Gesprächspartner:
Dr. Andreas Erfurth,
Neurologe und Psychiater/Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für
Bipolare Störungen
Prof. Jörg Walden,
Psychiatrische Klinik der Universität Freiburg:
Prof. Franz- Josef
Freisleder, Direktor der Heckscher Klinik für Kinder-
und Jugendpsychiatrie in
München
Dr. Thomas Meyer,
Psychologisches Institut der Universität Tübingen
Patientin Ilse
Sprecherin Zitat Ilse:
„An manchen Tagen sprang
ich aus dem Bett, lachte dem Himmel entgegen und packte einfach alles an,
was zu erledigen war. Die Kollegen waren im Urlaub, kein Problem, ich
arbeitete für drei. Außerdem wollte ich den Sommerkurs in der VHS
besuchen, zwei Filme im Kino sehen und alle Freunde zum Grillen einladen.
In solchen Situationen drehte ich richtig auf. Ich fühle mich unendlich
stark, wie ein perpetuum mobile, das niemals an Energie verliert. Vor
allem spürte ich: Dann liebt man mich, wenn ich in Champagnerlaune bin und
keine Müdigkeit kenne.
Aber immer wieder wurde es
riskant, weil ich überdrehte. So war ich vor einiger Zeit in Norwegen mit
dem Bus unterwegs. Man fährt dort stundenlang, um eine relativ kurze
Luftlinienstrecke hinter sich bringen, weil ja immer die Fjorde umfahren
werden müssen. Mir wurde langsam schlecht. Da habe ich mir gesagt, im
nächsten Ort steige ich aus und nehme ein Flugzeug! Der Kurztrip mit dem
Wasserflugzeug, auf das ich drei Stunden warten musste, kostete so viel
wie die ganze Reise. Aber ich war nicht klein zu kriegen. Ich hockte auf
meinem Sitz in 5000 Meter Höhe und bejubelte die Aussicht. Ich sah
Rentiere, schneebedeckte Bergrücken, ich hatte das Gefühl, ich sei die
Pilotin, die nun ins All abheben kann. Ein Höhenflug im wahrsten Sinn des
Wortes.
Riskant in solchen Situationen sind auch Liebesgeschichten gewesen.
Ich habe mich auf manches
Abenteuer eingelassen, auf das ich in meiner „normalen„ Zeit nie
eingewilligt hätte.
Und dann war auf einmal
alles anders. Eigentlich kündigte sich der Absturz immer an. Aber ich habe
die Zeichen mein ganzes Leben lang nicht erkannt, sondern bin stets aufs
neue reingestolpert.
Es begann fast immer mit
körperlichen Symptomen. Magenschmerzen, einige Jahre auch ein
Zwölffingerdarmgeschwür, später Rückenbeschwerden. Plötzlich war ich nicht
mehr leistungsfähig und phantasievoll, sondern ich fühlte mich
zerbrechlich und müde. Ich fühlte mich unverstanden. Viele Leute waren
enttäuscht von mir. Es war der Absturz von meinem Hochseil. Dann verging
der Appetit, in der Nacht drehte ich mich schlaflos von einer Seite auf
die andere, mochte morgens vor lauter Verdrießlichkeit nicht aufstehen.
Und es dauerte nicht lange, dann kamen die bösen Geister : Wachträume von
Selbstmord.“
Susanne Poelchau :
Wer Ilse in einer ihrer
Hochphasen kennen lernt, ist beeindruckt von ihrem Temperament und ihrer
mitreißenden Kreativität. Beruflich stellt sie spannende Projekte auf die
Beine, sie ist eine blendende Gastgeberin
und sie kann mit Mitte 50
noch wie ein junges Mädchen tanzen, lachen und Blödsinn machen. Die
Schattenseite in ihrem Leben kennt kaum jemand. Die Schriftstellerin ist
manisch- depressiv. Rauf und runter. Himmelhoch jauchzend, zu Tode
betrübt!
Etwa vier Millionen
Menschen in Deutschland bewegen sich emotional zwischen diesen Polen.
Zeiten der Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Lustlosigkeit
wechseln mit Phasen, in denen sie energiegeladen und euphorisch sind, kaum
Schlaf brauchen und manchmal auch verrückte Dinge tun: Ein Schwimmbad
bestellen, eine Weltreise buchen oder das ganze Geld im Kasino verspielen.
Thomas Meyer vom
Psychologischen Institut der Universität Tübingen beschäftigt sich
speziell mit der Erforschung und Behandlung der bipolaren Störung:
1. Zusp. 1´14
Ich denke wenn Sie einen
Maniker im Biergarten oder in der Kneipe kennen lernen, kann sehr angenehm
sein, wird anders wenn der Wahnvorstellungen hat, sich plötzlich ans
Klavier setzt und das nicht kann . Also es kommt darauf an, wie massiv die
Symptomatik ist.
Häufig übersehen werden die leichten Fälle, da
gibt es wohl Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, Partner, gereizt, nicht
Schulden, Jesus, häufig übersehen... berichten nicht von Zeiten in denen
es ihnen gut geht... da geht ja keiner zum Arzt.“
Gerade die Patienten,
deren Manie weniger extrem ausfällt - in der Fachsprache heißt es „Hypomanie“
- haben es besonders schwer.
Bei ihnen schlagen die
Hochphasen manchmal unmittelbar in Depressionen um. Da geht es innerlich
zu wie auf der Achterbahn.
2.
Zusp. 0´47
„Ich habe Patienten
gesehen, die kamen hier rein.. spritzig und witzig... ich wusste, das Loch
kommt, nicht in ferner Zukunft, sondern direkt. ... Also es ist schon sehr
hart, wenn ich dann die Leute konfrontiere: Sie schlafen zu wenig, reißen
schlechte Witze unter die Gürtellinie ... tut mir leid, es geht ihnen gut,
aber das ist nicht nur gut, das ist mehr als gut“
Doch so klar stellen auch
viele Therapeuten die Diagnose nicht. Oft sehen sie nur die Depression und
die Patienten kommen auch nur mit diesem Problem zum Arzt.
Mehr als die Hälfte aller
Patienten erhält infolgedessen keine korrekte Diagnose und auch keine
ausreichende Behandlung. Außerdem vergehen im Schnitt zehn Jahre vom
ersten Ausbruch der Erkrankung bis zu einer ursächlichen Therapie. Das
gilt vor allem für Patienten mit leichten Hypomanien. Der Neurologe
und Psychiater Andreas Erfurth ist Gründungsmitglied der Deutschen
Gesellschaft für Bipolare Störungen:
3. Zusp. Erfurth
In Deutschland wird in der
Regel nur die bipolar 1 Störung diagnostiziert - klassische manisch-
depressive Erkrankung mit schweren Depressionen und schweren Manien
... Das ist die einzige Form die gut erforscht
ist und für die wir auch zugelassene, gute Medikamente haben. Das
Überraschende ist für Betrachter von außen ist, dass bipolar 2 Störung
viel häufiger ist- schwere Depr. und leichtere Manien, sog. Hypomanien-
schwer festzustellen- aber sehr wichtig herauszufiltern, weil sie für den
Verlauf entscheidend sind ... diese Störung ist wesentlich häufiger, die
allerneusten Zahlen, Studie aus Zürich ... 5, 3 Prozent... keine
Patienten, die plötzlich vom Himmel gefallen sondern, sondern früher
Depression als Diagnose, weil man die Hypomanie nicht erkannt hat.“
Die Übergänge zwischen
Euphorie und Hypomanie sind oft fließend. Häufig überdecken auch
Alkoholprobleme, Zwänge oder Ängste die zugrunde liegende Störung. Um die
zu erkennen, muss der Therapeut ganz gezielte Fragen stellen.
Gibt es Zeiten, in denen
Sie vor Energie schier platzen, in denen Sie kaum Schlaf brauchen, leicht
gereizt sind oder sehr sprunghaft?
4. Zusp. 2´20
Viele Patienten sind kaum
erträglich für Angehörige, weil sie morgens schon die ganze Familie
wecken, große Schwierigkeiten für Umgebung, kann auch angenehm sein:
Karrieresprünge, Energie ... Aspekte wie der Antrieb wichtig für
Diagnosestellung, Schlafmuster, morgens Bäume ausreissen... ist oft viel
wichtiger als zu fragen nach gehobener Stimmung oder Pelzmantel ohne Geld
gekauft. (...) Wichtig sind auch Fragen wie schnell es geht vom Gedanken
zur Handlung, sprunghaft, zwei Handyverträge gleichzeitig, .....viel
Geduld, kommen ja in der Regel erst in der Depression zum Arzt, in der
Situation muß man sich dann zurücktasten in die Vergangenheit, ...
schwierig....“
Eine korrekte Diagnose ist
deshalb so wichtig, weil die medikamentöse Behandlung unterschiedlich
ausfallen muss, je nachdem ob es sich um eine reine Depression oder um
eine bipolare Störung handelt. Wenn manisch- depressive Patienten nur
Antidepressiva verordnet bekomme, gilt das heute fast als Kunstfehler,
sagt Jörg Walden. Er ist Professor an der Psychiatrischen Klinik der
Universität Freiburg:
5. Zusp. 0´22
Man muss heute davon
ausgehen, nur Antidepressiva sind ein Fehler, die Amerikaner meinen sogar,
sie wirken destabilisierend, so weit gehen wir naicht in Europa aber wir
sagen auch: Zusätzlich Lithium oder Valproat.“
Lithium und Valproat sind
Stimmungsstabilisierer. Beide Medikamente wurden nicht speziell für die
bipolare Störung entwickelt. Valproat kommt aus der Epilepsiebehandlung.
Lithium ist ein Leichtmetall, das in Spuren auch in Lebensmitteln wie
Butter und Eiern enthalten ist. Lithiumsalze werden schon seit der Antike
zur Stabilisierung der Stimmung eingesetzt.
6. Zusp. Erfurth
Sie können sich
vorstellen, dass die Entwicklung von neuen Medikamenten sehr schwierig
ist, wir haben kein einziges Medikament, was speziell für bipolare
Erkrankung entwickelt wurde, muß alle möglichen Aufgaben erfüllen... da
gibt es andere Erkrankungen, wo Modell viel einfacher ist, z.B. Epilepsie
- Ratte vor Krampfanfällen schützen, deshalb Antiepileptika-
Stimmungsstabilisierer, ....
In der Regel kommen die
Ärzte bei der Behandlung nicht mit einem einzigen Medikament aus, sondern
müssen mindestens zwei und bis zu fünf verschiedene Medikamente
kombinieren.
Eine Standardtherapie gibt
es ebenso wenig wie eine wirklich befriedigende Erklärung der bipolaren
Störung. Zwar konnten kürzlich einige der beteiligten Genorte aufgespürt
werden. Diese Entdeckungen wurden sogar vom Fachmagazin Science auf der
Hitliste der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Jahr 2003 mit einem
Spitzenplatz belohnt. Das heißt
aber nicht, dass die
Betroffenen Spielball ihrer Gene sind.
Es muss schon einiges
zusammen kommen, damit jemand manisch- depressiv wird. Eine Fährte, die
derzeit verfolgt wird, sind fehlgesteuerte Regulationsprozesse von
Überträgerstoffen im Gehirn.
Die Wissenschaftler tasten
sich sozusagen rückwärts an ihr Ziel heran: Denn sie ziehen Rückschlüsse
aus der Wirkung der Medikamente auf deren Funktion im zentralen
Nervensystem: Für Lithium lässt sich z.B. feststellen, dass es innerhalb
der Nervenzellen an der Weiterleitung von Signalen in der Zelle mitwirkt.
7. Zusp. Erfurth
1´25 Die Substanzen die
anti- manisch wirken, entweder auch als Blockade von Signalstoffen oder
Antiepileptika verhindern Heißlaufen der Zelle, Einströmen von
Ionen...Kreisläufe laufen nicht so heiß, Ionenkanäle geschützt...
stabilisierende Wirkung einstellt. Gut erforscht in zwanzig Jahren,
Ionenströme und Neurotransmitter - Neurochemie und
Neurophysiologie...letztlich ist es extrem schwer zu verstehen, warum
manche Patienten ultra- rapid cycling haben....es ist schon noch eine
weiße Landkarte.“
Die vielen weißen Flecken
auf der Landkarte der bipolaren Störung zu füllen, ist nicht nur von
wissenschaftlichem Interesse. Denn es geht bei diesen Patienten um Leben
und Tod. Ohne Übertreibung. Manisch -depressive Patienten haben ein sehr
hohes Todesrisiko. Mindestens ein Drittel unternimmt irgendwann einen
Selbstmordversuch:
8. Zusp. Erfurth
6 Wir haben gute Daten,
u.a. aus Ungarn. Suizidrisiko wesentlich höher bei bipolar- 2- Patienten.
Zwei Gründe. Anderes Krankheitskonzept: Depressiver Patient möchte, dass
der Arzt Depression wegmacht und ist dann zufrieden. Hypomaner Patient
möchte nicht gesund werden, sondern wenigstens ein leichtes Gefühl
behalten.(...)
7 der zweite Aspekt, der
mir wichtig erscheint, ist- häufig sprechen wir von Mischzuständen. (...)
Beispiel trübe Gedanken, tieftraurig, Selbstmordgedanken, aber im Antrieb
gesteigert ... der Maniker denkt nicht nur Porsche, kauft ihn sich auch
... der Bipolare denkt Suizid und tut ihn auch.“
Das kann auch schon
Jugendliche betreffen. Man weiß heute, dass sehr viel mehr Jugendliche an
der bipolaren Störung leiden, als man je angenommen hat. Denn erst die
neuere Forschung hat gezeigt, dass etwa ein Viertel der manisch-
depressiven Erkrankungen bereits im zweiten Lebensjahrzehnt beginnt.
Franz- Josef Freisleder ist Direktor der Heckscher Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie in München:
9. Zusp. Freisleder
Es vergeht an unserer
Klinik kein Tag an dem nicht mindestens ein Jugendlicher notfallmäßig
vorgestellt wird- tägliches Brot, zuweithöchste Todesfolge im Kindes- und
Jugendalter- nun nicht bei weitem so, dass immer bipolare Störung dahinter
steckt, aber es lohnt sich sehr, sorgfältig zu überlegen, bipolares
Problem mitschwingen könnte, dazu gehört: Lebensgeschichte durchleuchten,
Phasen... ganz wichtig: erbliche Komponente, gehäuft ähnliche Störungen
bei Verwandten.. auf bipolare Störungen bei den Eltern“
Eine These die derzeit von
Wissenschaftlern diskutiert wird, ist, ob
ein Zusammenhang besteht
zwischen bipolaren Störungen und der weit verbreiteten
Aufmerksamkeitsstörung ADHS. Ist möglicherweise manches Kind, das als
Zappelphilipp gilt, in Wirklichkeit manisch- depressiv?
10. Zusp. Freisleder
Also da ist gerade in den
letzten 1-2 Jahren in den USA viel geredet worden, steckt nicht hinter
jeder zweiten ADHS eine nicht erkannte bipolare Störung- übertreiben,
hyperaktiv, gereizt, aggressiv... plötzlich, nicht seit Jahren so ... aber
ich warne vor Panikmache- ADHS ist häufigste Diagnose im Grundschulalter..
zu schnell an bipolare Störung zu denken, nicht herausnehmen sollte.“
Eine Verwechslung wäre
fatal, denn ADHS- Kinder werden - vor allem in den USA - gern mit
Psychostimulanzien behandelt. Solche Medikamente sind aber bei einer Manie
genau das Falsche. Erhärtet sich der Verdacht einer bipolaren Störung im
Jugendalter werden im Prinzip die gleichen Medikamente verordnet wie bei
Erwachsenen. Wobei die Kinder- und Jugendpsychiater vor dem besonderen
Problem stehen, dass viele der Medikamente gar nicht für Kinder und
Jugendliche zugelassen sind, zum Beispiel Lithium und die meisten
Antidepressiva. Es gibt kaum wissenschaftliche Studien, die ihre
Wirksamkeit bei jüngeren Patienten belegen. Das heißt, der Arzt bewegt
sich hier in einer Grauzone, und muß bisher selbst entscheiden, ob er
seiner Erfahrung vertraut und dem jugendlichen Patienten die Mittel
trotzdem verordnet.
Medikamente sind bei einer
bipolaren Störung oft unverzichtbar- darin sind sich die Experten
weitgehend einig. Die neuere Forschung zeigt aber auch eindeutig, dass den
Patienten eine zusätzliche Psychotherapie hilft. Dr. Thomas Meyer vom
Psychologischen Institut der Universität Tübingen:
11. Zusp. 1´34 Meyer
Der Vorteil als
Psychotherapeuten ist, dass wir mehr Zeit haben... Sachen besprechen.
Anschauen, welche Faktoren lassen das Kippen, Warnsymptome sind
unterschiedlich .. z.B. einem Patient reicht nicht eine Zeitung sondern
3-5... gegensteuern.. entweder medikamentös... Ruhephasen.. mehr
Schönes.. Bausteine.“
Eine der größten Klippen
in der Therapie ist die Krankheitseinsicht, sprich der Patient muss ernst
nehmen, dass auch seine euphorischen Phasen mit der Krankheit zu tun
haben. Hilfreich ist, wenn sich die Betroffenen mit Hilfe eines Tagebuchs
ihr spezielles Verlaufsmuster der Krankheit vor Augen führen. Dann können
sie lernen, rechtzeitig gegenzusteuern.
An der Tübinger
Universität läuft derzeit eine Studie, in der Medikamente und
Psychotherapie kombiniert werden. Erste Ergebnisse belegen, dass diese
Doppelbehandlung bei der bipolaren Störung besonders wirkungsvoll ist.
Zwanzig psychotherapeutische Sitzungen stehen den Patienten im Rahmen der
Studie zu. Das ist erstmal durchaus ausreichend, langfristig allerdings zu
wenig. Gut wäre immer mal wieder ein Termin in größeren zeitlichen
Abständen, meint Thomas Meyer. Doch eine möglicherweise lebenslange
Begleitung von Patienten ist von den Krankenkassen hierzulande nicht
vorgesehen. Sie zahlen nur die Psychotherapie am Stück.
12. Zusp. 0´40
Eine US Forscherin sagt,
manche brauchen 20 manche lebenslang, manche über Jahre und nur in
Krisenzeiten ... das ist wichtig, Ansprechpartner haben, zu dem ich auch
hinterher noch gehen kann, um aufzufrischen...“
Thomas Meyer hat in den
USA sogar erlebt, das Kollegen zu ihren Patienten nach Hause kamen, um
dort in der gewohnten Umgebung mit der ganzen Familie zu arbeiten. Eine
ausgezeichnete Möglichkeit, die Psychotherapie im Alltag zu verankern,
meint er. Hierzulande zahlt das keine Krankenkasse, im besten Fall darf
der Partner zu einigen Therapiesitzungen mitkommen :
13. Zusp.
„Ich halte es für großen
Nutzen.. lernen wann Krankheit, wann normales Verhalten ... gereizt und
wütend...Medikamente nehmen, nicht kontrollieren... ausmachen.“
Auch die Patientin, die
schon einmal ganz zu Anfang der Sendung zu Wort kam, hat an der
Psychotherapiestudie der Universität Tübingen teilgenommen. Wichtig, so
sagt sie, war es im Lauf der Therapie zu lernen, ein neues Bild von sich
zu entwickeln. Sie musste Wege finden, um sich sozusagen mit sich selbst
zu befreunden. Ihre Hochphasen hatte sie immer sehr gemocht. So gefiel sie
sich, so empfand sie sich nicht als Zumutung für andere Menschen. Sie
freute sich, wenn sie aus dem finsteren Loch der Depression heraus war und
endlich wieder gute Laune hatte, Tatendrang und Energie. In ihren leicht
manischen Zeiten passte sie im Grunde perfekt in unsere Spaßkultur und
Leistungsgesellschaft: Kommunikativ und kreativ, einsatzbereit bis zur
totalen Erschöpfung, mitreißend, witzig und immer gut drauf. Warum sollte
sie sich da mit Medikamenten herunter holen lassen. Es dauerte lange, bis
sie begriff, dass die Depression, die sie so hasste, eng mit der
attraktiven manischen Phase verzahnt war:
Sprecherin Zitat
Ilse
„ Wenn die Abstürze nicht
mit einer so unabwendbaren Konsequenz kämen, wäre ich gern manisch. Ralf
Schumacher sieht ja auch nicht ein, warum er mit der Raserei aufhören
soll. Ist doch einfach klasse, schneller, toller, aufregender und reicher
als alle anderen zu sein.
Ich erinnere mich sehr
gut, wie ich von „Uneinsichtigkeit„ in dem Infoblatt über Bipolare Störung
las. Ich weiß noch, wie ich wieder auf einem Allmachtstrip war. Ich
arbeitete an drei verschiedenen Projekten, startete zu einer großen Reise
in die Südsee und flatterte bei meinem Psychotherapeuten rein mit den
Worten: „Ach übrigens, ich plane, meine Doktorarbeit zu schreiben.„
Mein Therapeut lächelte
nicht, sondern zog die Augenbrauen hoch und sagte: „Passen Sie auf, ich
habe das Gefühl, dass jetzt wieder ein Absturz droht. Lassen Sie es
ruhiger angehen; übernehmen Sie sich nicht.“ Ich antwortete lachend:
„Warum sind Sie so pessimistisch? Die Tabletten haben gewirkt, ich fühle
mich klasse, also kann ich sie auch wieder absetzen.„ Wir hatten eine
Auseinandersetzung, und ich lachte ihn aus. Zum Schluss hat er mich dann
doch so weit gebracht, dass ich das Medikament weiter nahm. Aber
eigentlich nur, weiler mich an unseren Therapievertrag erinnerte.
Ich merkte dann
irgendwann, dass ich hin und wieder das erreichte, was mein Ziel gewesen
war: Gelassenheit. Und ich hasste sie. Ich konnte mit diesem unbekannten
Gefühl gar nichts anfangen. Ich hatte nur theoretisch den Wunsch gehabt,
„normal„ zu sein, aber nun fehlte mir der Kick, der mich mein ganzes Leben
über begleitet hat.
Ich fühlte mich dumpf, langweilig und gelangweilt, überflüssig und
stinknormal, fantasielos und uninteressant. Das sollte es sein, weshalb
ich in die Therapie gegangen war? Aber ich spürte auch tief drinnen : das
ist wohl das, was die Wissenschaftler als Uneinsichtigkeit bezeichnen. Ja,
ich war uneinsichtig.
Vielleicht setzt genau
dort die Therapiearbeit ein. Es dauerte eine Zeit lang und kostete einige
Geduld auf beiden Seiten, meiner und sicherlich auch meines Therapeuten.
Nun musste ich lernen, mit meiner Mittelmäßigkeit fertig zu werden, musste
meinen Freunden und der Familie gegenüber klar machen, dass Schluss ist
mit Highlife. Ich musste mich also selbst von meinem eigenen Image
verabschieden, dass ich die Frau mit Champagnerlaune und Dauerbatterie
bin. Das bedeutet heute: Ich versuche weniger zu arbeiten, ich biete nicht
mehr ungefragt meine Hilfe an, ich hänge mich nicht mehr in all die
Probleme anderer Leute rein. Ich habe Entspannungsübungen gelernt, ich
schone öfter meinen Rücken und lasse mir helfen. Ich mache nicht mehr
tausend Dinge parallel. Kreativ bin ich erfreulicherweise geblieben. Aber
ich setze die Kreativität mehr für mich als für die große Show da draußen
ein. Und ich nehme meine Medikamente regelmäßig - auch wenn ich anfangs
mit Nebenwirkungen zu kämpfen hatte.“
Buchtipps zur Sendung:
- Heinz Grunze, Jörg
Walden: Die bipolaren Störungen, Manisch-depressive Erkrankungen. Thieme
Verlag. 2. Auflage 2003
- Weißbuch Bipolare
Störungen in Deutschland, Bestandsaufnahme, Versorgung, Diagnose,
Therapie, Forschung, Mängel und Empfehlungen Was ist zu tun? Redaktion:
Andreas Erfurth, Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V.
www.dgbs.de
- Hanfried Helmchen u.a.
Depression und Manie. Wege zurück ins normale Leben, Trias Verlag 1998
- Thomas Bock: Achterbahn
der Gefühle. Leben mit Manien und Depressionen. Herder Taschenbuch 1998
Adresse:
Deutsche Gesellschaft für
bipolare Störungen DGBS
PF 920249 21132 Hamburg
Tel. 040- 85408883
www.dgbs.de
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