Ob
wir das Leben als Kampf, Herausforderung, Last oder Spiel betrachten,
hängt von uns selbst ab (und den auf uns eingeübten Einflüssen). Schon das
bloße Anhören dieser „Metaphern“ lässt erahnen bzw. spüren, wie mächtig
das jeweils gewählte Bild unser Erleben prägen kann. Durch einen
Laienschauspielkurs, den ich mit Freude besucht habe, lernte ich
eine Übung kennen, die lautet: „Spielangebote annehmen“. Je häufiger wir
diese Übung (meist zu zweit) durchführten, umso bewusster wurde mir, dass
es sich nicht nur um eine bloße „Schauspieltechnik“ handelt. Im Grunde
machen uns unsere Mitmenschen bzw. die Welt ständig „Spielangebote“ – wir
erkennen diese nur meistens nicht oder lassen uns nicht vorbehaltlos
darauf ein. Weitaus verbreiteter scheint die Haltung zu sein, „Störungen“
wahrzunehmen und auf diese ablehnend oder sogar bekämpfend zu reagieren.
Seitdem ich mich für die mir hilfreicher erscheinende Sichtweise mit den
„Spielangeboten“ geöffnet habe, biete ich sie auch meinen Patienten und
Klienten an. Allein dadurch (und natürlich durch begleitendes Üben) hat
sich schon manche Therapiesitzung leicht, humorvoll und kreativ
weiterentwickelt.
Damit
auch Sie immer häufiger Spielangebote erkennen, aufgreifen und selbst
machen können, fasse ich einige bewährte Grundregeln dieser
„Lebensspielweise“ zusammen:
-
Prüfen Sie in möglichst allen Lebenssituationen, ob Ihnen ein Mitmensch
nicht gerade (oder sogar vorrangig) ein „Spielangebot“ macht. Geben Sie
dieser Prüfung ausreichend Zeit, um zu spüren, welche Resonanz das
Verhalten der anderen Person in Ihnen auslöst: Welche Impulse verspüren
Sie? Welche inneren Bilder tauchen vor Ihren Augen auf? Welche Stimmung
macht sich breit? Welche Sinne werden angesprochen (Hören, Riechen,
Schmecken, Sehen, Fühlen)?
-
Entscheiden Sie sich bewusst dafür, das betreffende Verhalten Ihres
Mitmenschen als ein Spielangebot zu verstehen, auf das Sie sich ab jetzt
vorbehaltlos einlassen wollen. Vorbehaltlos heißt, dass Sie sich nicht
selbst ein festes „Drehbuch“ ausdenken, das Sie dann durchzuziehen
wollen, egal, ob der oder die Andere darauf einsteigen will oder nicht.
Denn „Spielen“ heißt eben nicht „Durchsetzen“, sondern sich auf die
Spielzüge des Anderen einlassen. Mit anderen Worten: Ab jetzt wechselt
die „Spielregie“ wie bei einem Brettspiel „Zug um Zug“ und die
Schlussszene kennt vor dem Ende des letzten Aktes keiner der
Beteiligten. Für sie bleibt auch bis zur letzten Sekunde offen, wer das
Spiel beenden und in welcher Form dies geschehen wird.
-
Sie tun sich (und vermutlich auch Ihrem „Mitspieler“) den größten
Gefallen, wenn Sie auf dessen „Spielangebot“ so einsteigen, dass sie
dessen Vorschläge und Themen im ersten Schritt uneingeschränkt annehmen
und im zweiten Schritt weiterentwickeln. Verbieten Sie sich selbst
negative bzw. ablehnende Reaktionen (wie „nein“, „nicht“, „niemals“, „so
nicht“, „anders“ usw.). Das wäre der sicherste Weg, um das Spiel rasch
zu beenden oder in trister Langeweile einzuschläfern. Lassen Sie sich
lieber davon überraschen, wohin der Fluss des sich Zug um Zug
entwickelnden Geschehens hinführt, wenn Sie Vorschläge und Ideen Ihrer
Mitmenschen aufgreifen und diese dann angereichert mit eigenem Input
zurückspielen. Abgesehen davon, dass eine solche „Spieltechnik“ als
leicht, locker, entspannend und spaßig erlebt wird, kann sie
überraschend Kreatives zutage fördern.
-
Setzen Sie sich nicht unnötig unter Druck, SOFORT einen „tollen
Spielzug“ entwickeln zu müssen. Lassen Sie sich Zeit und vertrauen Sie
darauf, dass Ihnen Ihr sog. Unbewusstes bald einen passenden Vorschlag
unterbreiten wird. Über kurz oder lang werden Sie einen entsprechenden
Impuls registrieren. Sollten Sie unterschiedliche oder widersprüchliche
Impulse verspüren, wird es spannender, wenn Sie sich auf den für Sie
ungewöhnlicheren einlassen.
-
Seien Sie mit Ihrem „Input“ nicht zu sparsam, wenn Sie am „Zug“ sind.
Ein bloßes „Na und?“ spielt Ihrem „Mitspieler“ quantitativ wenig
„Material“ zurück (es sei denn, dass Sie dieses mit interessanter
Gestik oder Mimik „angereichert“ haben).
-
Warten Sie nie einseitig ab, ob und wann (endlich) vom Anderen ein
Spielangebot kommt. Seien Sie mutig genug, selbst aktiv ein Spielangebot
zu machen. Entsprechende Situationen bieten sich überall (!!) und
jederzeit an, wo Menschen aufeinander treffen (Straßenbahn, Einkaufen,
Partys usw.). Vermeiden Sie dabei „ausgelutschte“ bzw. ritualisierte
Spielangebote (im Sinne von „Wie geht es Ihnen?“ „Schlechtes Wetter
heute!“), bei denen eingefahrene Routinen die Entwicklung eines neuen
Drehbuchs erschweren.
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Fixieren Sie sich bei Ihren Spielangeboten nicht auf Sprache! Das
vermutlich universalste und schönste Spielangebot ist nach wie vor ein
Lächeln (das mitunter eine hohe „Mitspielquote“ erzielt). Auch Gesten,
Mimik und Körperhaltungen oder der räumliche Abstand zum Anderen können
wirksame Spielangebote sein.
-
Nutzen Sie „Requisiten“. Wenn z.B. jemand ein auffälliges Schmuckstück,
einen ungewöhnlichen Pullover oder eine bizarre Uhr trägt, ist dies
meistens auch ein öffentliches „Spielangebot“ (sonst würde sich der
Betreffende vermutlich nicht „kostümiert“ außerhalb seiner Wohnung
zeigen). Ein Koffer in der Eisenbahn lädt nicht nur ein, ihn für eine
ältere Dame ins Gepäckfach zu heben, sondern auch sich nach seiner
Geschichte und seinen bisherigen Reisen zu erkundigen.
-
Eine gute Vor- oder Aufwärmübung für das „Zug-um-Zug-Spiel“ besteht
darin, mit einer anderen Person (oder auch mehreren) Sätze oder
Geschichten so zu formulieren, dass nach jedem Wort der Sprecher bzw.
die Sprecherin wechselt.
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Denken Sie immer daran, dass die meisten Ihrer Mitmenschen in der hier
vorgestellten „Spieltechnik“ noch nicht bewandert sind. Gehen Sie mit
diesen Personen respektvoll um und akzeptieren Sie es, wenn selbst auf
Ihr 10. Spielangebot keine oder gar eine ablehnende Reaktion kommt.
Viel
Spaß! Einmal erlernt und häufig erlebt, werden Sie diese
„Lebensspieltechnik“ nicht mehr missen wollen. Lassen Sie sich davon
überraschen, wie Ihre Aufmerksamkeit im Alltag sich verbessert und Sie
immer mehr Phänomene (potenzielle „Spielangebote“) erkennen, die Ihrer
Wahrnehmung bislang entgangen sind. |