zahlreiche
Maßnahmen auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen erforderlich. Die
Therapie der Kinder und Jugendlichen ist nur die eine Seite. Besondere
Bedeutung kommt der Prävention zu. Wir müssen Kinder und Eltern
frühzeitig aufklären und dürfen nicht so lange warten, bis die Weichen
schon gestellt sind.“
Eine verhängnisvolle Kombination: Fastfood und Fernsehen
Die Ursachen für die erschreckende Entwicklung liegen nach Angaben der
DGKJP zuallererst in der ungesunden, fett- und kalorienreichen Ernährung
aus Fastfood, Snacks und zuckerhaltigen Getränken in Kombination mit
mangelnder Bewegung. In den Familien haben sich die Essgewohnheiten
stark verändert, gemeinsame und regelmäßige Mahlzeiten sind nur noch
selten. Oft sind die Kinder einen großen Teil des Tages auf sich selbst
gestellt, weil beide Eltern arbeiten. Dann üben Fastfood, Fernsehen und
PC eine große Anziehungskraft auf die allein gelassenen Kinder aus.
Doch auch die Gene spielen eine wichtige Rolle. „Der größte Risikofaktor
für kindliches Übergewicht ist das Vorkommen von Adipositas bei den
Eltern“, sagt Prof. Johannes Hebebrand von der DGKJP. „Bis zu 80 Prozent
stark übergewichtiger Kinder haben zumindest ein übergewichtiges
Elternteil, mindestens 25 Prozent haben zwei übergewichtige Eltern.“ Die
molekulargenetische Forschung hat in den letzten Jahren einige
Genvarianten identifiziert, die die Entwicklung von Übergewicht
begünstigen.
Auch die Hoffnung, dass es sich bei den Fettpölsterchen um Babyspeck
handelt, der sich mit der Zeit wieder auswächst, wird nur in den
seltensten Fällen erfüllt. Prof. Hebebrand: „Sind Kinder mit sechs
Jahren zu dick, sind sie es in mindestens jedem zweiten Fall auch im
Jugendalter. Je übergewichtiger ein Kind ist, desto wahrscheinlicher
besteht Übergewicht auch im Erwachsenenalter fort.“
Quelle:
DKJP |