Menschliche
Entwicklung vollzieht sich vor allem in Beziehungen. Man sagt, dass
sich Menschen in Beziehungen erschaffen, dass sie miteinander
aushandeln, wer genau sie sind. Was wir über uns wissen, ist im Wesentlichen
das, was uns andere wie ein Spiegelbild vorgehalten und was wir
daraufhin verinnerlicht haben. Das wird dann gefährlich, wenn sich ein
Mensch nur noch über das definiert, was andere von ihm sagen, denken oder
erwarten, und er darauf verzichtet, ein eigenes Bild von sich zu erschaffen.
Man kann Psychotherapie auch als ein „Verfahren zur Veränderung von
Beziehungen“ beschreiben.
Jeder Mensch
scheint existentiell darauf angewiesen zu sein, von einem anderen
wahrgenommen („erblickt“) zu werden. Wer sich nicht richtig erkannt fühlt,
schämt sich. Von Paarbeziehungen sagt man, dass sie die Chance beinhalten,
dass die Partner wechselseitig beim anderen „das Beste herauslieben.“
Zumindest seine „öffentliche Identität“ formt sich jeder Mensch in der
Auseinandersetzung mit anderen. Das kann zur Folge haben, dass man über so
viele Identitäten verfügt, wie es Gruppen oder Menschen gibt, auf deren
Meinung man Wert legt („Mit jedem anderen ist man ein anderer“).
Schwierig wird es, wenn man kaum noch Beziehungen hat und über
dementsprechend wenige innere Modelle und Möglichkeiten verfügt.
Wahrscheinlich ist Ihnen die Erfahrung vertraut, dass sie im Kontakt mit
bestimmten Menschen „ganz anders sein können“ (im Denken, Fühlen und
Verhalten). So erklärt sich, warum geschiedene Eheleute im Zusammensein mit
ihren neuen Partnern für den alten Freundeskreis oft nicht wieder zu
erkennen sind. Mitunter nützen einem aber auch noch so viele Kontakte
nichts, wenn man sich für deren Anregungen nicht öffnet oder in ihnen nur
das Vertraute (sprich: Bedrohliche) wieder erkennt. Um Beziehungen
herzustellen, muss man sich zeigen (und damit anziehend = attraktiv machen).
Alles Leben läuft unweigerlich auf Beziehung („Begegnung“) hinaus. Oft
genügt es, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, um Beziehungen von selbst
geschehen zu lassen.
„Beziehungen“
kann man nicht nur zu einzelnen Menschen, sondern auch zu größeren Systemen
und Ideen (Familie, Schule, Firma, Verein, Arbeit) und natürlich auch zu
Sachen haben (inklusive Tieren, Blumen, Speisen). Letztere behandelt man oft
ähnlich wie Menschen. Da man ja selbst auch ein Mensch ist, hat man zu sich
selbst ebenfalls immer eine mehr oder weniger gute Beziehung. Sehr hilfreich
ist der Leitsatz: Man geht so mit anderen um, wie früher mit einem
umgegangen wurde und so geht man auch mit sich selbst um. Diese
Umgangsregel lässt sich häufig auch auf den Umgang mit der Natur erweitern:
Viele Menschen treiben mit dieser einen ähnlichen Raubbau wie mit ihrem
Körper bzw. ihrer Gesundheit.
Auch zur
Rollenverteilung (Mutter-Kind, Arzt-Patient, Staatschef-Regierter)
gehören mindestens immer zwei, die sich gegenseitig die Wirklichkeiten ihrer
Rollen bestätigen. Wird das Kind erwachsen, der Kranke gesund und wandert
der Regierte aus, greift die Rolle des Verbleibenden ins Leere (Er fühlt
sich dann vermutlich eines Teiles seines Seins beraubt bzw. um Möglichkeiten
betrogen). Der Wunsch nach Beziehung (Nähe zu anderen, Bezogenheit auf
andere) konkurriert mit dem Wunsch, sich selbst zu finden und abzugrenzen
(Distanz, Identitätsbildung), was meist mit einem ständigen Pendeln zwischen
diesen Polen einhergeht.
Sollten Sie
sich auf eine Beziehung mit mir einlassen, werde ich Sie einladen, Ihr
„Beziehungsnetz“ zu erweitern und mich weitere wichtige Bezugspersonen von
Ihnen kennen lernen zu lassen. Gleichzeitig sollten wir beide darauf achten,
in welchem Maße wir uns einander anpassen, anregen und irritieren. Mir
gefällt das Bild, dass sich Menschen in Beziehungen wie beim Tanzen
verhalten.
Beziehungen
sind die Grundbausteine des Lebens: Erst durch eine „Beziehung“ entstehen
aus mehreren Atomen Moleküle, aus mehreren Molekülen Zellen, aus mehreren
Zellen Organe, aus mehreren Organen Lebewesen, aus mehreren Lebewesen
soziale Verbände. Ohne Beziehung gäbe es keine Fortpflanzung usw. Das
Wirkprinzip von Beziehung sehe ich in der Fähigkeit, Rückmeldungen
(„Feedbacks“) zu geben, mit deren Hilfe die Aufeinanderbezogenen sich
gegenseitig abstimmen, anregen und anpassen können. In der Folge kann
dadurch qualitativ Neues entstehen. Feedbacks sind meist um so effektiver,
je rascher und „passender“ sie erfolgen. Feedbacks, die von Herzen kommen
(also die Gefühlsebene einschließen), sind meist wirksamer als rein
„Vernunft betonte“ Rückmeldungen.
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