Kanada. Eine Untersuchung von H. Olders regt an, alten Volksweisheiten
mehr zu vertrauen („Early to bed and early to rise, makes a man healthy,
wealthy and wise“, 15. Jahrhundert). Danach könnte es sich lohnen, mit
Hilfe politischer Maßnahmen die Bevölkerung früher aus den Betten zu
scheuchen. Als „früh“ ist ein Zeitpunkt zu betrachten, der sich auf den
Moment des Sonnenaufgangs bezieht. An Orten, wo Menschen im Vergleich zu
anderen früher aufstehen, sind Depressionen offenbar seltener.
Zu
dieser Feststellung gelangte Olders, nachdem er die
Depressionshäufigkeiten in bestimmten Städten zu den dortigen
Sonnenaufgangszeiten in Beziehung setzte. Die Depressionsdaten entnahm er
zwei epidemiologischen Untersuchungen (EURODEP Programm = neun europäische
Städte, Epidemiologic Catchment Area Study = fünf US-Amerikanische
Zentren). Die jeweiligen Sonnenaufgangszeiten (Jahresdurchschnitt)
ermittelte er mit Hilfe eines Internetdienstes. Die Studienhypothese
lautete: Wo die Sonne später aufgeht, stehen die Menschen vergleichsweise
„früher“ auf, da die Arbeitszeiten sich weniger am Sonnenaufgang als an
sozialen Regeln orientieren.
Die Auswertung gab dem eingangs zitierten Sprichwort Recht. An Orten mit
späten Sonnenaufgängen, wo die Menschen also vergleichsweise früher in den
Tag starteten, waren Depressionen signifikant seltener. Der Autor erklärt
sich diesen Zusammenhang besonders mit der These, dass zuviel REM-Schlaf
Depressionen fördert. Da sich REM-Phasen in den Morgenstunden häufen,
würde frühes Aufstehen die REM-Schlaf-Gesamtdosis reduzieren. Zu dieser
Überlegung passen sowohl die Erfolge der Schlafentzugsbehandlung bei
Depressiven als auch Studien, denen zufolge zu langes Schlafen die
unterschiedlichsten kognitiven Leistungen beeinträchtigt, bei Studenten
mit schlechteren Studienleistungen einhergeht und bei Erwachsenen sogar
mit einer höheren Sterblichkeit verbunden ist (sofern sie mehr als 9
Stunden schlafen). Wie Olders Studie zeigt, ist der Sonnenaufgang nicht
nur für Pflanzen und Tiere ein wichtiger Zeitgeber, sondern möglicherweise
auch für die REM-Schlafdichte beim Menschen.
Sollte frühes Aufstehen tatsächlich Depressionen vorbeugen, wäre es nach
Ansicht des Autors sinnvoll, daraus gesundheitspolitische Maßnahmen
abzuleiten. So könnte man beispielsweise die Zeitzonen mehr nach Westen
verschieben, die öffentlichen Geschäfts- und Arbeitszeiten früher beginnen
lassen und eine Zeitordnung einführen, die rund um das Jahr Tageslicht
nutzt. Dagegen sollte der zweimalige jährliche Zeitsprung (Wechsel von
Winter- auf Sommerzeit und umgekehrt) abgeschafft werden, da er
möglicherweise saisonale Depressionen fördert. Auch wenn die genannten
Maßnahmen aufwendig erscheinen, können sie durchaus wirtschaftlich sein,
sofern sie erfolgreich Depressionen verhindern. Denn die mit Depressionen
verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten sind bekanntlich enorm. Ob es zu
den beschriebenen Initiativen jemals kommen wird, ist fraglich. Immerhin
steht es schon jetzt jedem einzelnen frei, sich den Wecker früher zu
stellen, um Müdigkeit und Energiemangel vorzubeugen.
H. Olders: Average sunrise time predicts depression
prevalence. Journal of Psychosomatic Research 2003 (55) 99-105
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Quelle:
www.zns-spektrum.com |