Sicherlich
kennen Sie folgende Weisheiten: „Schenkt dir das Leben Zitronen, mach
Limonade daraus.“ und „Auch mit Steinen, die dir in den Weg geworfen
werden, kannst du etwas Sinnvolles bauen.“ Psychologisch bezeichnet man
eine solche Denkweise als „Utilisieren“, der man ganze Bücher widmen kann
(siehe unten). Für mich gehört der Ansatz zu den hilfreichsten, den ich
kenne. Er motiviert dazu, nicht länger „Probleme zu bekämpfen“, sondern –
wie ein anderer Spruch sagt – „das Beste aus der Situation zu machen“.
Dabei geht „Utilisieren“ noch einen erheblichen Schritt weiter: Es lädt
dazu ein, das „Problem“ regelrecht als „Kraft-, Energie- und Ideenquelle“
zu nutzen. Für einige ostasiatische Kampfkünste (wie etwa AIKIDO oder Jiu
Jitsu ist „Utilisieren“ seit Jahrhunderten ein zentrales Prinzip. Hierbei
geht es darum, sich nicht der Kraft und Energie des Gegners entgegen zu
stellen (ihn also nicht zu „bekämpfen“), sondern seine Energie elegant
aufzugreifen und so zu nutzen, dass sie bei Bedarf den Gegner kampfunfähig
macht (letztendlich mit seinen Mitteln!). Der eigene Krafteinsatz bleibt
dagegen minimal.
Wer
beispielsweise unter einer chronischen Krankheit leidet, kann die daraus
erwachsenden Erfahrungen „nutzen“, um einen Ratgeber zu verfassen und zu
vermarkten. Mit den damit zu erzielenden Einnahmen und dem gestiegenen
Bekanntheitsgrad, erhält man unter Umständen wieder bessere Möglichkeiten,
die chronische Krankheit noch optimaler zu versorgen: Durch das gewachsene
Kontaktnetz erlangt man vielleicht weitere nützliche Erkenntnisse und das
Zusatzeinkommen erleichtert die Finanzierung weiterer Therapien. Auch
manche Opfer von Unfällen oder Gewalttaten schreiben ein Buch. So werden
sie in einer Weise bekannt, wie es ihnen sonst vermutlich nie gelungen
wäre. Dadurch eröffnen sich eventuell wertvolle Kontakte und neue
Handlungsmöglichkeiten. Wer sein Haus durch einen Brand verliert, der hat
nun keinen Hinderungsgrund mehr, den lange gehegten Traum vom „Aussteigen“
endlich umzusetzen oder dorthin zu ziehen, wo er immer schon hin wollte.
Und so gut wie immer ist jede „Störung“ eine Einladung, daran zu üben, zu
lernen und zu wachsen.
Aus
psychologischer Sicht macht „Utilisieren“ einen potenziellen „Feind“ zum
„Verbündeten“, möglicherweise sogar zum „Freund“. Schon dieser
Einstellungs- und Perspektivenwechsel erspart viel unnötig verausgabte
Energie und versetzt uns in einen viel günstigeren Zustand: Statt mögliche
Ängste, Schamgefühle oder Wut und Ärger kontrollieren zu müssen, freuen
wir uns darauf, „aus einer Möglichkeit etwas Sinnvolles für uns machen zu
können“. Wer „utilisierend“ denkt, hadert und klagt nicht länger, sondern
genießt das Erleben einer kreativen Haltung. „Utilisierer“ kehren das
Opfer-Täter-Verhältnis um, indem sie sich nicht in ein vermeintliches
Schicksal fügen, sondern dieses aktiv und zum eigenen Nutzen weiter
gestalten. Dadurch entwickelt sich ein gesundheitsförderliches Gefühl von
„Selbstwirksamkeit“. Utilisierer haben eine „weltoffene Einstellung“ und
das Vertrauen darauf, aus (fast) allem letztlich doch das Beste machen zu
können.
„Utilisieren“
ist keinesfalls nur bei Katastrophen angesagt. Eigentlich steckt hinter
allem, was uns das Leben gerade anbietet, eine Einladung zum „Utilisieren“.
Das kann der Vorschlag sein, sich als Haarschneidemodell zur Verfügung zu
stellen, oder die Einladung zur Teilnahme an einer Demonstration (wofür
oder wogegen auch immer).
Literatur: Hammel, Stefan:
Handbuch der therapeutischen Utilisation. Vom Nutzen des Unnützen in
Psychotherapie, Kinder- und Familientherapie, Heilkunde und Beratung.
Klett-Cotta 2011. ISBN 978-3-608-89108-9. 285 Seiten. Euro 26,95
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