Langjährige (leider erfolglose) Therapien haben mich zu den
grundsätzlichen Überlegungen angeregt, warum es nicht einfach ist,
Therapiepatient zu sein? Die Schwierigkeiten ergeben quasi naturgemäß
aus den Rollen von Therapeut und Patient in ihrem Zusammenspiel. Die
therapeutische Beziehung zeichnet sich stets durch ein großes Gefälle
zwischen Therapeut und Patient aus.
- Der Patient hat ein Problem, eine Störung, mit der er nicht mehr leben
kann oder will und die er deshalb behandeln lassen möchte. Es handelt
sich um eine seelische Krankheit, für die es sogar eine Diagnoseziffer
gibt und deren Verarztung von den Kassen bezahlt wird. Der Therapeut ist
der Fachmann und hat (anscheinend) ein Konzept zur Lösung. Selbst wenn
der Patient an der Festsetzung der Ziele und Behandlungsschritte
beteiligt ist oder sie sogar eigenständig vorgibt, so muss er dennoch
die Kraft und den Mut aufbringen, sich dem Therapeuten anzuvertrauen.
Dies ist immer schwierig, denn trotz einiger probatorischer Sitzungen
kennt er ihn im Grunde nicht und der Erfolg der Behandlung ist höchst
ungewiss.
- Der Therapeut kommentiert die vorgetragenen Gedanken, Gefühle und
Verhaltensweisen des Patienten. Dadurch erscheint er ihm oftmals wie ein
Übervater, der alles einordnen und beurteilen kann, der weiß, was
richtig und falsch ist. Der Patient fühlt sich wie ein Schüler, der noch
viel lernen muss, wenn er seine Störung überwinden will. Diese Situation
ist für den Patienten schon schwer genug. Wenn aber z. B. seelische
Verletzungen nicht anerkannt und gewürdigt werden, wird der Patient
erneut stark verletzt. Gründe für ein solches Vorgehen des Therapeuten
haben ihre Ursache in seiner Auffassung von Therapie. Manchmal ist auch
seine persönliche Lebensgeschichte, die er nicht aufgearbeitet hat und
die deshalb in die Therapie hineinspielt, dafür verantwortlich.
- Der Patient erzählt in großem Vertrauen (falls er es aufbringen kann)
alles von sich, auch sehr Persönliches und Intimes, was er sonst
niemandem sagen würde. Vom Therapeuten weiß er fast nichts. Irgendwann
entsteht der Wunsch, ihn näher kennen zu lernen, was aber nicht geht.
Die Unkenntnis über das Leben des Therapeuten führt im Patienten leicht
zu der Vorstellung, er habe einen Menschen vor sich, der alles im Griff
hat.
- Für den Patienten ist die Stunde ein- bis zweimal wöchentlich oder
seltener oft die wichtigste Zeit, auf die er sich freut, die er
zumindest erwartet, weil er dann etwas loswerden kann, auf jeden Fall
aber im Mittelpunkt steht. Für den Therapeuten ist es Arbeit, ein
Patient folgt dem nächsten.
- Der Patient hat nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung, dann muss er
gehen, auch wenn noch vieles nicht gesagt oder er durch das Gespräch
aufgewühlt wurde. Wie er dann mit den Gefühlen fertig wird, ist seine
Sache. Für den Therapeuten ist es der normale Arbeitsrhythmus.
- Die Aufmerksamkeit eines anderen Menschen, eventuell auch ein wenig
Nähe und Zuwendung zu erhalten, kostet ziemlich viel Geld. Für den
Therapeuten ist es der Beruf, anderen Gehör zu schenken. Er ist
gefühlsmäßig nur bedingt beteiligt. Es ist ein
Dienstleistungsverhältnis, d. h. eine künstliche Beziehung gegen
Bezahlung.
- Das therapeutische Gespräch hat zwar seine eigenen Regeln, ist aber
wie jedes Gespräch im Alltag auch anfällig für Störungen und
Missverständnisse. Da der leidende Patient mit hohen Erwartungen in
puncto Kompetenz und Menschlichkeit des Therapeuten in die Stunde kommt,
ist die Enttäuschung umso größer, wenn der Behandlungserfolg ausbleibt.
Grundvoraussetzung für eine Heilung ist ein respektvoller Umgang mit dem
Patienten. Er möchte hinter seinem Problem als vollwertiger Mensch
gesehen und anerkannt werden.
- Der Patient sucht leidbedingt oftmals stärker als andere, manchmal
geradezu verzweifelt nach dem Sinn des Lebens und erwartet vom
Therapeuten eine Antwort. Er kann, will und darf sie ihm nicht geben,
aber es wäre gut, wenn der Patient bei der Suche danach vom Therapeuten
unterstützt würde.
Alles in allem besteht ein Ungleichgewicht zwischen Klient und
Therapeut, was es auch zwischen einem Arzt für körperliche Leiden und
seinem Patienten gibt. Aber hier akzeptiert jeder wie selbstverständlich
die fachliche Überlegenheit. Ein Installateur weiß in der Regel auch
mehr über die Heizung als ein Bäcker, der meist keine Autos reparieren
kann. Nur mit der Seele ist es so eine eigene Angelegenheit. Seelisch
krank zu sein, es sich und anderen eingestehen, ist schon eine Kränkung
an sich und schambesetzt. Hinzu kommt, dass die Heilung oder Besserung
psychischer Leiden nicht nach so klaren und einfachen Regeln zu
bewerkstelligen ist wie eine Blinddarmoperation. Man muss sich längere
Zeit auf eine Therapie und einen Therapeuten - auch gefühlsmäßig -
einlassen, um der Gesundung überhaupt eine Chance zu geben. Dabei ist es
für Patienten mit geringem Selbstwertgefühl besonders schwierig,
trotzdem einen eigenen kritischen Standpunkt zu finden und Distanz zu
wahren. Sie fühlen sich ohnehin anderen unterlegen und neigen dazu, sich
anzupassen, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erhalten. Sollte es in
der Therapie zu einer Verstrickung der Probleme von Therapeut und
Patient kommen und der Fachmann verliert den Überblick, so ist ein
seelisch bedürftiger Patient hoffnungslos verloren und sein Leiden
vergrößert sich um ein Vielfaches.
Dieser in der Sache
begründeten Schwierigkeiten sollte sich der Therapeut immer bewusst
sein und sein Verhalten daran ausrichten. Wenn er dem Patienten
nicht helfen kann, ist dies schon schlimm genug, aber dann richtet er
wenigstens nicht noch größeren Schaden an. |