Um eine optimale medizinische Versorgung von
Patienten mit Depressionen zu gewährleisten, haben die Deutsche
Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN),
der Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) sowie das
Universitätsklinikum Aachen mit einigen gesetzlichen Krankenkassen ein
bundesweit wegweisendes Modellprojekt ins Leben gerufen, das sich am
neuesten patientenorientierten Versorgungskonzept der DGPPN, dem
„Integrierten Versorgungskonzept Depression“ orientiert. „Mit diesem
Projekt wollen wir vor allem die ambulante Versorgung von depressiven
Menschen verbessern“, erklärt der Erste Vorsitzende des BVDN und
Mitglied im Vorstand der DGPPN, Dr. Frank Bergmann, diese
Initiative. Bergmann ist niedergelassener Neurologe, Psychiater und
Psychotherapeut und arbeitet in Aachen.
“Integrierte Versorgung“ heißt deshalb auch
das entsprechende Schlagwort im Kooperationsvertrag. Dies bedeutet: Die
Vernetzung unter den Fachärzten und Therapeuten wird gestärkt,
Betreuungsangebote aufeinander abgestimmt, die Zusammenarbeit zwischen
Haus- und Fachärzten enger, die Dokumentation effektiv gebündelt. „Alle
ärztlichen Vertragspartner verpflichten sich zu einem hohen
Qualitätsstandard, d.h. z.B. zu regelmäßigen Fortbildungen auf dem
Gebiet der Depression“, betont Bergmann. „Ziel ist es, eine frühzeitige
Erkennung beim Hausarzt auf diesem Wege zu sichern und eine rechtzeitige
Überweisung zum Facharzt sowie die richtige Therapie zu gewährleisten.
Dadurch können Arbeitsunfähigkeitstage, Klinikeinweisungen und
Kurmaßnahmen reduziert und letztendlich Kosten für das gesamte
Gesundheitssystem eingespart werden.“
Modellprojekt startet in Aachen
Der Vertrag für das
zukunftsweisende Modellprojekt wurde am Freitag, den 3. Februar, in
Anwesenheit von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in Aachen
unterschrieben. Bewährt sich das Konzept, soll es auf weitere Regionen
ausgedehnt werden. „Ein solcher Vertrag ist überfällig, denn derzeit ist
in Deutschland die medizinische Betreuung von depressiven Menschen
völlig unzureichend“, so der BVDN-Vorsitzende. „Für die ärztliche
Behandlung eines Patienten stehen bislang pro Quartal nur 40 Euro zur
Verfügung. Legt man dieses Honorar zugrunde, würde der Arzt mit seinem
Patienten innerhalb eines Vierteljahres nur zweimal Kontakt haben und
ihn dabei insgesamt 40 Minuten sehen. Weitere Leistungen werden nicht
vergütet. Eine ausreichende Betreuung psychisch schwer kranker Menschen
ist dadurch nicht möglich.“ Und genau hier greift der Vertrag. Die AOK
Rheinland, die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK), die IKK
Nordrhein, die Kaufmännische Krankenkasse sowie
die Landwirtschaftliche Krankenkasse zahlen
künftig bei einer depressiven Erkrankung ihren gesetzlich Versicherten
zusätzlich notwendige Arztbesuche. „Nur so können wir sicherstellen,
dass unsere Patienten nicht auf der Strecke bleiben“, resümiert Dr.
Bergmann.
Bundesweit 4 Millionen Menschen von
Depressionen betroffen
Dass die Vereinbarung zwischen den
psychiatrischen Fachorganisationen, dem Uniklinikum Aachen und den
Kassen zunächst für Patienten mit einer Depression vereinbart wurde, hat
seinen Grund: In Deutschland leiden schätzungsweise fünf Prozent der
Bevölkerung, d.h. etwa vier Millionen Menschen, akut an einer
Depression. Insgesamt entwickeln hierzulande über zehn Millionen
Menschen bis zu ihrem 65. Lebensjahr eine behandlungsbedürftige
Depression, das sind etwa 18 Prozent aller von Krankheit Betroffenen.
Deshalb setzt die DGPPN sich bereits seit mehreren Jahren für neue
patientenorientierte Versorgungskonzepte zur erfolgreichen Behandlung
von psychischen Erkrankungen, wie die IV Depression, ein.
Eine frühe Diagnose
und individuelle Behandlung sind entscheidend. Wird die Depression nicht
erkannt, führt sie zu unnötigem Leiden und im schlimmsten Fall bis zum
Selbstmord. „Schon heute zählt die Depression zu den Volkskrankheiten
und die Anzahl der Betroffenen wird weiter steigen“, erläutert Dr.
Bergmann die derzeitige Situation. Es gibt immer mehr
Krankschreibungen wegen Depressionen trotz ansonsten rückläufigen
Krankenstandes. „Eine Ursache für die
Zunahme ist, dass immer mehr Menschen mit dem Leben nicht mehr
zurechtkommen. Werden beispielsweise aktuelle Lebenskonflikte und
-probleme wie etwa Arbeitslosigkeit oder die Trennung vom Partner nicht
mehr verarbeitet, kann dies in Kombination mit anderen Faktoren eine
schwerwiegende psychische Störung auslösen.“
Teilnehmer
Neben Fachärzten für Nervenheilkunde und
Psychiatrie nehmen Hausärzte und das UKA als psychiatrisches
Fachkrankenhaus aktiv teil. Die Betreuung durch Psychotherapeuten wird
zunächst in gewohnter Weise weitergeführt. Die Hausärzte in dem Projekt
erhalten bei Beginn eine besondere Information nach einem festen
Curriculum, das sie für die Behandlung der Depression auf den aktuellen
Stand bringt.
Themen der Hausarzt-Information:
- • Leitlinien und Behandlungspfade
- • Einteilung und Diagnostik der Depression
- • Indikation für verschiedene Therapieformen
- • Grundzüge der medikamentösen Behandlung
- • Psychoedukation
- • Langzeitbetreuung unter Einbeziehung der
Angehörigen
- • Etablierte Monitoring-Instrumente wie PHQ oder
Hamilton Score
Das Projekt beginnt in der
Region Aachen. Zum Teil sind hier schon eingespielte Strukturen
vorhanden, andere werden gerade aufgebaut. Derzeit ist es für insgesamt
350 Patienten/Jahr ausgelegt.
Für die eingeschriebenen
Patienten bieten sich einige Vorteile:
- • Die Betroffenen werden insgesamt
intensiver betreut.
- • Patienten und ihre Angehörigen
erhalten eine strukturierte Psychoedukati-on.
- • Behandlungstermine werden innerhalb
von 14 Tagen vergeben.
- • Wartezeiten in der Praxis werden im
Regelfall auf 30 Minuten begrenzt.
- • Für die Patienten ist ein
individueller Erinnerungsservice eingerichtet, der sie auf die
nächsten Behandlungsschritte hinweist.
Wenn die Versorgung in
dieser Region eingerichtet ist, können weitere Regionen teilnehmen. Auch
weitere Krankenkassen können dem Vertrag beitreten.
Organisation der Versorgung
Die Leitlinien der DGPPN
bilden die Grundlage für die Inhalte der Versorgung. Für die
organisatorische Umsetzung wurden eigene Behandlungspfade entwickelt,
die auch Anregungen aus dem IV-Rahmenkonzept der DGPPN berücksichtigen.
Die Grundzüge des Konzepts
wurden bereits veröffentlicht. Die Versorgung ist nach
Leistungskomplexen organisiert. Die Basiskomplexe bilden das Grundgerüst
für Patienten deren Behandlung relativ stabil verläuft. Sie werden um
Sonderkomplexe für besondere Situationen ergänzt.
Quelle: DGPN Pressemitteilung Nr. 4 vom 03.02.2006 |