Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Interview zum Thema
Rolle von Vorbildern
mit dem Magazin "CAVALLO"

 

CAVALLO: Warum brauchen Menschen überhaupt Vorbilder?

Dr. Mück: Vom Augenblick seiner Geburt an lernt jeder von uns automatisch am Vorbild. Dabei ist „Lernen durch Nachahmung“ vermutlich die wirksamste und dadurch wohl wichtigste Lernform überhaupt. Wenn wir die Dialekte unserer Umwelt übernehmen, ähnlich bedächtig wie unsere Eltern sprechen oder uns in ähnlichen Körperhaltungen wie sie durch die Welt bewegen, liegt dem immer eine gehörige Portion „Nachahmung von Vorbildern“ zugrunde. Selbstverständlich spielt daneben auch Veranlagung eine Rolle. Heute wissen wir, dass es in unserem Gehirn sog. Spiegelnervenzellen gibt, die – bildhaft gesprochen - wie ein Videorekorder funktionieren und begierig Informationen aus der Außenwelt aufzeichnen und speichern. In den an der Aufzeichnung beteiligten Nervenzellen spiegelt sich gleichsam die Außenwelt wider, wobei dieser Vorgang die Nervenzellen verändert und damit dauerhafte Spuren in unserem Gehirn hinterlässt. Die verbliebenen Spuren stehen uns dann bei Bedarf als konkrete Regieanweisung zur Verfügung. Mit deren Hilfe können wir uns ähnlich verhalten, wie es bei den Lebensvorgängen der Fall war, auf die wir unsere Aufmerksamkeit gerichtet hatten. Wenn wir also eine Person beobachten, die besonders erfolgreich mit der Welt umgeht, fertigen wir gleichzeitig in unserem Gehirn eine Art Film an, die wir anschließend mehr oder weniger gut nachspielen können. Ohne diesen Mechanismus und ohne entsprechende Vorbilder wären wir ziemlich hilflos, da uns dann eingespeicherte Verhaltensprogramme für den Umgang mit der Welt fehlen würden. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, über möglichst viele und zugleich Vorbilder zu verfügen. Dann sind wir für die Wechselfälle des Lebens bestens gerüstet.

CAVALLO: Welche Funktion haben Vorbilder für Psyche und Leistung?

Dr. Mück: Die „menschliche Psyche“ ist nicht etwas, das uns von vornherein fix vorgegeben ist und anschließend allenfalls noch geringfügig verändert werden kann. Vielmehr wird „Psyche“ besonders im Verlauf der ersten Lebensjahre regelrecht aufgebaut, wobei Vorbilder wichtige Bausteine sind: Sie zeigen uns auf, wie man mit der Welt und ihren Möglichkeiten und Problemen umgehen kann. Der menschliche Reifungsprozess unterscheidet sich hier enorm vom Tierreich, wo die wichtigsten Verhaltensmuster schon relativ bald nach der Geburt fertig entwickelt zur Verfügung stehen. Die langjährige und biologisch sehr aufwändige menschliche Reifung hat den Vorteil, dass sich die Psyche der Menschen schon von Generation zu Generation auf völlig neue Umweltbedingungen einstellen kann. Die Menschheit als ganze ist also extrem anpassungs- bzw. entwicklungsfähig. So sind meine Großeltern im Kaiserreich mit der Pferdekutsche und den ersten Eisenbahnen aufgewachsen, durchlebten meine Eltern eine Diktatur und eine beginnende Demokratie, in der sie sich neu mit Radio, Autos, Flugzeugen und Telefon zu befassen hatten, konnte ich selbst in einem geteilten und neu vereinigten Deutschland die erste Landung auf dem Mond mitverfolgen und mich auf eine computerisierte Welt einstellen, wurden meine eigenen Kinder mit Multikanal-Fernsehen, Computer und Handy groß, während meine Enkelkinder in eine längst globalisierte und zunehmend virtuellere Welt hineingeboren werden. All dies gelingt uns mit einem Nervensystem, das nach wie vor auf einfachere Lebensverhältnisse angelegt ist. Heranwachsende verinnerlichen den aktuellen Stand der Welt bzw. der Art und Weise mit dieser umzugehen insbesondere dadurch, dass sie sich an Vorbildern orientieren. In unserer Leistungsgesellschaft zeichnen sich relativ viele potenzielle Vorbilder durch erfolgreiche Leistung aus. Wer sich an ihnen orientiert, wird deshalb oft ebenfalls gerne Leistung erbringen. Wer sich dagegen einen Musiker zum Vorbild nimmt, der für seinen Drogenkonsum und einen lässigen Lebensstil bekannt ist, wird sich eher mit dessen Eigenschaften identifizieren und auf Dauer nicht zu den Leistungsträgern unserer Gesellschaft rechnen.

CAVALLO: Welche Menschen (Alter, Geschlecht, sozialer Status, Lebenssituation) sind besonders empfänglich für den Einfluss positiver oder negativer Vorbilder?

Dr. Mück: Je jünger man ist, umso empfänglicher ist man für den Einfluss von Vorbildern. Unser am Beginn des Lebens noch relativ „unparteiisches“ und offenes Gehirn saugt neue Informationen hungrig ein. Diese hinterlassen dann allerdings unmittelbar Spuren, die zeitlich später eintreffenden Informationen den Zutritt erschweren. Bevorzugt werden dann vor allem solche Informationen aufgenommen, die zu den bereits vorhandenen passen. Deswegen liefern uns frühe Vorbilder oft lebenslang Orientierung und kann es sehr schwer fallen, auf ein gänzlich gegensätzlich wirkendes Vorbild umzuschwenken. Was die Auswahl von Vorbildern betrifft, ist es so, dass sich die meisten Menschen zu Beginn ihres Lebens nahe stehende Personen aus der eigenen Familie zum Vorbild nehmen. Später wählt man sich dann vermehrt Personen des eigenen Geschlechts aus. Wer außerdem noch in den Rang eines Vorbilds aufsteigt, hängt von der jeweiligen Lebenssituation ab. So können Lehrer, Chefs oder Trainer ebenso Vorbilder bzw. Idole für uns werden wie Filmschauspieler, Politiker oder Künstler. Wenn wir dann auch noch in Gruppen leben oder aufwachsen, die sich mehrheitlich für ein Idol begeistern, kann uns dies anstecken (siehe die erwähnten Spiegelnervenzellen). Allein schon aufgrund der „Ansteckung“ können wir uns dann ebenfalls von dem betreffenden Vorbild in den Bann ziehen lassen.

CAVALLO: Inwiefern kommt Vorbildern im Bereich Sport eine besondere Rolle zu?

Dr. Mück: In unser immer bewegungsärmer werdenden Zivilisation sind sportliche Vorbilder ein wichtiger Garant von Gesundheit und Bewegungsfreude. Sie können uns motivieren, trotz eines Hangs zur Bequemlichkeit weiter aktiv zu bleiben und regelmäßiger körperlicher Aktivität nachzugehen. Außerdem leben sie uns vor, welcher Mühe, Ausdauer und Schwierigkeiten es bedarf, um im Leistungssport Erfolge zu erzielen. Ein Glücksfall ist es, wenn Vorbilder im Sport auch außerhalb des Sports durch ihre Persönlichkeit und Lebensführung überzeugen. Dann strahlt ihr Vorbild auf viele Lebensbereiche aus. In der Prävention macht man sich dies in Form von Kampagnen zunutze, in denen sich Leistungssportler beispielsweise für Fairness oder Drogenverzicht stark machen. 

CAVALLO: Müssen Vorbilder perfekt sein, oder dürfen sie auch Schwächen/Unzulänglichkeiten haben; sind solche Schwächen vielleicht sogar wichtig für die Identifikation mit einem Idol?

Dr. Mück: Vorbilder sollten auf jeden Fall so menschlich wie möglich sein, also alles andere als „perfekt“ wirken. Sonst ist die Frustration vorprogrammiert. Denn solchen Vorbildern kann man ja nie gerecht werden kann. Vielleicht erklärt sich so das Bemühen mancher Medien, die sich auf das Aufdecken von Skandalen Prominenter regelrecht spezialisiert haben. Sie erzielen hohe Umsätze, indem sie die meisten Idole von ihren Podesten holen und als Normalsterbliche erscheinen lassen. Indem sie deren Schwächen und Probleme dokumentieren, verschaffen sie dem Zuschauer oder Leser Erleichterung, mitunter vielleicht sogar Genugtuung. Denn im Vergleich zum Idol muss sich der Betreffende nicht mehr so winzig oder gar als Versager fühlen. Wer Ähnlichkeiten mit einer bewunderten Person wieder erkennt, wird sich leichter mit dieser identifizieren. Allein schon unter diesem Gesichtspunkt ist es sicher förderlich, wenn Vorbilder als Menschen mit Schwächen und Unzulänglichkeiten erscheinen. Ein Weiteres und vermutlich noch Wichtigeres kommt hinzu: Indem solche Menschen zeigen, dass sie trotz Schwächen und Unzulänglichkeiten Vorbildhaftes leisten, werden sie letztendlich erst zum realistischen Vorbild. Die Erkenntnis, dass einem perfekten und 100 Prozent gesunden Strahlemann oder einer Strahlefrau vieles zufliegt, motiviert einen Menschen weniger, da ihm ja die meisten dieser Grundlagen offensichtlich fehlen. Entsprechend größer ist die Motivation, wenn uns Vorbilder vorleben, was man trotz Schwierigkeiten langfristig bewirken kann. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die von manchen Sportlern ausgehende Faszination, wie etwa dem Radrennfahrer Lance Armstrong, der nach einer schweren Krebserkrankung Spitzenleistungen erbrachte.