Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Informationen zur bipolaren Störung
 


Diese im Mai 2005 neu eröffnete Rubrik enthält Informationen zur bipolaren Störung.

Zur Buchrubrik hier klicken


Der erste Beitrag ist die von Susanne Poelchau gestaltete Sendung "Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt: Die bipolare Störung". Frau Poelchau wurde für ihren Beitrag mit dem Medienpreis bipolar 2004 ausgezeichnet. Freundlicherweise hat sie das Sendungsmanuskript für die Internetseite www.dr-mueck.de zur Verfügung gestellt.

Text im pdf-Format zum Download


Susanne Poelchau (links) bei der Preisverleihung


Gesprächspartner:

Dr. Andreas Erfurth, Neurologe und Psychiater/Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen

Prof. Jörg Walden, Psychiatrische Klinik der Universität Freiburg:

Prof. Franz- Josef Freisleder, Direktor der Heckscher Klinik für Kinder-

und Jugendpsychiatrie in München

Dr. Thomas Meyer, Psychologisches Institut der Universität Tübingen

Patientin Ilse

Sprecherin Zitat Ilse:

„An manchen Tagen sprang ich aus dem Bett, lachte dem Himmel entgegen und packte einfach alles an, was zu erledigen war. Die Kollegen waren im Urlaub, kein Problem, ich arbeitete für drei. Außerdem wollte ich den Sommerkurs in der VHS besuchen, zwei Filme im Kino sehen und alle Freunde zum Grillen einladen. In solchen Situationen drehte ich richtig auf. Ich fühle mich unendlich stark, wie ein perpetuum mobile, das niemals an Energie verliert. Vor allem spürte ich: Dann liebt man mich, wenn ich in Champagnerlaune bin und keine Müdigkeit kenne.

Aber immer wieder wurde es riskant, weil ich überdrehte. So war ich vor einiger Zeit in Norwegen mit dem Bus unterwegs. Man fährt dort stundenlang, um eine relativ kurze Luftlinienstrecke hinter sich bringen, weil ja immer die Fjorde umfahren werden müssen. Mir wurde langsam schlecht. Da habe ich mir gesagt, im nächsten Ort steige ich aus und nehme ein Flugzeug! Der Kurztrip mit dem Wasserflugzeug, auf das ich drei Stunden warten musste, kostete so viel wie die ganze Reise. Aber ich war nicht klein zu kriegen. Ich hockte auf meinem Sitz in 5000 Meter Höhe und bejubelte die Aussicht. Ich sah Rentiere, schneebedeckte Bergrücken, ich hatte das Gefühl, ich sei die Pilotin, die nun ins All abheben kann. Ein Höhenflug im wahrsten Sinn des Wortes.
Riskant in solchen Situationen sind auch Liebesgeschichten gewesen.

Ich habe mich auf manches Abenteuer eingelassen, auf das ich in meiner „normalen„ Zeit nie eingewilligt hätte.

Und dann war auf einmal alles anders. Eigentlich kündigte sich der Absturz immer an. Aber ich habe die Zeichen mein ganzes Leben lang nicht erkannt, sondern bin stets aufs neue reingestolpert.

Es begann fast immer mit körperlichen Symptomen. Magenschmerzen,  einige Jahre auch ein Zwölffingerdarmgeschwür, später Rückenbeschwerden. Plötzlich war ich nicht mehr leistungsfähig und phantasievoll, sondern ich fühlte mich zerbrechlich und müde. Ich fühlte mich unverstanden. Viele Leute waren enttäuscht von mir. Es war der Absturz von meinem Hochseil. Dann verging der Appetit, in der Nacht drehte ich mich schlaflos von einer Seite auf die andere, mochte morgens vor lauter Verdrießlichkeit nicht aufstehen. Und es dauerte nicht lange, dann kamen die bösen Geister : Wachträume von Selbstmord.“   

Susanne Poelchau :

Wer Ilse in einer ihrer Hochphasen kennen lernt, ist beeindruckt von ihrem Temperament und ihrer mitreißenden Kreativität. Beruflich stellt sie spannende Projekte auf die Beine, sie ist eine blendende Gastgeberin

und sie kann mit Mitte 50 noch wie ein junges Mädchen tanzen, lachen und Blödsinn machen. Die Schattenseite in ihrem Leben kennt kaum jemand. Die Schriftstellerin ist manisch- depressiv. Rauf und runter. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt! 

Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland bewegen sich emotional zwischen diesen Polen. Zeiten der Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Lustlosigkeit wechseln mit Phasen, in denen sie energiegeladen und euphorisch sind, kaum Schlaf brauchen und manchmal auch verrückte Dinge tun: Ein Schwimmbad bestellen, eine Weltreise buchen oder das ganze Geld im Kasino verspielen.

Thomas Meyer vom Psychologischen Institut der Universität Tübingen beschäftigt sich speziell mit der Erforschung und  Behandlung der bipolaren Störung:

1. Zusp. 1´14

Ich denke wenn Sie einen Maniker im Biergarten oder in der Kneipe kennen lernen, kann sehr angenehm sein, wird anders wenn der Wahnvorstellungen hat, sich plötzlich ans Klavier setzt und das nicht kann . Also es kommt darauf an, wie massiv die Symptomatik ist. Häufig übersehen werden die leichten Fälle, da gibt es wohl Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, Partner, gereizt, nicht Schulden, Jesus, häufig übersehen... berichten nicht von Zeiten in denen es ihnen gut geht... da geht ja keiner zum Arzt.“

Gerade die Patienten, deren Manie weniger extrem ausfällt - in der Fachsprache heißt es „Hypomanie“ - haben es besonders schwer.

Bei ihnen schlagen die Hochphasen manchmal unmittelbar in Depressionen um. Da geht es innerlich zu wie auf der Achterbahn.

2. Zusp. 0´47

„Ich habe Patienten gesehen, die kamen hier rein.. spritzig und witzig... ich wusste, das Loch kommt, nicht in ferner Zukunft, sondern direkt. ... Also es ist schon sehr hart, wenn ich dann die Leute konfrontiere: Sie schlafen zu wenig, reißen schlechte Witze unter die Gürtellinie ... tut mir leid, es geht ihnen gut, aber das ist nicht nur gut, das ist  mehr als gut“

Doch so klar stellen auch viele Therapeuten die Diagnose nicht. Oft sehen sie nur die Depression und die Patienten kommen auch nur mit diesem Problem zum Arzt.

Mehr als die Hälfte aller Patienten erhält infolgedessen keine korrekte Diagnose und auch keine ausreichende Behandlung. Außerdem vergehen im Schnitt zehn Jahre vom ersten Ausbruch der Erkrankung bis zu einer  ursächlichen Therapie. Das gilt vor allem für Patienten mit leichten Hypomanien. Der Neurologe und Psychiater Andreas Erfurth ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen:

3. Zusp. Erfurth

In Deutschland wird in der Regel nur die bipolar 1 Störung diagnostiziert - klassische manisch- depressive Erkrankung mit schweren Depressionen und schweren Manien ... Das ist die einzige Form die gut erforscht ist und für die wir auch zugelassene, gute Medikamente haben. Das Überraschende ist für Betrachter von außen ist, dass bipolar 2 Störung viel häufiger ist- schwere Depr. und leichtere Manien, sog. Hypomanien- schwer festzustellen- aber sehr wichtig herauszufiltern, weil sie für den Verlauf entscheidend sind ... diese Störung ist wesentlich häufiger, die allerneusten Zahlen, Studie aus Zürich ... 5, 3 Prozent... keine Patienten, die plötzlich vom Himmel gefallen sondern, sondern früher Depression als Diagnose, weil man die Hypomanie nicht erkannt hat.“

Die Übergänge zwischen Euphorie und Hypomanie sind oft fließend. Häufig überdecken auch Alkoholprobleme, Zwänge oder Ängste die zugrunde liegende Störung. Um die zu erkennen, muss der Therapeut ganz gezielte Fragen stellen.

Gibt es Zeiten, in denen Sie vor Energie schier platzen, in denen Sie kaum Schlaf brauchen, leicht gereizt sind oder sehr sprunghaft?

4. Zusp. 2´20

Viele Patienten sind kaum erträglich für Angehörige, weil sie morgens schon die ganze Familie wecken, große Schwierigkeiten für Umgebung, kann auch angenehm sein: Karrieresprünge, Energie ... Aspekte wie der Antrieb wichtig für Diagnosestellung, Schlafmuster, morgens Bäume ausreissen... ist oft viel wichtiger als zu fragen nach gehobener Stimmung oder Pelzmantel ohne Geld gekauft. (...) Wichtig sind auch Fragen wie schnell es geht vom Gedanken zur Handlung, sprunghaft, zwei  Handyverträge gleichzeitig, .....viel Geduld, kommen ja in der Regel erst in der Depression zum Arzt, in der Situation muß man sich dann zurücktasten in die Vergangenheit, ...  schwierig....“

Eine korrekte Diagnose ist deshalb so wichtig, weil die medikamentöse Behandlung unterschiedlich ausfallen muss, je nachdem ob es sich um eine reine Depression oder um eine bipolare Störung handelt. Wenn manisch- depressive Patienten nur Antidepressiva verordnet bekomme, gilt das heute fast als Kunstfehler, sagt Jörg Walden. Er ist Professor an der Psychiatrischen Klinik der Universität Freiburg:

5. Zusp. 0´22

Man muss heute davon ausgehen, nur Antidepressiva sind ein Fehler, die Amerikaner meinen sogar, sie wirken destabilisierend, so weit gehen wir naicht in Europa aber wir sagen auch: Zusätzlich Lithium oder Valproat.“ 

Lithium und Valproat sind Stimmungsstabilisierer. Beide Medikamente  wurden nicht speziell für die bipolare Störung entwickelt. Valproat kommt aus der Epilepsiebehandlung.  Lithium ist ein Leichtmetall, das in Spuren auch in Lebensmitteln wie Butter und Eiern enthalten ist. Lithiumsalze werden schon seit der Antike zur Stabilisierung der Stimmung eingesetzt.

6. Zusp. Erfurth

Sie können sich vorstellen, dass die Entwicklung von neuen Medikamenten sehr schwierig ist, wir haben kein einziges Medikament, was speziell für bipolare Erkrankung entwickelt wurde, muß alle möglichen Aufgaben erfüllen... da gibt es andere Erkrankungen, wo Modell viel einfacher ist, z.B. Epilepsie - Ratte vor Krampfanfällen schützen, deshalb Antiepileptika- Stimmungsstabilisierer, ....

In der Regel kommen die Ärzte bei der Behandlung nicht mit einem einzigen Medikament aus, sondern müssen mindestens zwei und bis zu fünf verschiedene Medikamente kombinieren.

Eine Standardtherapie gibt es ebenso wenig wie eine wirklich befriedigende Erklärung der bipolaren Störung. Zwar konnten kürzlich einige der beteiligten Genorte aufgespürt werden. Diese Entdeckungen wurden sogar vom Fachmagazin Science auf der Hitliste der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Jahr 2003 mit einem Spitzenplatz belohnt. Das heißt

aber nicht, dass die Betroffenen Spielball ihrer Gene sind.

Es muss schon einiges zusammen kommen, damit jemand manisch- depressiv wird. Eine Fährte, die derzeit verfolgt wird, sind fehlgesteuerte Regulationsprozesse von Überträgerstoffen im Gehirn.

Die Wissenschaftler tasten sich sozusagen rückwärts an ihr Ziel heran: Denn sie ziehen Rückschlüsse aus der Wirkung der Medikamente auf deren Funktion im zentralen Nervensystem: Für Lithium lässt sich z.B. feststellen, dass es innerhalb der Nervenzellen an der Weiterleitung von Signalen in der Zelle mitwirkt.

7. Zusp. Erfurth

1´25 Die Substanzen die anti- manisch wirken, entweder auch als Blockade von Signalstoffen oder Antiepileptika verhindern Heißlaufen der Zelle, Einströmen von Ionen...Kreisläufe laufen nicht so heiß, Ionenkanäle geschützt... stabilisierende Wirkung einstellt.  Gut erforscht in zwanzig Jahren, Ionenströme und Neurotransmitter - Neurochemie und Neurophysiologie...letztlich ist es extrem schwer zu verstehen, warum manche Patienten ultra- rapid cycling haben....es ist schon noch eine weiße Landkarte.“ 

Die vielen weißen Flecken auf der Landkarte der bipolaren Störung zu füllen, ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse. Denn es geht bei diesen Patienten um Leben und Tod. Ohne Übertreibung. Manisch -depressive Patienten haben ein sehr hohes Todesrisiko. Mindestens ein Drittel unternimmt irgendwann einen Selbstmordversuch:

8. Zusp. Erfurth

6 Wir haben gute Daten, u.a. aus Ungarn. Suizidrisiko wesentlich höher bei bipolar- 2- Patienten. Zwei Gründe. Anderes Krankheitskonzept: Depressiver Patient möchte, dass der Arzt Depression wegmacht und ist dann zufrieden. Hypomaner Patient möchte nicht gesund werden, sondern wenigstens ein leichtes Gefühl behalten.(...)

7 der zweite Aspekt, der mir wichtig erscheint, ist- häufig sprechen wir von Mischzuständen. (...) Beispiel trübe Gedanken, tieftraurig, Selbstmordgedanken, aber im Antrieb gesteigert ... der Maniker denkt nicht nur Porsche, kauft ihn sich auch ... der Bipolare denkt Suizid und tut ihn auch.“

Das kann auch schon Jugendliche betreffen. Man weiß heute, dass sehr viel mehr Jugendliche an der bipolaren Störung leiden, als man je angenommen hat. Denn erst die neuere Forschung hat gezeigt, dass etwa ein Viertel der manisch- depressiven Erkrankungen bereits im zweiten Lebensjahrzehnt beginnt. Franz- Josef Freisleder ist Direktor der Heckscher Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in München:

9. Zusp. Freisleder

Es vergeht an unserer Klinik kein Tag an dem nicht mindestens ein Jugendlicher notfallmäßig vorgestellt wird- tägliches Brot, zuweithöchste Todesfolge im Kindes- und Jugendalter- nun nicht bei weitem so, dass immer bipolare Störung dahinter steckt, aber es lohnt sich sehr, sorgfältig zu überlegen, bipolares Problem mitschwingen könnte, dazu gehört: Lebensgeschichte durchleuchten, Phasen... ganz wichtig: erbliche Komponente, gehäuft ähnliche Störungen bei Verwandten.. auf bipolare Störungen bei den Eltern“

Eine These die derzeit von Wissenschaftlern diskutiert wird, ist, ob

ein Zusammenhang besteht zwischen bipolaren Störungen und der weit verbreiteten Aufmerksamkeitsstörung ADHS. Ist möglicherweise manches Kind, das als Zappelphilipp gilt, in Wirklichkeit manisch- depressiv?

10. Zusp. Freisleder

Also da ist gerade in den letzten 1-2 Jahren in den USA viel geredet worden, steckt nicht hinter jeder zweiten ADHS eine nicht erkannte bipolare Störung- übertreiben, hyperaktiv, gereizt, aggressiv... plötzlich, nicht seit Jahren so ... aber ich warne vor Panikmache- ADHS ist häufigste Diagnose im Grundschulalter.. zu schnell an bipolare Störung zu denken, nicht herausnehmen sollte.“

Eine Verwechslung wäre fatal, denn ADHS- Kinder werden - vor allem in den USA - gern mit Psychostimulanzien behandelt. Solche Medikamente sind aber bei einer Manie genau das Falsche. Erhärtet sich der Verdacht einer bipolaren Störung im Jugendalter werden im Prinzip die gleichen Medikamente verordnet wie bei Erwachsenen.  Wobei die Kinder- und Jugendpsychiater vor dem besonderen Problem stehen, dass viele der Medikamente gar nicht für Kinder und Jugendliche zugelassen sind, zum Beispiel Lithium und die meisten Antidepressiva. Es gibt kaum wissenschaftliche Studien, die ihre Wirksamkeit bei jüngeren Patienten belegen. Das heißt, der Arzt bewegt sich hier in einer Grauzone, und muß bisher selbst entscheiden, ob er seiner Erfahrung vertraut und dem jugendlichen Patienten die Mittel trotzdem verordnet. 

Medikamente sind bei einer bipolaren Störung oft unverzichtbar- darin sind sich die Experten weitgehend einig. Die neuere Forschung zeigt aber auch eindeutig, dass den Patienten eine zusätzliche Psychotherapie hilft. Dr. Thomas Meyer vom Psychologischen Institut der Universität Tübingen:

11. Zusp. 1´34 Meyer

Der Vorteil als Psychotherapeuten ist, dass wir mehr Zeit haben... Sachen besprechen. Anschauen, welche Faktoren lassen das Kippen, Warnsymptome sind unterschiedlich .. z.B. einem Patient reicht nicht eine Zeitung sondern 3-5... gegensteuern..  entweder medikamentös... Ruhephasen.. mehr Schönes.. Bausteine.“

Eine der größten Klippen in der Therapie ist die Krankheitseinsicht, sprich der Patient muss ernst nehmen,  dass auch seine euphorischen Phasen mit der Krankheit zu tun haben. Hilfreich ist, wenn sich die Betroffenen mit Hilfe eines Tagebuchs ihr spezielles Verlaufsmuster der Krankheit vor Augen führen. Dann können sie lernen, rechtzeitig gegenzusteuern.  

An der Tübinger Universität läuft derzeit eine Studie, in der Medikamente und Psychotherapie kombiniert werden. Erste Ergebnisse belegen, dass diese Doppelbehandlung bei der bipolaren Störung besonders wirkungsvoll ist.
Zwanzig psychotherapeutische Sitzungen stehen den Patienten im Rahmen der Studie zu. Das ist erstmal durchaus ausreichend, langfristig allerdings zu wenig. Gut wäre immer mal wieder ein Termin in größeren zeitlichen Abständen,  meint Thomas Meyer. Doch eine möglicherweise lebenslange Begleitung  von Patienten ist von den Krankenkassen hierzulande nicht vorgesehen. Sie zahlen nur die Psychotherapie am Stück.

12. Zusp. 0´40

Eine US Forscherin sagt, manche brauchen 20 manche lebenslang, manche über Jahre und nur in Krisenzeiten ... das ist wichtig, Ansprechpartner haben, zu dem ich auch hinterher noch gehen kann, um aufzufrischen...“

Thomas Meyer hat in den USA sogar erlebt, das Kollegen zu ihren Patienten nach Hause kamen, um dort in der gewohnten Umgebung mit der ganzen Familie zu arbeiten. Eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Psychotherapie im Alltag zu verankern, meint er. Hierzulande zahlt das keine Krankenkasse, im besten Fall darf der Partner zu einigen Therapiesitzungen mitkommen :

13. Zusp.

„Ich halte es für großen Nutzen.. lernen wann Krankheit, wann normales Verhalten ... gereizt und wütend...Medikamente nehmen, nicht kontrollieren...  ausmachen.“ 

Auch die Patientin, die schon einmal ganz zu Anfang der Sendung zu Wort kam, hat an der Psychotherapiestudie der Universität Tübingen teilgenommen. Wichtig, so sagt sie, war es im Lauf der Therapie zu lernen, ein neues Bild von sich zu entwickeln. Sie musste Wege finden, um sich sozusagen mit sich selbst zu befreunden. Ihre Hochphasen hatte sie immer sehr gemocht. So gefiel sie sich, so empfand sie sich nicht als Zumutung für andere Menschen. Sie freute sich, wenn sie aus dem finsteren Loch der Depression heraus war und endlich wieder gute Laune hatte, Tatendrang und Energie. In ihren leicht manischen Zeiten passte sie im Grunde perfekt in unsere Spaßkultur und Leistungsgesellschaft: Kommunikativ und kreativ, einsatzbereit bis zur totalen Erschöpfung, mitreißend, witzig und immer gut drauf. Warum sollte sie sich da mit Medikamenten herunter holen lassen. Es dauerte lange, bis sie begriff, dass die Depression, die sie so hasste, eng mit der attraktiven manischen Phase verzahnt war: 

Sprecherin  Zitat Ilse                                              

„ Wenn die Abstürze nicht mit einer so unabwendbaren Konsequenz kämen, wäre ich gern manisch. Ralf Schumacher sieht ja auch nicht ein, warum er mit der Raserei aufhören soll. Ist doch einfach klasse, schneller, toller, aufregender und reicher als alle anderen zu sein.

Ich erinnere mich sehr gut, wie ich von „Uneinsichtigkeit„ in dem Infoblatt über Bipolare Störung las. Ich weiß noch, wie ich wieder auf einem Allmachtstrip war. Ich arbeitete an drei verschiedenen Projekten, startete zu einer großen Reise in die Südsee und flatterte bei meinem Psychotherapeuten rein mit den Worten: „Ach übrigens, ich plane, meine Doktorarbeit zu schreiben.„

Mein Therapeut lächelte nicht, sondern zog die Augenbrauen hoch und sagte: „Passen Sie auf, ich habe das Gefühl, dass jetzt wieder ein Absturz droht. Lassen Sie es ruhiger angehen; übernehmen Sie sich nicht.“ Ich antwortete lachend: „Warum sind Sie so pessimistisch? Die Tabletten haben gewirkt, ich fühle mich klasse, also kann ich sie auch wieder absetzen.„ Wir hatten eine Auseinandersetzung, und ich lachte ihn aus. Zum Schluss hat er mich dann doch so weit gebracht, dass ich das Medikament weiter nahm. Aber eigentlich nur, weiler mich an unseren  Therapievertrag erinnerte.

 Ich merkte dann irgendwann, dass ich hin und wieder das erreichte, was mein Ziel gewesen war: Gelassenheit. Und ich hasste sie. Ich konnte mit diesem unbekannten Gefühl gar nichts anfangen. Ich hatte nur theoretisch den Wunsch gehabt, „normal„ zu sein, aber nun fehlte mir der Kick, der mich mein ganzes Leben über begleitet hat.
Ich fühlte mich dumpf, langweilig und gelangweilt, überflüssig und stinknormal, fantasielos und uninteressant. Das sollte es sein, weshalb ich in die Therapie gegangen war? Aber ich spürte auch tief drinnen : das ist wohl das, was die Wissenschaftler als Uneinsichtigkeit bezeichnen. Ja, ich war uneinsichtig.

Vielleicht setzt genau dort die Therapiearbeit ein. Es dauerte eine Zeit lang und kostete einige Geduld auf beiden Seiten, meiner und sicherlich auch meines Therapeuten. Nun musste ich lernen, mit meiner Mittelmäßigkeit fertig zu werden, musste meinen Freunden und der Familie gegenüber klar machen, dass Schluss ist mit Highlife. Ich musste mich also selbst von meinem eigenen Image verabschieden, dass ich die Frau mit Champagnerlaune und Dauerbatterie bin. Das bedeutet heute: Ich versuche weniger zu arbeiten, ich biete nicht mehr ungefragt meine Hilfe an, ich hänge mich nicht mehr in all die Probleme anderer Leute rein. Ich habe Entspannungsübungen gelernt, ich schone öfter meinen Rücken und lasse mir helfen. Ich mache nicht mehr tausend Dinge parallel. Kreativ bin ich erfreulicherweise geblieben. Aber ich setze die Kreativität mehr für mich als für die große Show da draußen ein. Und ich nehme meine Medikamente regelmäßig - auch wenn ich anfangs mit Nebenwirkungen zu kämpfen hatte.“ 

Buchtipps zur Sendung:

- Heinz Grunze, Jörg Walden: Die bipolaren Störungen, Manisch-depressive Erkrankungen. Thieme Verlag. 2. Auflage 2003

- Weißbuch Bipolare Störungen in Deutschland, Bestandsaufnahme, Versorgung, Diagnose, Therapie, Forschung, Mängel und Empfehlungen Was ist zu tun? Redaktion: Andreas Erfurth, Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. www.dgbs.de

-  Hanfried Helmchen u.a. Depression und Manie. Wege zurück ins normale Leben, Trias Verlag 1998

-  Thomas Bock: Achterbahn der Gefühle. Leben mit Manien und  Depressionen. Herder Taschenbuch 1998

Adresse:

Deutsche Gesellschaft für bipolare Störungen DGBS
PF 920249  21132 Hamburg
Tel. 040- 85408883
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