Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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38-jährige Patientin (mit posttraumatischer Belastungs-störung nach wiederholten Missbrauchserlebnissen, Ursprungsdiagnose: "Borderline-Störung")

Ich bin keine Diagnose. Ich bin eine gesunde Grenzgängerin

ich sitze am Schreibtisch, sehe aus dem Fenster. Die Sonne scheint und der Himmel ist strahlend blau. Es ist Hochsommer, doch durch den ausgiebigen Regen blüht die Natur saftig grün und nicht so vertrocknet wie sonst im August. Es ist ein beruhigender Anblick, trotzdem bin ich nervös. Warum? Sie haben mich um diese Niederschrift gebeten und ich habe sehr lange gezögert, weil mich jeder Satz und die damit verbundenen Gedanken in die schwerste Zeit meines Lebens zurück versetzen. Und eigentlich wäre ich schon seit vielen Jahren tot. Tot, wenn der Weg durch den ganz engen Tunnel geendet hätte oder der Lichtblick am Ende die Lichter eines Zuges gewesen wären. Aber ich lebe und heute lebe ich gerne und der Weg ist so breit, dass ich nach vorne, rechts und links sehe und gerade sogar einen kurzen Blick nach hinten wage. Was war damals anders?

Die Kurzform bis zum Absturz: Mein Ehrgeiz hatte mich weit gebracht. Objektiv erfolgreich, beschrieben durch Studium, Job, Karriere, Hochzeit, Hausbau. Seelisch total verbrannt durch gnadenlose Überforderung und Selbstausbeutung. Durch den ersten Selbstmordversuch landete ich in der Psychiatrie. Mir graut es jetzt noch, wenn ich daran denke. Durch meinen Ehrgeiz brachte ich es dort auch ganz, ganz weit und hatte – bevor ich zu Ihnen kam - 6 Diagnosen. Ich wollte sie zunächst an dieser Stelle aufzählen, aber heute sage ich „Sch… drauf“. Die umfangreichste und zum Teil schwer zu ertragende Diagnose war Borderline. Zuvor hatte ich noch davon noch nie gehört. Grenzgängerin hörte sich cool an und manchmal war ich froh, dass mein Zustand einen Namen hatte. Es gibt Bücher darüber und eine Vielzahl von Foren, in der sich Betroffene im Internet darüber austauschen. Es war ernüchternd, dass die Therapie als schwierig, langwierig, anstrengend und je nach Autor mit geringen Erfolgsaussichten beschrieben wurde. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich keinen Plan mehr. Kennen Sie das Lied „Feel“ von Robbie Williams? Es beginnt mit dem Satz „I want to contact the living“. Genau so fühlte ich mich. Die Tage waren anstrengend, denn das Gefühl, es nicht mehr auszuhalten zu können und sterben zu wollen war allgegenwärtig. Untermalt wurde es ein permanentes Angstgefühl, welches ich durch Tabletten und sonstige Drogen  bekämpfte. Ich war zerrissen von der Sehnsucht nach Ruhe, die ich im Tod zu finden glaubte und dem Wunsch, wieder zu „er“leben. In dieser Zeit probierte ich vielfach mehr oder weniger ernst, mir das Leben zu nehmen. Durch meine damals vorhandene krankhafte emotionale Instabilität gab ich die Verantwortung für mein Leben zeitweise ab. Es folgten ambulante und stationäre Therapien über einen Zeitraum von ca. 18 Monaten, bis ich mich wieder etwas besser unter Kontrolle hatte und Therapie nur noch in großen Abständen erfolgte. Die stationären Aufenthalte von insgesamt 8 Monaten (mit Unterbrechungen) kosteten sehr, sehr viel Geld, haben aber sehr, sehr wenig gebracht. Positiv war, dass ich aus der Leistungsmaschine erst einmal ausgestiegen war. Vor dem erwähnten ersten Selbstmordversuch war international bei einem Beratungsunternehmen tätig und machte in der Freizeit Triathlon, jetzt vereinzelte ich in der Gartentherapie Honigmelonensalbei, nahm Rosmarinbäder und ging spazieren. Ich konnte kaum noch etwas leisten, was zusätzlich belastete, weil ich mich darüber definierte. Das Fatale an meinem damaligen Verhalten war, dass sich meine Leistung auf meine Krankheit fixierte. Wenn schon krank und irre, dann aber richtig. Heute kann ich ob mancher unsinnigen Handlungsweise von damals nur den Kopf schütteln oder ziemlich lachen.  Ich erkenne heute aber auch, dass ich damals einfach nicht anders konnte. Die Grenzgängerin probierte ständig aus, wie weit sie gehen kann. Es gab auch Gutes und manche Sätze von Ärzten helfen mir bis heute. Wenn ich mich damals in Therpiegesprächen nach Normalität sehnte, erklärte mir der wirklich nette Dr. G. - dem ich nach seinen Aussagen ziemlich an/auf die Nerven ging - dass ich niemals ein ganz normales Leben führen würde, dies würde mich unglücklich machen. Das hat mich ungemein erleichtert. Ich gestatte mir heute manche gesunde Verrücktheit, die meinem Seelenzustand ungemein gut tut.

Nachdem der absoluten Tiefphase und den langen stationären Aufenthalten war ich wieder einigermaßen stabil und näherte mich langsam wieder dem Erwerbsleben. Dennoch  gab es immer wieder teilweise schwer zu ertragenden depressive Phasen und den Wunsch, sich durch Russisches-Roulette-Handlungen das Leben zu nehmen. Ohne Details nennen zu wollen nur so viel: Ich unternahm Handlungen, welche meinen Tod zur Folge hätten haben können. Dazwischen war ich aber durchaus halbwegs lebensfroh. Zu diesem Zeitpunkt fanden meine Therapiegespräche vierwöchig bei dem Leiter einer Klinik statt, denn die Therapeutensuche war schwierig. Warum? Schon immer hatte ich gewisse Autoritäts- bzw. Respektsprobleme. Dies äußert sich darin, dass ich meinem Gegenüber deutlich vermittele, wenn ich ihn/sie nicht für geeignet halte. Im Berufsleben konnte und kann ich das gut zurückhalten, aber gerade im therapeutischen Umgang hatte ich gelernt, ehrlich zu sein und vor allem meine Wünsch zu äußern. Dieser Umstand verbunden mit meinem Studium der Fachliteratur machte mich zu keiner einfachen Patientin.  Nur am Rand erwähnt: Gewohnt in Beratungsprojekten rational vorzugehen, stellte ich zu Beginn meiner „Therapiekarriere“ erst einmal die Existenz der Seele in Frage und deckte manches Therapeutenverhalten als aus meiner Sicht nicht sinnvoll auf. Ich dachte dies nicht nur, ich sagte es. Geholfen hat mir dieses Verhalten wohl eher nicht und es macht klar, dass ich eine schwierige Patientin war. 

Mein damaliger Therapeut kam damit klar, aber weiter kam ich auch nicht. Ich hatte also einen mehr oder weniger stabilen Zustand  und funktionierte einigermaßen. Aber das reichte mir nicht, denn ich war unsicher, traute mir wenig zu und hatte vor allem Angst, überhaupt noch etwas zu planen. Ausgerüstet mit der Diagnose Borderline und noch vielen anderen machte ich mich auf die Suche nach Spezialisten. Als Privatpatientin bekommt man schnell einen Ersttermin, allerdings sollten die Therapien erst einmal stationär erfolgen, was mich abschreckte. Ich befürchtete, dass ich auf der Suche nach Aufmerksamkeit wieder kränker werden würde als bisher. Aktuell weiß nicht mehr, welchem Umstand ich es zu verdanken habe, dass ich irgendwann auf Ihrer Seite gelandet bin. Die Patientenberichte faszinierten mich und ich schöpfte Hoffnung für mich, etwas bessern zu können. Aber ich hatte Bedenken, dass Sie meine vielen Diagnosen abschrecken würden und eine Behandlung nicht in Betracht käme. Ich hatte Angst vor einer Ablehnung, aber irgendwann traute ich mich. Zu meinem Glück lehnten Sie nicht ab. Die Therapie lief viele, viele Monate, die nicht immer so leicht auszuhalten waren. Es gab Situationen großer Eigengefährdung, in der ich nach objektiven Maßstäben eigentlich hätte stationär behandelt werden müssen. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das mit mir ausgehalten haben und ich meinen Weg mit Ihrer Unterstützung gefunden habe, gegangen bin und heute wieder mit Lebensfreude gehe.  Bislang erhielt ich meine Behandlungsberichte nur über Umwege, Sie baten sogar um Mitarbeit.

Heute habe ich nur noch eine Diagnose und fühle mich von der Diagnose Borderline weit entfernt, auch wenn ich manchmal eine – allerdings gesunde - Grenzgängerin bleibe. Durch die Therapie kann ich meine impulsiven Handlungen von damals viel besser verstehen. Da ich mit Therapieerfahrung zu Ihnen kam, hatte ich klare Vorstellungen davon, was ich anders machen wollte. Dazu gehörte Ehrlichkeit und Offenheit, letztere aber dosiert, weil einiges aus der Vergangenheit schwer anzusprechen und auszusprechen war. Und endlich wollte ich meine Intelligenz für mich und nicht gegen mich arbeiten lassen.

Menschen, die mich nicht kennen, könnten vielleicht meinen, dass ich zu amerikanischem Lob neige. Das Gegenteil ist der Fall. Es gab Ärzte und Therapeuten, von denen ich den einen oder anderen Satz mitgenommen habe, von Ihnen ist es mindestens eine Geschichte, wenn nicht ein Buch. Was mir geholfen hat war Ihre vielfältig ausgeprägte Fachkompetenz gepaart mit einem unglaublichen Maß an Empathie, die ich zuvor nie kennenlernen durfte. Mein Wesen und meine Handlungsmotive sind mir heute viel klarer. Mir geht es nicht immer gut, aber ich kann heute damit umgehen und die schlechten Phasen akzeptieren. Die Kommunikation von meiner Seite war zu Beginn der Therapie angespannt. Nehme ich meine erste Zieldefinition in die Hand, bin ich heute ziemlich geschockt, denn sie war davon geprägt, negative Situation auszuhalten und nicht positive Erlebnisse zu schaffen. Zeitweise war ich nicht in der Lage, gut mit mir umzugehen, sondern stand wie ein böser Oberlehrer neben mir und peitschte mich voran. Danke, dass Sie das so klar aufgedeckt haben. Durch meine Geschichte habe ich großes Defizit an Aufmerksamkeit. Durch Ihre Aufmerksamkeit in der Therapie habe ich gelernt, mir diese selbst zu geben und mir auch selbst Anerkennung zu schenken. Dadurch traue ich mich heute ziemlich viel und bekomme dadurch auch Bestätigung von außen. Genau diese Aufmerksamkeit hatte in früheren Therapien gefehlt. Früher erfuhr ich, dass das Maß an Aufmerksamkeit mit der Heftigkeit der Erkrankung stieg. Also setzte ich vieles daran, noch kränker zu werden. Dieses Verhalten behielt ich zeitweise auch bei Ihnen, aber irgendwann war es gut. Der Topf mit Aufmerksamkeit war endlich gefüllt und es war gut. Die Tatsache, dass ich so lange für diese Niederschrift gebraucht habe, spricht ebenfalls für die Therapie. Es gab Zeiten, da konnte ich mir nicht vorstellen, ohne Ihre Hilfe zu leben. Ich hatte Angst, wieder zu versagen. Es ist schön, dass Sie mir geholfen haben, dass ich wieder alleine die Verantwortung für mich tragen kann. Danke, dass Sie mir geholfen haben, meine Stärken wiederzufinden und neu zu entdecken. Sogar beruflich bin ich wieder erfolgreich, nur definiere ich mich nicht mehr nur über diesen Erfolg. Es gibt Tage, in denen ich überdurchschnittlich viel leiste, dies entspricht meinem Wesen. Aber es folgen - im Gegensatz zu früher- Zeiten, in denen es ruhiger ist. Meine Emotionen sind auch nicht stillgelegt und machen mir immer mal wieder einen Strich durch die Rechnung, aber ich kann damit besser umgehen und deute mich und meine Umwelt nicht mehr nur negativ. Die emotionale Bandbreite macht mich aus. Ich kann mich riesig freuen, kenne aber auch die andere Seite.

Es war jetzt doch nicht so schwer, dies zu schreiben, aber das wusste ich vorher nicht. Früher dachte ich, dass der Stempel Borderline oder überhaupt psychische Erkrankung immer an meiner Stirn kleben bleiben würde. Mittlerweile weiß ich, dass viele Menschen mit mehr oder weniger großen Defiziten durch die Gegend laufen. Mit ausreichend Abstand zu meiner schwierigen Zeit bin ich froh um die Erkenntnisse, die ich dadurch gewonnen habe. Diesen Erkenntnisgewinn wünsche ich allen Menschen, die existenzielle Grenzerfahrung allerdings nicht.

Falls Patienten dies lesen sollten, habe ich folgende Anmerkung: Es gibt bestimmt viele Menschen, die den Weg aus dem Tunnel noch vor sich haben. Es ist ein anstrengender Weg, er ist nicht immer klar und es geht auch mal zurück. Und die Tatsache, dass die Emotionen zuerst ins Gehirn schießen, bevor der Verstand eine Chance zur Reaktion hat, macht es gerade für Borderliner besonders schwer, positiv für sich zu agieren. Aber bitte geht den Weg, auch wenn es lange dauert. Und es gibt Menschen, die einen auf diesem Weg helfen können. Ich will es nicht schönreden, denn es ist nur eine kleine Hilfe, denn die meiste Arbeit hat der Mensch, der diesen Weg geht.

Das Leben ist nicht immer fair, aber es gibt wunderschöne Momente, für die es sich zu leben lohnt.