Ausgerechnet im Gehirn ist der
Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse am geringsten - zumindest was
den Aufbau und die Aktivität der Gene betrifft. Und das, obwohl wir uns
gerade durch Funktionen des Gehirns wie Sprache und Gedächtnis, vom
Schimpansen unterscheiden. Im Hoden variiert hingegen die Aktivität der
Gene besonders stark zwischen den beiden Spezies. Zu diesem Ergebnis
kommt eine neue Studie des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN).
Gemeinsam mit internationalen Kollegen analysierten die Forscher des
Max-Planck-Instituts fürs evolutionäre Anthropologie in Leipzig das
Erbgut von Schimpansen und verglichen es mit dem des Menschen. Die
Sequenz des Schimpansengenoms ist erst seit Kurzem bekannt. Die
Ergebnisse der Genomanalysen werden in zwei Arbeiten in der neuesten
Ausgabe der Fachzeitschrift Nature (Nature, 1.September 2005)
vorgestellt. Gleichzeitig werden die Studien zur Genexpression in Mensch
und Schimpanse in der Fachzeitschrift Science (Science, 1.September
2005) veröffentlicht.
Die Leipziger Forscher
untersuchten die Aktivität von insgesamt 21.000 Genen aus Herz, Leber,
Niere, Hoden und Gehirn in den beiden Spezies. Ergebnis: Im Hoden sind
32 Prozent der Gene unterschiedlich aktiv und in den meisten anderen
Geweben durchschnittlich acht Prozent. Vergleicht man die Aktivität
einzelner Gene miteinander, so fällt der Unterschied zwischen Mensch und
Schimpanse im Gehirn am geringsten aus. Die Wissenschaftler betrachteten
die gefundenen Unterschiede noch einmal genauer: Seit sich vor circa
sechs Millionen Jahren die evolutionären Wege von Mensch und Schimpanse
trennten, hat sich das Gehirn des Menschen schneller entwickelt. Denn
von den wenigen Unterschieden, die zwischen den Spezies im Gehirn
gefunden wurden, sind die meisten während der Evolution des Menschen
aufgetreten. Hingegen weicht das Gehirn des Schimpansen nicht so sehr
von dem unseres gemeinsamen Vorfahren ab.
Die durch das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie
bietet aber nicht nur Einblicke in die menschliche Evolution. Sie lässt
auch Rückschlüsse auf die Regeln zu, nach denen genetische Netzwerke in
den unterschiedlichen menschlichen Geweben funktionieren: "Verglichen
mit den anderen Geweben sind die geringen Unterschiede im Gehirn
eventuell darauf zurückzuführen, dass die Genprodukte hier in komplexen
Netzwerken zusammenspielen. Wenn sich ein Genprodukt ändern würde,
müssten sich die anderen Partner anpassen. Das wäre mit viel Aufwand
verbunden. In der Leber sind zum Beispiel viele Netzwerke wesentlich
einfacher aufgebaut und können sich so auch leichter verändern", erklärt
Professor Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für
evolutionäre Anthropologie.
Das Genom des Menschen ist dem des Schimpansen erstaunlich ähnlich: 98,7
Prozent des Erbguts der beiden Spezies sind identisch. Darüber hinaus
geschahen die meisten Veränderungen zwischen den Spezies laut der
aktuellen Studie zufällig und beeinflussen nicht die Funktion der Gene.
Aufgrund dieser geringen Unterschiede in der Erbinformation nahmen die
Evolutionsforscher bisher an, dass der entscheidende Unterschied
zwischen Mensch und Schimpanse in einer veränderten Genregulation - also
in einer unterschiedlichen Nutzung der Gene - zu suchen ist. Die neuen
Ergebnisse legen nun allerdings nahe, dass der Unterschied zwischen
Menschen und ihren nächsten Verwandten nur durch das Zusammenspiel von
unterschiedlicher Genregulation und Veränderungen in den Genen erklärt
werden kann.
Originalveröffentlichung:
Khaitovich, P., Hellmann, I., Enard, W., Nowick, K.,
Leinweber, M., Franz, H., Weiss, G., Lachmann, M., and Pääbo, S.
Parallel patterns of evolution in the genomes and
transcriptomes of humans and chimpanzees
Science, 2 September 2005
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