USA. Älteren Untersuchungen zufolge muss jeder
zweite Psychiater und jeder vierte Psychologe damit rechnen, dass sich
einer seiner Patienten während einer laufenden Behandlung das Leben nimmt.
Wie eine Studie von H. Hendin und Kollegen zeigt, belastet eine solche
Erfahrung rund 40 Prozent der betroffenen Therapeuten erheblich. Vor allem
vier Umstände scheinen seelische Probleme zu bereiten: 1. das Unvermögen,
einen eindeutig suizidalen Patienten vor seinem Suizid stationär
unterzubringen, 2. eine Behandlungsentscheidung, die den Suizid gefördert
haben könnte, 3. negative Reaktionen des Arbeitgebers, bei dem der
Therapeut angestellt ist, und 4. die Angst, dass die Angehörigen des
Verstorbenen ein Gerichtsverfahren anstreben könnten.
An der Untersuchung beteiligten sich 34 Therapeuten (25 Männer, 9
Frauen), die während ihrer beruflichen Tätigkeit einen Patienten-Suizid
miterleben mussten. 15 Therapeuten arbeiteten in eigener Praxis und 19
waren angestellt. Tendenziell litten Frauen und noch in Ausbildung
befindliche Therapeuten vermehrt unter den Folgen eines Patienten-Suizids.
Aber auch umfangreiche berufliche Erfahrung schien nicht vor intensiven
emotionalen Reaktionen zu schützen. Zur seelischen Belastung der
hinterbliebenen Behandler trugen besonders Trauer- und Schuldgefühle bei.
Letztere hatten weniger mit der beruflichen Leistung der Therapeuten zu
tun als mit der engen Beziehung, die zu den verstorbenen Patienten
bestand. Trauer und Schuld wirkten gleichsam wie „Verstärker", die auch
andere Gefühle intensiver erleben ließen (wie Versagen, Angst, Depression
oder Ärger).
In der Diskussion ihrer Untersuchungsergebnisse befassen sich die
Autoren kritisch mit Vorwürfen der Institution an die bei ihr angestellten
Therapeuten („Es scheint, als sei Ihr Patient so einsam gestorben, wie er
behandelt wurde: Mit vielen Leuten um sich herum, von denen kein einziger
effektiv half"). Hinter solchen Vorhaltungen steckt oft der Versuch, durch
eine Bloßstellung anderer die eigene Blöße zu verdecken. Wie Hendin und
Kollegen einräumen, bewirken leider auch unberechtigte Schuldzuweisungen,
dass der Angegriffene sich schuldig fühlt und entsprechend leidet.
Abschließend weisen die Autoren darauf hin, dass auch die durch einen
Patienten-Suizid weniger belasteten Therapeuten dieses Ereignis meist
nicht ignorierten. 16 von 21 stabiler wirkenden Befragungsteilnehmern
gaben an, dass sie aufgrund der jetzigen Erfahrung rückblickend etwas
anders machen würden (z. B. stationäre Weiterbehandlung des Patienten,
Veränderungen der Medikation und/oder der Therapietechnik, größeres
Einlassen auf den Patienten, verstärkte Einbeziehung der Familie, mehr
Abstimmung und Kontakt zu Vortherapeuten und Mitbehandlern). Nach Ansicht
von Hendin und Kollegen zeigt sich in diesen Antworten, dass gefasster
wirkende Therapeuten Unglücksfälle eher als Gelegenheit zum Lernen
betrachten und weniger als Quelle von Selbstvorwürfen.
H. Hendin et al.: Factors contributing to therapists´ distress after
the suicide of a patient. Am. J. Psychiatry 2004 (161) 1442-1446