Ich denke, hilfreich ist zum einen allein,
dass man sich hinsetzt und diffuse Gefühle formuliert –
was einem hilft, weniger gefangen im Strudel zu sein, da man die Gefühle
in klare Gedanken und schließlich Sätze fassen muss. Das kann helfen,
Mechanismen aufzudecken. Denn diffuse Gefühle hinterfragt man schwer,
eine Zeile auf Papier steht dann da, man überliest das Ganze noch einmal
und denkt darüber nach. Der Versuch, sich einem anderen verständlich zu
machen, hilft, sich selbst besser zu begreifen und zu hinterfragen.
Das Schreiben hilft, ist ja auch nichts Neues,
aber es ist eben etwas anderes, ob man nur sein Tagebuch führt und sich
mit sich selbst im Kreis dreht (sich z.B. negativen Gefühlen total
hingibt), oder ob man das Gefühl hat, jemand anderes liest das mit
echtem Interesse (und diesen jemand will man nicht mit endlosen Tiraden
nerven, man fokussiert daher ganz anders...).
Man hat also einen Adressaten, was den wohltuenden
Effekt des Niederschreibens ergänzt um das wohltuende Gefühl, nicht
allein zu sein. Ich denke das dürfte für all Ihre Patienten gelten:
Durch die Internetgeschichte hat man quasi das Gefühl, sich 24 Stunden
am Tag an Sie wenden zu können, ohne dass Sie 24 Stunden am Tag dafür
bereit stehen müssen. Denn sogar wenn um 4 Uhr morgens die Verzweiflung
kommt, kann man sich an den Rechner setzen und Ihnen schreiben. Das hat
einen stärkeren Effekt, als wenn man sich nur hinsetzt und für sich
alleine schreibt –
denn der virtuelle Gesprächspartner, auch wenn er nicht direkt liest und
antwortet, gibt einem bereits beim Schreiben das Gefühl: da ist jemand,
an den ich mich wenden kann und den das interessiert.
Hinzu kommt, dass man, wie ich denke, sehr viel
reflektierter auf Fragen reagiert, da man nicht wie in einer
persönlichen Gesprächssituation die Pause nach einer Frage möglichst
schnell mit einer Antwort füllen zu müssen glaubt, sondern so lange über
eine Antwort nachdenkt, bis man die gefunden hat, die sich richtig
anfühlt. So fördert das Ganze erstens die Auseinandersetzung mit sich
selbst –
und erlaubt zweitens gar nicht die Einstellung: Ich gehe zum Doktor und
DER macht dann was und dann geht’s mir besser.
Natürlich gibt es gerade bei Emails das Risiko der
Verzerrung, z.B. bei einer Person wie mir, die ja eigentlich gern alles
im Griff hätte und stark sein will. Womöglich habe ich mich in Emails
manchmal reflektierter und gesammelter präsentiert, als es der Situation
entsprach. Aber ich nehme an, dass Sie Techniken entwickelt haben,
zwischen den Zeilen zu lesen? Und gerade bei den Patienten, die Sie
persönlich gut kennen, dürfte dieses Risiko minimal sein.
Mir ganz persönlich haben besonders Ihre
intelligenten Fragen geholfen. Sie vermittelten das Gefühl, dass da
jemand ist, der sich wirklich Gedanken macht. Allein durch das
Nachdenken über die Antworten schienen mir Ihre Fragen oft Denkanstöße
in die richtige Richtung zu geben. Die Fragen vermittelten, dass Sie
sich mit dem auseinandergesetzt haben, was ich geschrieben hatte. In
meinen fehlgeschlagenen Therapien hatte ich oft eben genau dieses Gefühl
nicht. Sondern da kam es mir so vor, als würde nach Schema F ein Ansatz
durchexerziert, der mit mir persönlich nichts zu tun hatte und schon gar
nicht individuell auf meine Situation abgestimmt wurde. Zumeist fehlte
mir eine Reaktion auf das, was ich von mir preisgab. Dieses Gefühl hatte
ich bei Ihnen nie. Ein nicht unerheblicher Erfolgsfaktor hat demnach
viel mit Ihrer Person zu tun: Selbst wenn auch Sie Schema F anwenden
sollten, schaffen Sie es, dass man das Gefühl hat, dass dies eben nicht
der Fall ist, dass Sie persönlich und individuell auf einen eingehen,
und man nicht nur „Nummer
xy“ auf der Patientenliste ist.
Vielleicht ist es ja auch von der
Therapeuten-Seite betrachtet so, dass das Email-Coaching eine gewisse
Einstellung eben nicht erlaubt. Weder kann sich der Patient hinsetzen
und denken „Der Doktor macht
das jetzt“, noch kann sich der Therapeut eine Stunde lang hinsetzen, den
Patienten reden lassen und „Hmmmm-mmmmh“ machen. Eine email voller „hm-mmmhs“
ist eben genau so offensichtlich inhaltslos wie eine Email voller gleich
lautender Sätze wie „mir geht es so schlecht und alles ist doof“.
Ein halbes Jahr zuvor, hatte die junge
Frau ihren Entwicklungsfortschritt wie folgt umrissen.
"Ich bin glaube ich dabei, mich am eigenen Schopf
aus dem Dreck zu ziehen. Dabei geholfen hat in erster Linie die
Lebensperspektive - bin immer mehr als Freie Mitarbeiterin
eingebunden..... Nachdem ich anfänglich dachte "bBstimmt fliegst Du bald
auf, eigentlich kannst Du ja gar nichts" bin ich mittlerweile bei: "Die
sind doch auch nicht alle blöd, heißt dann wohl doch, dass du was
kannst!". Bzw. „Hurra
ich krieg’ s hin! Ich werde von dem Leben können, was mir wirklich
gefällt! Ich darf es jetzt schon tun, während des Studiums“
Sich das bewusst zu machen und die Dankbarkeit bewusst empfinden
hilft mir ungemein. Hinzu kommt regelmäßiger Sport, der sich auch
äußerlich bemerkbar (Gewichtsverlust und Form!) so dass ich mich
manchmal sogar vor den Spiegel stellen kann und sagen kann: Mensch,
siehst gut aus! War jahrelang nicht dran zu denken... Und auch
Energie-Level mäßig bin ich durch den Sport on top.
Mit dem Drogenkonsum (kiffen) hab ich fast gänzlich aufgehört (außer
vielleicht mal auf einer Party), weil es meinen Zielen im Weg war. Ich
brauche meine Energie und hab keine Zeit übrig, um sie mit so was
totzuschlagen. Mein Studium ist kurz vor Schluss, mache gerade die
letzten Scheine im 8ten Semester und plane meine Magisterarbeit. Auch
die Musik läuft weiter...: Vermutlich bringen wir sogar in diesem Jahr
ein Album heraus...
Habe mich außerdem aus meiner 6jährigen unglücklichen Beziehung
gelöst bzw. bin gerade dabei. Weiß aber nicht, ob das richtig ist. Was,
wenn er doch der Mann meines Lebens ist und ich die Beziehung durch
meine jahrelange Depression kaputt gemacht habe? Oder hat vielleicht
doch die komische Beziehung mich stark belastet???
Wahrscheinlich kommt nach dem aktuellen Höhenflug früher oder später
wieder ein Absturz. Ich meine nicht von ungefähr hab ich seit dem Alter
12, 13, 14 mit Depressionen zu tun. Wäre schon komisch, wenn auf einmal
alles weg wäre, oder?? Hm...
Aber ich fang an, an mich zu glauben und entwickle so was wie Stolz.
Hoffe, dass das irgendwann hinhaut, dass mir das so leicht keiner mehr
nehmen kann. So dass ich die Stärke in mir konservieren kann und keine
Bestätigung von außen brauche –
und mich gleichzeitig keiner mehr von außen umhauen kann, weil ich weiß
wer ich bin...
Nun hab ich wieder viel getippt, hoffentlich haut das sie nicht um!
Würde Sie immer noch gern kennen lernen und freu mich immer sehr, von
Ihnen zu hören! Ob Sie’s glauben oder nicht, der Kontakt mit Ihnen hat
mir eine Menge Halt gegeben. |