49-jähriger Patient mit
Somatisierungsstörung
Meine Erfahrungen mit Ihrem "Email-Service": Für mich war das
Sitzungsfeedback von Anfang an eine Möglichkeit, positive Erfahrungen der
letzten Sitzung hervorzuheben, aber auch Kritik zu üben, wenn ich mich
miss- oder gar unverstanden fühlte. Oder auch ganz neue Aspekte
einzuführen, deren mögliche Bedeutung für die Therapie mir erst durch die
vergangene Sitzung bewusst wurden. Das Wichtigste aber ist für mich die
Möglichkeit, meine Gedanken zu Hause am PC ohne Zeitdruck niederschreiben
zu können.
Das größte Problem für mich war immer die begrenzte Sitzungszeit. Bei
vielen besprochenen Sachverhalten hätte ich gerne schon während der
Sitzung viel mehr dazu sagen mögen. Angesichts der zeitlichen Begrenzung
habe ich dann oft darauf verzichtet (oder musste von Ihnen gestoppt
werden). Zudem ist es manchmal auch schwierig, auf bestimmte Fragen sofort
in der Sitzung zu antworten. Vielleicht weil sie Sachverhalte betreffen,
über die man sich zuvor noch nie Gedanken gemacht hat oder Dinge, über die
man einfach nicht gerne spricht. Man antwortet dann meist trotzdem (weil
es ja weitergehen muss), obwohl man mit der eigenen Antwort schon in
diesem Augenblick unzufrieden ist – allerdings meist ohne den Grund dafür
zu kennen.
Deshalb ist Ihr Email-Service für mich ein „Segen“. Er hebt den Zeitdruck
der begrenzten Sitzungszeit auf und gibt mir die Möglichkeit, in aller
Ruhe all das zu formulieren, was mir wichtig ist und in der Sitzung
vielleicht viel zu kurz kam oder gar nicht angesprochen wurde. Außerdem
kann ich das mit einer gewissen Anonymität tun (ich weiß, das hört sich
abenteuerlich an, mir fällt aber keine bessere Umschreibung ein). Man muss
das möglicherweise tatsächlich mit der vielzitierten Anonymität des
Internets vergleichen, die es vielen Menschen ermöglicht, z.B. in
Chatrooms Dinge über sich zu schreiben, die sie in einem persönlichen
Gespräch nie über die Lippen bringen würden. Ich sitze hier und schreibe,
der PC ist geduldig, nimmt alles einfach an, hat keine störenden
Rückfragen, äußert keine inhaltlichen Zweifel. Ich kann Sie so an meinen
Gedanken teilhaben lassen, ohne (sofort) einem Rechtfertigungs- oder
Erklärungsdruck ausgesetzt zu sein.
Außerdem habe ich so die Möglichkeit, Sie mit zusätzlichen umfangreichen (Detail-)Informationen
„zu versorgen“. Aus meiner Sicht kann eine Therapie nur erfolgreich sein,
wenn der Therapeut seinen Patienten wirklich umfassend kennt. Und das ist
m.E. in der kurzen Sitzungszeit nicht möglich. Allerdings habe ich
festgestellt, dass mit den zunehmenden Informationen auch meine
Erwartungen an Sie / an die Therapie sehr stark gestiegen sind. Der
Gedanke „Jetzt weiß er doch wirklich alles, jetzt muss er es doch endlich
mal verstehen“ umschreibt das wohl ganz gut.
Bleiben diese Erwartungen dann aber unerfüllt, macht sich sehr schnell
Frustration breit und das setzt dann quasi einen „Teufelskreis“ in Gang.
Man versucht das Ganze / das Gleiche immer und immer wieder mit anderen
Worten darzustellen – die Informationsflut steigt. Man hat das Gefühl, die
Komplexität habe exponentiell zugenommen, ohne das damit irgendetwas
erreicht wurde. Und die Frustration wächst. Selbstzweifel kommen hinzu
(„Warum gelingt es dir nicht, das Ganze so darzustellen, dass er es
versteht?“ „Oder sind deine Ansichten so weltfremd, dass er es nicht
verstehen kann?“ usw.).
Nun könnte man auf den Gedanken kommen, dem den positiven Effekt
entgegenzuhalten, den allein die Tatsache mit sich bringt, sich mal etwas
von der Seele reden bzw. schreiben zu können. Diesen Effekt habe ich
tatsächlich auch beobachtet. M.E. ist diese „Beschäftigungstherapie“ aber
nur solange sinnvoll, wie die neuen, zusätzlichen Informationen auch in
die (Sitzungs-)Therapie integriert werden (können). Alle diese
sitzungsbegleitenden und –ergänzenden Möglichkeiten können das persönliche
Therapiegespräch nämlich nicht ersetzen, in dem der Patient dann aber
erwartet, dass der Therapeut ja nun umfassend genug informiert ist, um
seine Lebenssituation vollumfänglich zu verstehen und das im günstigsten
Fall auch zum Ausdruck bringt.
Ich glaube inzwischen, dass gerade diese zunehmende Informationsflut /
Komplexität die „Achillesferse“ des Email-Service ist. Seine Grenze ist
dort erreicht, wo die Grenze der Leistungsfähigkeit des Therapeuten
erreicht oder gar überschritten wird. Führt das im Extremfall
möglicherweise sogar dazu, dass der Therapeut eigenes Fehlverhalten nicht
mehr erkennt, ist die Gefahr sehr groß, dass die Therapie allein an dem
damit einhergehenden Vertrauensverlust des Patienten scheitert. |