Diese Therapie hat mir auch nicht geholfen, sondern mindestens ebenso
großen Schaden angerichtet wie die erste. Obwohl die letzte Stunde jetzt
(November 2008) schon über drei Jahre zurückliegt, kann ich sie immer
noch nicht abhaken.
Diese Behandlung dauerte von August 2003 bis
Juli 2005 (100 Stunden) und war eine sogenannte tiefenpsychologisch
fundierte. Ich habe diese Methode gewählt, weil ich meinem Problem im
wahrsten Sinne des Wortes auf den Grund gehen wollte: Betrachtung meines
Lebens von Kindheit, um so den Gründen für mein Problem auf sie Spur
kommen zu wollen. Herr X war von Hause aus Tiefenpsychologe, hatte aber
eine Zusatzausbildung in „Analytischer Intensivbehandlung“ (WGI). Nach
der Diagnosestellung wollte er meine Angststörung analytisch behandeln
und erklärte mir zu Beginn gleich die Spielregeln dieses Verfahrens, mit
denen ich so meine Schwierigkeiten hatte. Zu Beginn jeder Stunde
forderte er mich auf zu sagen, was mir im Moment durch den Sinn ginge.
Das war mir kaum möglich, denn ich brachte in jeder Stunde die Ängste
und Spannungen der vergangenen Woche mit und wollte natürlich darüber
sprechen, was ich auch tat. Manchmal hatte ich eine halbe Stunde vor
der Sitzung irgendein körperliches Symptom entdeckt und hatte deshalb
Panik. Da war es doch klar, dass dies mein Thema war. So weit ich weiß,
ist es nicht fachgerecht, bei der analytischen Therapie den Patienten
nur einmal wöchentlich kommen zu lassen. Bei mir war das so – bis auf
eine kurze Zeit, in der ich zweimal kommen konnte. Aber auch häufigere
Termine hätten nichts zum Erfolg beigetragen, denn ich war nicht
imstande, seine verletzenden und meiner Ansicht nach unzutreffenden
Kommentare auch nur wenige Stunden oder gar Tage auszuhalten, ohne mit
jemandem darüber zu reden. Entweder rief ich ihn selbst (erst ungefähr
nach einem Jahr Therapie) am selben oder nächsten Tag an, um mich zu
erleichtern, oder ich erzählte meinem Mann oder Hausarzt davon. Das
verordnete Schweigegebot beachtete ich demnach nicht. Auch an seine
Vorschrift, Arztbesuche vorher mit ihm abzusprechen, hielt ich mich
nicht. Wie denn auch? Wir überlegten niemals, was ich während einer
Panik zu meiner Beruhigung tun könnte. Eine Zeitlang (ca. 20-25 Stunden)
lag ich wie in einer „richtigen“ Analyse auf der Couch, und er saß
hinter mir. Diese unpersönliche Art des Kontaktes hielt ich nicht aus
und stand gegen den Willen des Therapeuten wieder auf und setzte mich
ihm gegenüber.
Wegen der Nichteinhaltung der Spielregeln
machte Herr X mich am Ende für das Scheitern der Therapie
verantwortlich. „Sie sind eine therapieresistente kleine Seele mit einer
Persönlichkeitsstörung.“ Anfangs monierte er hin und wieder, dass ich
die Regeln nicht beachtete, aber wir suchten nie nach den Gründen. Er
schien nicht zu sehen, dass ich mit meiner permanenten Angst zu einer
„Analyse“ nicht fähig war. Obwohl er doch merken musste, dass es mir
immer schlechter ging, hat er sich nie auf eine Zwischenbilanz
eingelassen. Auch die Fragen meines Mannes nach dem ausbleibenden
Therapieerfolg und seinen Ursachen blieben unbeantwortet. Sturheil ging
es immer weiter. Ich halte ihn in dieser Hinsicht für unehrlich und
feige, er log sich was in die eigene Tasche.
Dass die Therapie infolge eines falschen
Konzepts (Analyse bei Angst?) missglückte und das Problem weiter
bestand, ist schon schlimm genug. Viel schlimmer sind die vielen
Verletzungen, die mir Herr X in dieser Zeit zufügte. Seine Art mit mir
umzugehen, lässt sich am besten mit Hilfe von Beispielen verdeutlichen.
Ich ordne sie drei Bereichen zu, wobei es Überschneidungen gibt.
I Abrechnungsbetrug
II unhöfliches und respektloses Benehmen
III unzutreffende und verletzende Kommentare
Zu I) Abrechnungsbetrug
Herr X berechnete für das Verfassen der drei
Beihilfe-Gutachten insgesamt sechs zusätzliche Stunden, die nicht
gehalten wurden. Er müsse das so handhaben, sagte er mir, weil er mit
dem üblichen 2,3fachen Satz (€ 53,63) nicht auskomme. Eigentlich war ich
damit nicht einverstanden, weil so am Ende vielleicht wertvolle
Therapiestunden verloren gingen. Da ich jedoch Angst hatte, bei einem
evt. Nein weggeschickt zu werden, widersprach ich nicht. Die
ausgefallene Stunde am Beerdigungstag meines Schwiegervaters habe ich
ihm bar ohne Quittung (€ 70,00) bezahlen müssen. In der persönlichen und
familiären Aufregung dieser Tage hatte ich geglaubt, an diesem Tag
keinen Termin zu haben und deshalb erst einen Tag vorher abgesagt. Es
war nicht klar gesagt worden, wie lange vorher man absagen muss. Auch an
diesem Tag hat er eine zusätzliche Stunde angesetzt. Eine nicht
gehaltene Stunde wurde also gleich doppelt abkassiert.
Am 31. Januar 2005 gab er mir nach der
Stunde die Rechnung für den laufenden Monat. Na, dachte ich, der ist
aber schnell, nun warum nicht. Ich überflog die Rechnung und sah, dass
er eine Stunde am 3.1. angesetzt hatte. Ich sagte ihm, dass ich an
diesem Tag nicht bei ihm gewesen sei. „Ja, ich weiß“, sagte er, „die ist
auch schon für das nächste Gutachten, das bald fällig wird.“ Wir hatten
noch nicht darüber gesprochen, dass wieder nicht gehaltene Stunden für
ein Gutachten berechnet werden sollten. Ich sagte aber nichts und ging.
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Draußen auf der Straße war mein
erster Gedanke: Nun der ist auch nicht besser als dein Mann, der stellt
dich ja auch oft vor vollendete Tatsachen. In der nächsten Stunde sprach
ich den Therapeuten auf die Rechnung an und beanstandete, dass nicht
abgesprochen worden sei, für das nächste Gutachten wieder eine Stunde
zusätzlich zu berechnen. „Nein, nein,“ sagte er, „die ist auch nicht das
demnächst fällige Gutachten. Ich brauche sie noch für das letzte vom
Herbst, da habe ich nämlich erst eine Stunde zusätzlich für angesetzt.“
Ich wusste nicht, ob das stimmt, denn ich hatte nicht so genau
aufgepasst. Ich erzählte ihm dann noch von dem Vergleich mit meinem
Mann, der mich bei Entscheidungen häufig übergeht. Der Kommentar von
Herrn X: „Ja, so sind wir Männer eben!“ Ich war so perplex, dass mir
spontan keine Antwort einfiel. Wochenlang trug ich die Rechnung in
meiner Handtasche spazieren, legte sie also nicht zu den übrigen
Arztrechnungen. Irgendwann bezahlte ich sie auch. In dem missglückten
Klärungsgespräch mit Herrn X (Ende März 2006) erzählte ich ihm von
seiner Bemerkung. Er.: „Das ist ja unglaublich!“ Wer oder was ist denn
hier unglaublich?
Eines meiner Probleme war es immer, dass ich
zu wenig selbstbewusst bin und aus Angst vor Ablehnung nicht nein sagen
kann. Statt mich in dieser Hinsicht zu stärken, nutzte mein Therapeut
diese Schwäche für seinen eigenen finanziellen Vorteil aus und
behandelte mich dabei auch noch respektlos, wie das folgende Beispiel
zeigt.
Als die Rechnungen der Beihilfestelle
einreichte, wunderte ich mich, warum der Preis für die Gutachten nicht
voll erstattet wurde. Ich sagte es Herrn X, er zuckte nur mit den
Schultern. Bei der dritten Rechnung für ein Gutachten ging ich der Sache
anhand der GOP genauer nach. Er hatte einfach 2,3fach hingeschrieben,
aber den Betrag für den 3fachen Satz (80,60 €) angegeben. Der
Unterschied liegt bei 27,97 €. So viel Dreistigkeit hatte ich nicht
vermutet. Als ich ihm das zu Beginn einer Stunde mitteilte und eine
Rechnung als Beweis zeigen wollte, wurde er böse und sagte: „Was haben
Sie den jetzt schon wieder?“ Ich schwieg und versuchte, die Sache zu
verdrängen.
Eine finanzielle Schädigung meinerseits
geschah auch dadurch, dass Herr X in keiner Stunde die vorgesehene Dauer
von 50 Minuten nicht einhielt. Ich werde davon unter II berichten.
Seine Betrügereien (Berechnung nicht
gehaltener Stunden, 3facher statt 2,3facher Satz für die Gutachten und
ständig zu kurze Stunden) habe ich in etwa wieder ausgeglichen, indem
ich die beiden letzten Rechnungen nicht bezahlt und ihm so das
erschlichene Geld wieder abgenommen habe. Der seelische Schaden lässt
sich nicht in Euro beziffern. Meine Selbsteinschätzung wurde dadurch
bestärkt: Mit der kann man das ja machen, die wehrt dich nicht.
Zu II) Unhöfliches und respektloses Benehmen
Obwohl ich immer pünktlich war, begann keine
der 100 Therapiestunden zum festgesetzten Zeitpunkt. Dies ist mir umso
unverständlicher, als kaum jemals ein Patient vor mir da war. Herr X
ließ mich zwischen zwei und fünfzehn Minuten länger warten. Diese Zeit
wurde keineswegs auch nur annähernd am Ende der Stunde nachgeholt. Als
zum ersten Mal eine Stunde über zehn Minuten zu kurz war, beanstandete
ich das. „Darüber reden wir nächste Stunde.“ Ich sagte nichts mehr, ging
und ärgerte mich. Beim nächsten Termin war ich absichtlich zehn Minuten
zu früh da. Als ich seine Unpünktlichkeit zur Sprache brachte, gab er
nichts zu. Statt dessen wurde ich ausgeschimpft. „Was kommen Sie auch so
früh? Ich musste Sie stören, weil ich etwas aus dem Schrank im
Wartezimmer zu holen hatte.“ Es gab viele Stunden, die erheblich später
als vorgesehen begonnen wurden: mal war es die stressige Mittagspause,
nach der er noch rauchen musste, mal arbeitete er mit dem Laptop und
fand kein Ende, mal hatte er noch ein wichtiges Telefonat, mal hatte er
Besuch (kein Patient), der länger blieb, mal musste er sich noch
rasieren und die Schuhe anziehen, mal (meistens) hatte er wahrscheinlich
schlicht und einfach keine Lust. Immer wieder kritisierte ich dieses
Verhalten, aber es änderte sich im Grunde nichts. Vielleicht war es
danach ein- oder zweimal besser, dann riss es wieder ein. Eines handelte
ich mir mit meinem Nörgeln eine wenig schmeichelhafte Bemerkung ein:
„Sie sind eine pingelige und gierige kleine Seele mit einer
Persönlichkeitsstörung.“ Diesen Satz empfand ich als den Gipfel (verbal)
seines respektlosen Benehmens.
Nicht nur die zu kurzen Stunden (50 Minuten
sind 50 Minuten) verletzten mich, sondern natürlich auch die Tatsache,
dass meine Kritik an ihm abprallte. Er scheint kein Gefühl dafür gehabt
zu haben, wie kränkend und damit therapeutisch kontraproduktiv er sich
verhielt.
Bezeichnend für ihn war es auch, dass er
sich nicht entschuldigte, als ich einmal mehrere Minuten vor
verschlossener Tür stand, weil er sich verspätet hatte. Die verlorene
Zeit, die sich durch Umziehen (er war Motorradfahrer) noch erhöhte,
wurde nicht drangehängt.
Die Begrüßung und Verabschiedung, die
sicherlich ein nicht unwichtiger Bestandteil des menschlichen Umgangs
miteinander ist, war in dieser Therapie sehr unpersönlich. Ich
klingelte, und die Tür wurde automatisch geöffnet. Eine Weile musste ich
im Wartezimmer bleiben, bis ich schließlich hereingerufen wurde. Im
Zwischenraum begrüßte mich Herr X, wobei er fast immer hinter seinem
kleinen Schreibtisch sitzen blieb. Dann schickte er mich ins
Behandlungszimmer, und ich wartete auch dort, bis er endlich mit der
Stunde begann. Bei der Begrüßung und Verabschiedung sprach er mich nur
selten mit meinem Namen an.
Eine Spezialität, die dieser Herr jede
Stunde praktizierte, war ihr plötzliches Ende. Wenn die Zeit vorbei war
oder eben auch nicht, stand er unvermittelt auf, räumte seinen
Notizzettel weg und lief aus dem Zimmer. Dabei spielte es keine Rolle,
dass ich noch sprach. Ich verstummte meist sofort. Manchmal hatte ich
Glück und bekam im Hinausgehen eine Bemerkung von ihm: „Wie auch immer
o.ä.“ Nie gab es irgendeine Art von Schlusssatz. Mir blieb nichts
anderes übrig, als aufzustehen und ebenfalls den Raum zu verlassen. Ich
war jedes Mal aufs Neue befremdet von diesem unhöflichen Verhalten. Es
wäre in analytischen Therapien so üblich, sagte er mir. Anna Freud hätte
das auch so gemacht. Sofort nach dem Verlassen des Behandlungszimmers
stellte er sich hinter seinen Schreibtisch im Zwischenraum, steckte sich
eine Zigarette an und gab mir einen neuen Termin. Dann ging ich. So gut
wie nie sagte er ein persönliches Wort zu mir.
Herr X reichte mir auch auf eine seltsame
Art die Hand. Normalerweise liegen beim Händegeben die Handflächen mit
leichtem Druck vollständig aufeinander. Bei ihm bekam ich immer ein
„hohles Händchen“, so als ob er den Kontakt mit mir im Grunde nicht
wirklich wollte. So empfand ich es jedenfalls.
Sehr verletzend wirkte auf mich seine
Sitzposition. Hinter einem großen leeren Schreibtisch saß er auf einem
Drehstuhl, mit dem er sich öfter hin und her bewegte. Seine Haltung war
dabei immer so seitwärts gewandt, dass er mich nicht anblicken musste.
Einmal kehrte er mir für etliche Sekunden sogar den Rücken zu. Als ich
zum ersten Mal dieses Verhalten bemängelte, hatte er folgende Erklärung:
„Sie haben in den letzten Stunden ständig von Ihrem früheren Therapeuten
erzählt. Ich war eifersüchtig.“ Was sollte ich von solch einer erstmalig
sehr persönlichen Bemerkung halten? Es sah aus, als hätte er Probleme
damit, wenn ich von der vorgegangenen Therapie berichtete. Sie war
zunächst (scheinbar) sehr harmonisch, half mir weiter, endete
schließlich jedoch in einem Fiasko. Es gab noch eine andere Begründung,
warum er mir nicht ins Gesicht sehen wollte. „Ich will nicht jeden Tag
acht Stunden lang Patienten anschauen müssen und auch nicht von ihnen
angeblickt werden.“ Dass ich ihn ansah, konnte er nicht verhindern,
solange ich ihm gegenüber saß. Vielleicht ist hier ein Grund zu finden,
warum er versuchte, mich möglichst bald auf die Couch zu legen. Er
wusste allem Anschein nach nicht, wie wichtig es für mich war, als
Mensch wahrgenommen zu werden. Er hat mich im wörtlichen und
übertragenen Sinne keines Blickes gewürdigt.
Manchmal fanden die Sitzungen im Privathaus
von Herrn X statt. Ich erinnere mich gut an einige Termine morgens um
neun Uhr. Trotz der großen Entfernung von meinem Wohnort (ca. 50 km) und
des morgendlichen Berufsverkehrs in einer Großstadt war ich stets
pünktlich. Nach dem automatischen Öffnen der Haustür wurde ich durch
Zuruf aus einer oberen Etage ins Behandlungszimmer geschickt und
gebeten, die Heizung aufzudrehen. Immer musste ich auch hier über die
festgesetzte Zeit hinaus warten, bis er persönlich erschien und die
Stunde begann. Obwohl es draußen bitter kalt war (weit unter null),
schaffte er es kein einziges Mal, rechtzeitig zu heizen. Ich lag oder
saß im Mantel da. Was sollte ich davon halten?
Dann und wann malte Herr X in den Stunden –
für mich gut sichtbar – Blümchen auf seinen Notizblock, bearbeitete
seine Nagelhaut und sah ständig auf die Uhr. Vielleicht hätte ich ihm
gute Witze erzählen sollen, damit er sich nicht so langweilt.
Eines Tages lag zu Beginn der Stunde ein
Telefonhörer auf dem Schreibtisch im Behandlungszimmer. Zehn Minuten vor
dem regulären Ende der Zeit klingelte es. Herr X fragte mit einem
Kopfnicken, ob er rangehen dürfe. Ich war einverstanden. Er ging aus dem
Raum und telefonierte einige Minuten. Ich hatte naiverweise geglaubt,
unser unterbrochenes Gespräch würde danach fortgesetzt. Doch nein, er
kam nicht zurück, sondern rief mich zu sich. Mal wieder war eine Stunde
erheblich zu kurz. Bei der Verabschiedung sagte er zu mir: „Ich erwarte
Ihren Anruf.“ Ich fand das zynisch und wusste mein Gefühl der Wut und
Machtlosigkeit nicht anders abzureagieren, als ihn am Abend tatsächlich
anzurufen. „Sie hatten doch nichts dagegen“, war alles, was ich als
Antwort bekam.
Nach etwa einem Jahr Therapie rief ich Herrn
X in einer Panik zum ersten Mal zu Hause an. Er sprach auch mit mir und
berechnete die Zeit des Anrufs. So weit, so gut. Es gab allerdings nie
eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen uns, dass Telefonate zusätzlich
zu den Stunden möglich waren. Manchmal kam ich mit meinem Anruf
ungelegen. So hatte ich an einem Samstagnachmittag eine schlimme
Panikattacke und steckte mit meinem Fahrrad auf einem Acker im Schlamm
fest. Ich kam nicht dazu, ihm meine Situation zu erklären. „Ich habe
Gäste, es geht jetzt nicht.“ Ich hätte heulen können. Vielleicht wäre es
sinnvoll gewesen, in dieser Angelegenheit eine klare Vereinbarung zu
treffen. Von keiner Seite aus wurde hier etwas geregelt.
Es mögen Kleinigkeiten sein, die ich hier
beschreibe. Im Einzelnen mag dieses oder jenes Verhalten mal vorkommen,
erklärlich und entschuldbar sein. Aber die Häufung vieler verschiedener
Taktlosigkeiten wirkte respektlos und demütigend. In Verbindung mit der
Geschäftstüchtigkeit riefen sie in mir ein ungutes Gefühl hervor:
nämlich allenfalls als Verdienstquelle bei Herrn X willkommen zu sein.
Zu III) Unzutreffende und verletzende
Kommentare
Die seelischen Verletzungen durch den
Abrechnungsbetrug und das unhöfliche Benehmen hätten an sich schon
ausgereicht, den Erfolg der Therapie zu beeinträchtigen Hinzu kommen
leider noch viele Verwundungen, die quasi Bestandteil der Behandlung
waren. Die therapeutischen Kommentare verhalfen mir nicht zu größerer
Einsicht in und mehr Verständnis für mein Seelenleben, sondern taten
einfach nur weh. Ich fühlte mich verkannt und falsch beurteilt.
Zu Beginn der Behandlung musste ich an einem
Samstagmorgen extra kommen und mit einer Kollegin im Auftrag von Herrn X
verschiedene Tests machen:
HAWIE - Intelligenztest
Rorschachtest
Baumtest
Einen Mann und eine Frau malen (Test?)
Zu drei vorgelegten Bildern spontan
Geschichten erfinden
Diese Tests, die Herr X angeblich für die
Abfassung des ersten Gutachtens brauchte, musste ich größtenteils selbst
bezahlen. Was damit herausgefunden werden sollte, wurde mir nicht
erklärt. Wohl wurden die Ergebnisse auf eine recht eigenartige Weise mit
mir besprochen. Herr X stellte nur die eindeutig negativ bewerteten
Teile vor: ich hätte primitiv oder falsch (Baum, Mann, Frau) gemalt,
beim Rorschachtest seltsame Deutungen gegeben und beim Intelligenztest
zwar gut abgeschnitten, aber die Zahlenreihen nicht behalten können und
einem Punkt einen Aussetzer gehabt. Dass ich zu den Bildern ohne
Überlegung Geschichten erfinden konnte, erwähnte er nicht, demnach auch
nicht, was sie über mich aussagen. Vielleicht sind solche Tests ohnehin
fragwürdig, und ein guter Psychologe weiß auch so, wen er vor sich hat.
Vielleicht ist es auch kleinlich und zeugt von wenig Selbstbewusstsein,
durch gute Ergebnisse aufgewertet werden zu wollen. Aber hier zeigte
sich im Grunde schon die Tendenz von Herrn X: nämlich ja niemals etwas
Positives hervorzuheben – und wenn schon Bewertung – dann allenfalls
negativ zu kritisieren. Einmal sagte er mir wörtlich: „Lob gibt es hier
nicht. Und Selbstbewusstsein entwickeln, das kann diese Therapie nicht
leisten. Vielleicht haben Sie am Ende wirklich Krebs, aber dann kennen
Sie sich wenigstens.“ Auf jeden Fall war ich durch die Tests unangenehm
berührt. Ich fühlte mich als Mensch mit Geist und Seele auf dem
Prüfstand. Kalte Röntgenaugen durchleuchteten mein Inneres und stellten
die weniger wertvollen Teile in mir fest. Meinem Empfinden nach war dies
keine gute Ausgangsbasis für eine Therapie.
In einer der ersten Stunden fragte ich Herrn
X, wie denn so eine analytische Therapie funktioniere. „Ja, das wollen
die Studenten im ersten Semester auch immer wissen. Aber Sie brauchen
nicht alles zu wissen.“ Ich schwieg betreten und dachte: Vielleicht geht
die Therapie nur, wenn du nicht eingeweiht bist. Ein wenig fühlte ich
mich wie ein Kind, dem man nicht alles erklären kann oder will. Wieder
einmal hatte ich zurückgesteckt.
Über zwei Themen hätte ich mit Herrn X gerne
gesprochen: über Sexualität sowie über Glauben und Tod.
Zum Wunsch, über meine Sexualität zu
sprechen, sagte er nur lapidar: „Die findet ja nicht statt, was sollen
wir also darüber reden?“
Ich hatte auch das Bedürfnis, meine Angst
vor Krankheit und Tod aus religiöser Sicht zu betrachten. Leider schien
er das nicht zu wollen. Vielleicht befürchtete er, dass ich dadurch vor
meinen realen Problemen auswich, statt mich ihnen zu stellen. Deshalb
versuchte ich es auf einem Schleichweg. Ich sprach ihn auf das sog.
„Kölner Grundgesetz“ an:
Et es, wie et es.
Et kütt, wie et kütt.
Et hätt noch immer jot jejange.
Watt fott es, es fott.
Nix bliew, wie et wor.
In diesen Sätzen kommt meines Erachtens eine
Haltung der Zuversicht und Akzeptanz dem Leben gegenüber zum Ausdruck,
die sich je nach Einstellung leicht auch als Gottvertrauen deuten lässt.
Herr X erkannte anscheinend nicht, worauf ich hinaus wollte, dass ich
große Sehnsucht nach Halt und Geborgenheit hatte. Er antwortete nur in
einem einzigen Satz: „Alles, was Sie brauchen, sind ein paar Sprüche.“
Ich sprach ihn nie mehr auf diese Thema an. Unterschwellig aber rumorte
es in mir, wie der folgende Punkt zeigt.
Ich wunderte mich in dieser Therapie oft,
dass Herr X mit meinen Träumen nichts anfangen konnte. Nach landläufiger
Meinung sind doch gerade bei analytischen Therapien Träume sehr wichtig.
In der ersten Zeit hatte ich innerhalb weniger Wochen drei oder vier
richtig tiefgründige Träume mit urtümlichen Bildern, die mit meinem
Erleben am Vortag nichts zu tun hatten. Ich sah jedenfalls keine
Verbindung. Sofort nach dem Aufwachen schrieb ich die Träume auf und
freute mich auf eine Deutung in der nächsten Stunde. Ein, zwei
unwichtige Details wurden herausgepickt, aber keineswegs eine
Interpretation versucht, die einen Zusammenhang mit meinem Problem
herstellte. Ich hatte da durchaus Ideen, von denen er jedoch nichts
wissen wollte. Er ging bald zu etwas anderem über. Zwei spätere Träume
waren allerdings ziemlich realistisch. Einmal träumte ich, dass meine
Therapeutin! eine Beschwerde von mir nicht anhören wollte und sich
deshalb unter dem Tisch versteckte hatte. Kein Kommentar von Herrn X.
Ein anderes Mal erschoss ich eben diesen Herrn X im Traum. Wieder kein
Kommentar.
Herr X hat hinter seinem Behandlungszimmer
einen schönen kleinen Garten. Eines Tages – es war ein herrlicher
Sommertag – hatte ich einen spontanen Einfall. „Es wäre doch nett, wenn
wir beide uns in den Garten setzten und einmal über etwas anderes
sprechen würden als über meine Probleme.“ Er holte weit aus und erklärte
mir beinahe genüsslich: „Ja, das können wir machen. Sie bekommen auch
eine Tasse Kaffee. Ich werde nicht viel sagen, erst recht nichts von
mir. Sie können erzählen, was Sie wollen. Sie müssen dieses Gespräch
aber selbst bezahlen, das geht nicht über die Beihilfe.“ Ich habe
gelacht und gesagt: „Das ist ja wie im Puff. Ich werde das natürlich
nicht machen, selbst wenn es bezahlt würde.“ Später wurde mir klar:
eigentlich hätte mir das Lachen im Hals stecken bleiben müssen. Diese
Antwort war gemein und hat alte Wunden aufgerissen. Ich bin oft in
meinem Leben abgewiesen worden. Schlimm finde ich ohnehin, dass für Geld
eine Therapie machen muss. Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, mir
freundlich mitzuteilen, dass meine plötzliche Idee, sich nicht
verwirklichen lässt. Am sinnvollsten wäre es sicher gewesen, hier einmal
nach meinen sozialen Kontakten zu fragen. Den Wunsch nach einem
persönlichen Gespräch hingegen mit Geld zu verbinden, war schon ein
starkes Stück. Diese Geschichte hat mich lange verfolgt und sehr weh
getan.
Als noch schlimmer habe ich seine Reaktion
auf meine Erzählung von einer Wochenendfortbildung empfunden. Bei einem
gemeinsamen Projekt, das wir in einer Kleingruppe ausführen sollten,
verließ mich der Teamgeist. Bei der Arbeit mit drei anderen Kollegen war
ich wenig aktiv und ließ die anderen machen. Später als das Ergebnis im
Plenum vorgestellt wurde, meldete ich mich zu Wort und erklärte, dass
ich das Ganze eigentlich ganz anders gemacht hätte. Warum ich mich nicht
schon bei der Arbeit im kleinen Kreis entsprechend äußerte, weiß ich
nicht mehr. Jedenfalls hatte ich plötzlich Lust, eine abweichende
Meinung zu verkünden. Es wurde unterschiedlich aufgenommen. Am
Sonntagabend dieses Wochenendes war ich mit meinem Mann und Bekannten
bei einem Konzert in einem Privathaus. Bei den im Wohnzimmer
aufgestellten Stühlen war nur noch ein Platz in der vordersten Reihe
frei. Ohne die anderen zu fragen, setzte ich mich dorthin. Meine
Begleitung musste in der letzten Reihe Platz nehmen. Diese Begebenheiten
erzählte ich am darauf folgenden Montag Herrn X. Anstatt genau mit mir
zu überlegen, warum ich mich so völlig anders als sonst verhalten hatte,
sagte er nur:“ Ja, so sind Sie eben.“ Diese falsche und abwertende
Behauptung traf mich wie ein Keulenschlag. Ich fühlte mich verkannt und
ungerecht beurteilt. Mit keinem Wort wurde hervorgehoben, dass ich
erstmals den Mut aufgebracht hatte, überhaupt an diesem Seminar
teilzunehmen und zwei volle Tage fast ununterbrochen mit anderen
Menschen zusammen zu sein. Auch spielte es keine Rolle, dass ich
abgesehen von diesem Fauxpas immer gut mitgearbeitet, kollegial und
rücksichtsvoll war. Es wäre doch interessant gewesen zu untersuchen,
warum ich plötzlich Appetit auf Eigenwilligkeit und Vorteil hatte. Die
Bemerkung meines Therapeuten verfolgte mich mehrere Tage lang so heftig,
dass ich nachts nicht schlafen konnte und Schmerzen im linken Arm, der
Achselhöhle und Brust hatte. Die Nähte des Nachthemdes schmerzten. Nach
acht Tagen kippte die Bedrängnis um in Angst und Panik. Inzwischen waren
wir im Urlaub im Ausland, und ich konnte nicht zum Arzt. In der Stunde
nach den Osterferien erzählte ich Herrn X von den Folgen seiner
unbedachten oder gewollten Äußerung. „Dann hatten Sie wenigstens acht
Tage lang keine Angst.“ Das war alles, damit war das Thema erledigt. Der
Schmerz über diese dumme und herzlose Art, mich abzukanzeln, bildete den
Abschluss dieses Erlebnisses. Es gehört mit zum Schlimmsten, was in
dieser Therapie erduldet habe.
Im Mai 2005, also nach fast zwei Jahren
Behandlung, hatte ich eine schlimme Panikattacke. Es war an einem
Samstagmorgen, und ich war allein zu Hause. Wegen einer Ausscheidung,
die Blut zu enthalten schien, geriet ich in panische Angst (Todesangst).
Ich rief Herrn X an und hatte Glück. Obwohl er eigentlich keine Zeit
hatte, sprach er mit mir. Die Angst verringerte sich nicht wesentlich,
aber es war gut zu reden. In der Stunde am darauffolgenden Montag meinte
er zu mir: „Das war ja ein langes Gespräch. Wie soll ich das denn
abrechnen? Das waren mindestens 25 Minuten, und außerdem ist es mir noch
eine Viertelstunde nachgegangen. Ich muss dafür drei Gespräche à 20,11 €
berechnen. Er fragte nicht etwa, wie es mir danach ergangen wäre, oder
sagte zum Beispiel: Das war aber heftig, so schlimm hatte ich es mir
nicht vorgestellt. Nein, einzig und allein die Frage der Abrechnung war
für ihn wichtig. Das Gespräch hat laut unserer Telefonrechnung ganze 17
Minuten gedauert. Dass ein Arzt, den die schwere Krankheit eines
Patienten auch noch am Feierabend beschäftigt, dafür zusätzlich Geld
verlangt, habe ich noch nie gehört. Ich zweifelte immer mehr daran, ob
Herr X wirklich zu einer therapeutischen Beziehung fähig war.
Oft erzählte ich meinem Hausarzt von der
Therapie. Einmal sagte er zu mir: „Wenn nur 80% von dem stimmt, was Sie
mir mitteilen, dann sollte man diesem Herrn die Lizenz entziehen.“
Irgendwann im Laufe der Therapie hatte dieser Arzt mir angeboten, mal
mit Herrn X zu telefonieren. Vermutlich wollte er ihm von meinen
häufigen Arztbesuchen, mit anderen Worten: dem geringen Erfolg der
Therapie berichten. Im Frühjahr 2005 bat ich ihn dann tatsächlich darum,
Herrn X anzurufen. „Ich denke gar nicht daran. Mit dem rede ich nicht.“
Ich ließ Herrn X dies wissen. Über seine Antwort wunderte ich mich.
„Ich weiß, was der von mir denkt. Der denkt, man sollte mir die
Zulassung entziehen.“ Dieser kleine Anflug von Ehrlichkeit war nichts im
Vergleich zu seiner sonstigen Leistung. Ich habe noch nie einen Meister
im Verdrängen der eigenen Erfolglosigkeit erlebt.
Der Ärger meines Arztes über diesen zur
Selbstkritik unfähigen Therapeuten und über mein unverständlichen
Festhalten an der Therapie führte im Juni 2005 bei ihm zu einem
Entschluss. „Ich behandle Sie nur weiter, wenn Sie diese unsinnige
Therapie beenden.“ Er warf mich also raus, aber die Therapie war mir
wichtiger. Sechs Wochen lang verzichtete ich darauf, mich bei
Krankheitsangst von ihm beruhigen zu lassen. Zu einem Kollegen ging ich
nicht.
Ich versuchte dann aber doch, die Therapie
aus eigener Kraft zu beenden. Nach einer schlimmen Stunde am Montag rief
ich Herrn X am Dienstagabend an und teilte ihm auf dem AB mit, dass ich
nicht mehr zu kommen wolle. Bei dieser Ansage schlug mein Herz bis zum
Hals, weil mir klar war, dass ich nun ohne Hilfe dastehen würde. Im
tiefsten Inneren wusste ich natürlich, dass er mir nicht half, sondern
mir nur schadete. Jedenfalls musste ich meine starke Gefühlsaufwallung
irgendwie verringern und setzte mich deshalb auf mein Fahrrad und raste
los. Ich wurde aber nicht ruhiger, sondern während der Fahrt kamen alle
angestauten Gefühle über die Therapie in mir hoch. Ich wusste mir nicht
anders zu helfen, als in jedem Dorf (insgesamt viermal) in einer
Telefonzelle Herrn X anzurufen. Stückweise schrie ich ihm meine Not und
Hilflosigkeit, meine Enttäuschung und Traurigkeit, ja meine ganze
Verzweiflung auf den AB. Danach war ich zunächst erleichtert, aber am
nächsten Tag kam der Katzenjammer. Jetzt stand ich aus eigenem
Verschulden ohne Therapeut da und hatte mir die Möglichkeit zu einem
klärenden Abschlussgespräch verbaut. In dieser Woche bemerkte man sogar
auf meiner Arbeitsstelle meine Not. „Was ist denn mit Ihnen los?“ Ich
konnte kaum arbeiten. Herr X meldete sich nicht. Am Samstagabend hielt
ich es nicht mehr aus und rief ihn an, legte aber wieder auf, als er
abhob. Am Sonntagabend stieg ich wieder aufs Rad und meldete mich von
einer Telefonzelle aus. Er war dran, tat jedoch so, als verstehe er mich
nicht. „Hallo, hallo... wer ist da?“ Für mich war klar, er wollte nichts
mehr mit mir zu tun haben. Das Telefon war absolut in Ordnung. In großer
Verzweiflung jagte ich dann los. Etwa eine halbe Stunde später sagte ich
zu Hause Bescheid, wo ich war. Dabei erfuhr ich, dass Herr X bei uns
angerufen und um meinen Rückruf gebeten hatte. Ein klein wenig
Schamgefühl besaß er anscheinend doch noch. Nicht ich sollte es sein,
die nach fünf Tagen zuerst von sich hören ließ, sondern er. Meine innere
Erregung wurde noch größer. Was würde ich zu hören bekommen? Vorwürfe?
Das Ende der Therapie? Ich beeilte mich nicht sonderlich bei der
Rückfahrt. Doch nein: „Ich wollte nur mal hören, ob Sie morgen kommen.“
Kein Wort zu meiner Anrufserie. Ich zögerte. „Ach, kommen Sie doch.“ Ich
fuhr am Montag wieder zu ihm. Nach der Einleitung, er habe sich mein
Geschrei gar nicht angehört, stellte er zwei Fragen, auf die ich
dummerweise auch noch eingegangen bin.
„Was glauben Sie, wie ein Therapeut sich
fühlt, der so etwas hört?“
„Wünschen Sie, Sie hätten es nicht gemacht?“
Hauptsache war, er wurde seine negativen
Gefühle schnell wieder los. Was ich gesagt und warum ich es gesagt
hatte, interessierte ihn nicht. Als ich erzählte, dass sogar auf der
Arbeitsstelle meine Bedrängnis bemerkt worden war, meinte er: „Ja, ja,
demnächst ruft noch Ihr Chef bei mir an.“ Selbst die ehrliche
Verzweiflung, die bei meinem Versuch der Therapiebeendigung deutlich
sichtbar wurde und die er doch auch bemerkt haben musste, rief bei ihm
keinen Sinneswandel und keine Änderung seines Verhaltens hervor. Er wich
einer für unangenehmen Konfrontation einfach aus und ließ mich mit
meiner Not allein.
Anfang Juli 2005 ging die Therapie dann zu
Ende, weil das Stundenkontingent von 100 Stunden verbraucht war. Herr X
hatte mir zwar angeboten, ohne Rechnung zu einem geringeren Preis weiter
zu kommen, aber das wollte ich nicht. Mein Mann, der die Sinn- und
Erfolglosigkeit der Therapie seit langem beanstandete, setzte mich noch
zusätzlich unter Druck. Aber hatte ich auch für mich selbst längst
entschieden: Schluss!
Obwohl Herr X das wusste, führte er mit mir
in der letzten Stunde vor meinem Sommerurlaub kein Abschlussgespräch.
Statt dessen hörte ich folgendes am Ende einer fast zweijährigen
Therapie: „Sie kommen ja doch wieder. Aber dann zum vollen Preis für
eine Stunde, für etwas anderes sind Sie mir nicht cool genug. Für das
Gutachten nehme ich 300 € .“ Das war natürlich Unsinn, bei
Selbstzahlung ist kein Gutachten nötig. Auf meine bange Frage, wie lange
ich denn wohl noch kommen müsse, sagte er: „300 Stunden Minimum.“ Ich
verabschiedete mich und ging. Es ein „würdiges“ Ende einer langen
Therapie, von der einzig und allein Herr X profitierte.
Kurze Zeit nach dieser letzten Stunde fuhren
wir in Urlaub, wo ich richtig krank wurde: Lippenherpes,
Zahnwurzelentzündung mit heftigen Schmerzen, Übelkeit, Kopfweh,
Schlaflosigkeit. Der große seelische Schmerz drückte sich so heftig wie
nie auch körperlich aus. Ich weiß nicht wie, aber ich schaffte es
tatsächlich, mich nach dem Urlaub nicht wieder bei Herr X wegen eines
Termins zu melden. Er ließ auch nichts mehr von sich hören.
Im Oktober kam dann eine Mahnung über die
beiden letzten, ganz bewusst von mir nicht bezahlten Rechnungen. In
einem Antwortbrief erklärte ich Herrn X ausführlich , warum ich den
geforderten Betrag nicht bezahlen würde. Ich rechnete ihm vor, dass
dieser sich in etwa aus dem Preis für die nicht gehaltenen Stunden, der
zu hohen Forderung für die drei Gutachten und dem Geldwert (hier kam er
noch viel zu gut weg) für die vielen zu kurzen Stunden zusammensetzte.
Vielleicht ist es merkwürdig, dass ich ihm erst so spät die Rechnung
aufmachte, aber ich kann auf Ungerechtigkeiten leider oft nur verzögert,
manchmal auch gar nicht reagieren. Mein Schreiben enthielt auch den
Hinweis, dass ich mich bei einer Therapieberatungsstelle über ihn
beschwert hätte und dass er dort schon aktenkundig wäre. Es hatten sich
noch weitere Patienten seine große Geschäftstüchtigkeit und die
verkürzten Stunden beanstandet. Einer hatte gesagt, er arbeite gar nicht
richtig, was immer das auch heißen mag.
Auf meinen Brief meldete sich Herr X nach
einigen Tagen, sagte zu seinem Inhalt allerdings nichts. Statt dessen
meinte er: „Ah, ich sehe, dass Sie nicht mehr kommen möchten. Ich biete
Ihnen deshalb ein kostenloses Abschlussgespräch an.“ Ich war sehr
versucht, darauf einzugehen, lehnte jedoch ab. Der Grund war meine
Angst, dass er mich doch noch zum Zahlen überreden würde. Eine ehrliche
Aussprache erwartete ich ohnehin nicht.
Mir ließ die Therapie jedoch keine Ruhe. Im
Januar 2006 schrieb ich Herrn X einen langen Brief, in dem ich darlegte,
inwiefern mir seine Behandlung geschadet statt geholfen hatte. Beim
Schreiben merkte ich, wie sehr die Verletzungen noch weh taten. Er
reagierte nicht. Drei Wochen später schickte ich ihm eine Mail, in der
ich den Brief als Hilfeschrei bezeichnete, weil ich mit der Therapie
nicht fertig würde. Ich deutete kurz etwas von rechtlichen Schritten an.
Da kam ein Anruf von ihm, und er bot mir ein Gespräch an. Nach sechs
Wochen unentschlossenen Zögerns traf ich ihn wieder.
Auch diese Stunde begann nicht zum
verabredeten Zeitpunkt, weil die Personen, die vor mir da waren, nicht
pünktlich verabschiedet wurden. Sobald sie gegangen waren, wurde ich
hereingerufen. Ich hatte mich auf dieses Gespräch in Form von Notizen
gründlich vorbereitet. Auch er hatte vorgesorgt: auf dem Schreibtisch
lag ein großer Stapel von Blättern, eben seine Aufzeichnungen der
Stunden. Zu Beginn unserer Unterhaltung legte er seine Hand darauf und
sagte: „Hier liegt alles. Es geht nichts verloren.“ Ich hatte das
Gefühl, vor Gericht zu stehen. Auch dort liegt die Akte des Angeklagten
auf dem Tisch und dient dazu, ihm seine Schuld zu beweisen. In der
Unterredung versuchte ich, ihm seine schlimmsten Bemerkungen und
Handlungsweisen vorzutragen. Es war eine Katastrophe: nichts ließ er
gelten. Er schwieg, stritt ab, spielte herunter, brachte mich vom Thema
ab oder bezeichnete sein Verhalten als üblich in analytischen Therapien.
Überempfindlich sei ich ja sowieso. Er hat mich voll vor die Wand laufen
lassen. Als ich beispielsweise beanstandete, dass er meinen Wunsch nach
einem persönlichen Gespräch im Garten zwar nicht abgelehnt, aber bezahlt
haben wollte, sagte er: „Irgendwie musste ich Ihnen doch sagen, dass das
nicht geht.“ An einer Klärung oder Erklärung der Sachverhalte war er
ebenso wenig interessiert wie an meinen Gefühlen. Ich wäre so leicht zu
versöhnen gewesen. Er hätte nur zu sagen brauchen: Es tut mir Leid, wenn
Sie sich verletzt gefühlt haben. Das war natürlich nicht meine Absicht.
Nichts, nichts, nichts!
An diesem Abend lief ich noch drei Stunden
wie betäubt durch die Stadt. Um halb neun rief ich ihn an und konnte
nur noch weinen. Er: „jetzt fahren Sie mal schön nach Hause. Ihr Mann
wartet.“ Ich wollte wenigstens eine einzige brauchbare Antwort von ihm
und fragte direkt, warum er die gemeine Bemerkung „Ja, so sind wir
Männer eben“ (s.o.) abgestritten hätte, anstatt sich dafür zu
entschuldigen. Originalton Herr X: „Ja, wenn Sie meinen, dann habe ich
das eben gesagt und entschuldige mich auch dafür.“ Ich: „Das sagen sie
jetzt nur, damit die Alte Ruhe gibt. Er lachte blöd. Damit war das
Telefonat beendet.
In der folgenden Zeit war ich krank vor Wut,
Enttäuschung und Traurigkeit. Mein Mann hatte mich gewarnt vor diesem
Gespräch. Auch ich hätte wissen müssen, wie das Ganze ausgehen würde,
aber die unbewussten Kräfte in mir waren stärker. Ich hoffte auf
Einsicht und Bedauern. Dabei wusste ich doch durch die lange Therapie
längst, dass Selbstkritik ein Fremdwort für ihn war. Er schien einen
unsichtbaren Panzer um sich herum zu haben. Vielleicht ist dies eine
sog. berufsmäßige Deformation.
Diese sinnlose Unterredung von einer knappen
Doppelstunde musste ich ihm bar bezahlen: 185 €. Das war vorher so
vereinbart worden. Ich erhielt eine Quittung, die Rechnung wollte er
später schicken. Es gab in den folgenden Wochen noch einige Telefonate
zwischen uns, die aber nicht weiter führten. Er fing sofort immer von
dem noch ausstehenden Geld an. Vielleicht ist es ja als Entgegenkommen
seinerseits zu verstehen, dass er überhaupt noch mit mir redete, aber er
sah darin sicher die einzige Chance, die Rechnungen noch bezahlt zu
bekommen und die Anzeige zu verhindern. Ich hatte einige Male gedroht,
seine „Behandlung“ bei der Therapeutenkammer zu melden und Anzeige zu
erstatten. Zu einem weiteren Gespräch, das er mir angeboten hatte, ging
ich nicht mehr. Da er sich weigerte, mir die versprochene Rechnung für
die Doppelstunde zu schicken, ließ ich ihn durch einen Anwalt dazu
auffordern. Die Rechnung kam und dazu ein Brief des Inhalts, ich solle
ihn nie mehr belästigen. Dieses Schreiben kostete mich mehrere
schlaflose Nächte. Ich war mit meinem berechtigten Wunsch nach Klärung
und Entschuldigung abgewiesen worden. In den schlimmen Nächten schickte
ich ihm zwei Faxe: er sei ein Seelenquäler ohne Charakter und Gewissen,
einfach klein. Ich werde ihn doch noch anzeigen. Natürlich kam keine
Reaktion. Bis heute habe ich nichts gegen ihn unternommen.
In dieser Therapie erlebte ich alle
Verletzungen meines Lebens realiter noch einmal, nicht nur beim Erinnern
an vergangene Ereignisse. Ich weiß nicht, ob man Schmerzensgeld für
seelische Grausamkeit verbunden mit körperlichen Beschwerden einfordern
kann. Darauf hätte ich sicherlich Anspruch. Nicht ohne Grund musste ich
an den Therapietagen abends stundenlang durch den Ort laufen oder
Fahrrad fahren, um mich abzureagieren. Einmal war ich so daneben, dass
ich eine rote Ampel überfuhr und prompt von der Polizei erwischt wurde.
Es kann doch auch nicht normal sein, nach jeder Stunde den Therapeuten
anrufen zu müssen, um wieder Luft zu bekommen. Trotzdem konnte ich oft
nicht schlafen, hatte tagelang Schmerzen (zum Beispiel in der Brust =
Brustkrebs?) und dadurch erst recht Angst, was früher oder später immer
in einer Panikattacke endete. Einige Male schrieb ich in der Nacht vor
einer Therapiestunde alles auf, was mich am Verhalten von Herrn X
verletzte und trug es am nächsten Tag vor. Er war regelrecht beleidigt,
weil ich damit sein therapeutisches Konzept (Analyse) untergrub. Ich
hätte es besser sein gelassen, denn eine zufriedenstellende Antwort
bekam ich nie. Manchmal stand ich nach der Stunde auf dem Bahnsteig und
dachte, wenn die Lok kam: So, jetzt nur einen Schritt, dann ist die
ganze Scheiße vorbei. Seit dieser Therapie brauche ich zur nächtlichen
Beruhigung Lorazepam (Tavor). Das Verhältnis zu meinem Körper ist noch
weiter von der Normalität entfernt als vorher. Ich empfinde meinen
Körper als Feind, den ich ständig auf gefährliche Symptome kontrolliere
muss (Zwangsverhalten). Sexualität ist nicht mehr möglich. Auch den
Glauben habe ich während dieser Therapie verloren.
In den fast zwei
Jahren war ich insgesamt sieben! Mal bei anderen Therapeuten, um meinen
Leidensdruck zu verringern, Klarheit in meinem seelischen Durcheinander
zu gewinnen und evt. zu wechseln, wozu ich mich aber letztlich nicht
entschließen konnte. Bei diesen Besuchen hörte ich vor allem ungläubige,
weniger kritische Bemerkungen zum Verhalten von Herrn X.. Die kollegiale
Zurückhaltung überwog. Einer meinte, ich solle die Marotten dieses Herrn
ertragen und die Therapie zu Ende bringen. Man deutete mir an, dass
meine Darstellung doch subjektiv sei, was sicher richtig ist. Den
undiskutierbaren Fakten (falsche Abrechnung, verkürzte Stunden) schenkte
niemand Beachtung. Auf alle Fälle war ich jedes Mal sehr enttäuscht,
dass auf meine Kritik nicht ernsthaft eingegangen wurde. Kein Kollege
erkannte, wie sehr ich unter dieser „Behandlung“ litt.
Auch von Herrn X war ich hochgradig
abhängig. Für jeden vernünftig denkenden Menschen (wie meinen Mann oder
meinen Hausarzt) stellt sich die Frage, warum ich denn so lange zu ihm
gegangen bin. Es war mir ja durchaus bewusst, dass er mich nur
ausbeutet. Wenn es nur darum gegangen wäre, therapeutische Hilfe zur
Erklärung und Bekämpfung meiner Angst zu erhalten, wäre ich sicher bald
ohne Schwierigkeiten gegangen, denn Angst und Panik nahmen zu statt ab.
Ein seelisch gesunder Mensch hätte sich die Unhöflichkeit und das
geringschätzige Verhalten keine zwei Sunden bieten lassen. Dass ich das
nicht machte, hat tiefliegende Gründe in meiner Person. Auch mit dieser
Therapie habe ich die Hoffnung (natürlich auch Heilung der Angststörung)
verbunden, dass die Seelenheiler meinen Lebenshunger, meine Sehnsucht
nach Anerkennung und Bestätigung sehen und stillen. Einmal habe ich es
klar ausgedrückt: „Ich möchte gerne liebenswert sein.“ Die Antwort des
Therapeuten war wie eine Ohrfeige: „Ja, ja, das sind so Forderungen an
das Leben.“ Obwohl oder weil er mich in jeder Stunde äußerst respektlos
behandelte, hoffte ich doch irgendwann ein Krümelchen Wertschätzung von
ihm zu bekommen. Ich verhielt mich wie ein Kind, das nicht glauben mag,
dass es bei der Mutter nichts gibt außer Schlägen. Anstatt meinem
Verlangen, das dieser Mann doch sicher auch spürte, auf den Grund zu
gehen und eine Verbindung mit meiner Angst vor Krankheit und Tod (vor
dem Leben) zu thematisieren, habe ich mir weh tun lassen müssen.
„SIE SIND EINE THERAPIERESISTENTE PINGELIGE
UND GIERIGE KLEINE SEELE MIT EINER PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG.“
Heute denke ich über die Beziehung von
Therapeut und Patient anders. Eine fachgerechte Behandlung – verbunden
mit Respekt im Umgang – genügt. Wenn außerdem noch gegenseitige
Sympathie vorhanden ist, umso besser.
Ich habe mich nach dieser destruktiven
Therapie wegen des sich stetig verschlimmernden Grundproblems noch zwei
weiteren Behandlungen unterzogen. Leider konnte auch durch sie meine
Lebens- und Todesangst nicht behoben oder wenigstens gemildert werden.
Ebenso schlimm ist, dass die Folgetherapeuten von dieser Therapie Nr. 2
nichts wissen wollten. Dass ich heute etwas mehr dazu Abstand habe,
verdanke ich meiner eigenständig geleisteten Auseinandersetzung, wozu
auch das Schreiben dieses detaillierten Berichtes gehört. Ich frage mich
nur: Wer trägt in einer Psychotherapie wofür die Verantwortung? |