Viele Paare suchen eine Beratung auf, weil sie vom Verhalten des anderen
enttäuscht sind und mit nachlassendem Erfolg darauf drängen, dass sich der
andere doch bitte in der von ihnen gewünschten Weise weiterentwickeln
soll. Ein solcher Prozess ist in aller Regel zum Scheitern verurteilt. Er
verhärtet nur die Fronten und drängt jede der beiden Parteien dazu, sich
immer mehr hinter einer Mauer von Abwehr zu verschanzen. Wer möchte schon
dauernd einem Pfeilhagel von Kritik ausgesetzt sein? Es kommt hinzu, dass
die Beteiligten in ihrem „Ausweichverhalten“ oft solchen Personen ähnlich
werden, unter denen die Beteiligten ebenfalls gelitten haben. So verhält
sich beispielsweise ein „bedrängter“ Mann immer mehr wie der Vater der
Partnerin, der sich auch wenig um Frau und Kinder gekümmert hat, oder
erinnert die Partnerin durch ihr „Klageverhalten“ den Freund immer mehr an
dessen Mutter, die ihm durch Vorhaltungen und Forderungen lebenslang ein
schlechtes Gewissen bereitet hat. Dass es bei einer solchen Entwicklung
kaum möglich ist, Liebesgefühle zu entwickeln, leuchtet unmittelbar ein.
Die
Situation wird nicht zuletzt oft dadurch aussichtsloser, dass jeder
Partner vom anderen erwartet, den ersten deutlichen Änderungsschritt zu
unternehmen. Folgendes Schema ist hier immer wieder zu beobachten: Sie
sagt „Wenn du mehr mit mir reden oder unternehmen würdest, würde ich auch
wieder gerne mit dir schlafen.“ Und er entgegnet „Wenn du mit mir schlafen
und mich weniger kritisieren würdest, würde ich auch wieder mehr mit dir
sprechen und etwas mit dir unternehmen.“ Da keiner den ersten Schritt
macht, baut sich ein Teufelskreis auf, der sich immer mehr zum Nachteil
beider aufschaukelt.
Klassischerweise treten solche Phasen ein, sobald sich die Anfangseuphorie
einer Beziehung gelegt hat, die ersten Illusionen über die Möglichkeiten
der Beziehung von realen Alltagserfahrungen gedämpft wurden („Ent-Täuschung“)
und sich alte Verhaltensmuster heimlich wieder einschleichen konnten.
Letztere stammen oft aus der eigenen Kindheit, wo sie dem Überleben in
schwierigen Situationen dienten und als „Erfolgsstrategien“ in Fleisch und
Blut übergingen (z. B. Gefühle zu verdrängen und im Alltag zu
funktionieren). Mehrere Jahrzehnte später erweisen sich diese Muster dann
in der eigenen Partnerschaft als hinderlich. Sie zu ändern wird besonders
dann schwierig, wenn sie in anderen Zusammenhängen (etwa im beruflichen
Bereich) von Erfolg gekrönt sind. Wieder andere hinderliche Muster stammen
aus früheren wichtigen Partnerbeziehungen oder fußen auf der
Beziehungskultur, die von den eigenen Eltern mehr oder weniger gut
vorgelebt und daher schon früh im Leben verinnerlicht wurde.
Sollten sich
zwei Partner in einer solchen Situation wirklich verändern wollen, wird
dies oft nur mit Hilfe des „Veränderungsparadoxons“ gelingen. Dieses
besagt, dass sich ein Mensch aus eigenem Antrieb erst dann verändern kann,
wenn er zuvor ausreichend lange ohne Vorbehalte sein durfte, wie er ist.
Eine solche Erfahrung, Träume und innere Impulse einmal leben und
ausprobieren zu dürfen, ermöglicht es, auch deren Grenzen und Nachteile zu
erkennen und zu erspüren und sich so für mögliche Veränderungen zu öffnen.
Wer diese Chance nie hatte, wird sich weiterhin an seine Träume klammern
und den Veränderungswünschen des Partners oder der Partnerin Widerstand
entgegensetzen.
Nutzen Sie
diese Erkenntnisse, um sich in Ihrer Partnerschaft gegenseitig einen
Schutz- und Entwicklungsraum zu schenken, in dem jeder (endlich!) einmal
der- oder diejenige sein darf, die er oder sie schon immer sein wollte.
Nur wenn wir uns nicht länger angegriffen fühlen und uns ständig schützen
und verstecken müssen, können wir in Ruhe nachsehen, wie wir uns in der
erträumten Welt wirklich fühlen und ob wir diese auf Dauer so wollen. Wir
müssen dann nicht ständig eine Flucht- und Abwehrhaltung einnehmen und
können uns neuen Eindrücken und Erfahrungen öffnen. Bitte vergessen Sie
nicht: Ein solcher Prozess braucht ausreichend lange Zeit, mitunter Monate
und Jahre! Er funktioniert auch nur dann, wenn er auf Gegenseitigkeit
beruht, also beide Partner sich gegenseitig ermöglichen zu sein, wie sie
sind. Wenn dieses „Geschenk“ dann auch noch mit einer Wertschätzung des
anderen verbunden ist, wird „Liebe“ fast unausweichlich entstehen und wird
sich – trotz der scheinbaren „Ego-Trips“ - über kurz oder lang auch ein
„Wir-Gefühl“ einstellen.
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