„Klingonen“ werden die Bewohner des Balkans
von manchem Bundeswehr-Soldaten genannt, dem die ein oder andere Eigenart
der „Zielgruppe“ etwas komisch erscheint. Wir beobachten eine Gesellschaft
aus unserer Sicht und beurteilen sie aus derselben. Dinge, die uns fremd
sind, schätzen wir im besten Falle als seltsam, im schlimmsten Falle als
verachtens- oder bekämpfenswert ein.
Da kann es
zur Erhellung der Lage interessant sein, die eigene Gesellschaft einmal
aus dem Blickwinkel anderer zu sehen. Noch Anfang der achtziger Jahre galt
Deutschland als ethnologisch wenig erforschtes Gebiet. Deutsche Ethnologen
hatten seit der Kolonialzeit die Welt bereist und das Leben der Menschen
in fremden Ländern beschrieben. Deutschland selbst erlebte erst seit der
Wiedervereinigung einen Boom ausländischer Ethnologen, die hierher kamen,
um Feldforschung zu betreiben. Feldforschung ist die vornehmliche Methode
der Ethnologie: Der Wissenschaftler lebt mitten unter den Menschen, über
die er forscht und nimmt aktiv an ihrem Leben teil. Die Ethnologie nennt
das „teilnehmende Beobachtung“. Um uns zu helfen, den „Klingonen in uns“
zu entdecken, will ich im Folgenden ethnologische Forschungen in
Deutschland vorstellen, die vor einigen Jahren auf einer Konferenz
vorgestellt wurden, an der ich teilnahm. Die ausführlichen Beiträge können
in der Veröffentlichung zur Tagung nachgelesen werden.
Der kameruner Ethnologe Flavien Ndonko
forschte über die Beziehung der Deutschen zu ihren Hunden. Aufgewachsen in
einem Land, in dem Hunde im Hof oder auf der Straße leben und sich von
Essensresten der Menschen und von Müll ernähren, war er zutiefst
geschockt, als er in Deutschland zum ersten Mal sah, wie sich eine Frau
von einem Hund küssen (abschlecken) ließ. Eine Tatsache, die ihn ebenso
sehr belustigte war, dass die Menschen Tütchen und kleine Feger kaufen, um
den Kot ihrer Hunde anständig zu beseitigen. Ndonko kommt zu dem Schluss,
dass der Hund in Deutschland nicht einfach, wie in anderen Ländern, nur
ein Hund ist, sondern „Freund, Ehemann, Ehefrau, Elternteil oder Kind“. Er
schließt das aus seiner Beobachtung, dass Deutsche ihre Hunde wie Menschen
behandeln: Sie kaufen dem Hund besondere Nahrung, bringen ihn zum Friseur,
wo er teilweise auch mit Schleifchen, Kettchen oder Haarspangen geschmückt
wird, sie zahlen Steuern für den Hund, besorgen ihm einen internationalen
Impfpass, geben mit seiner besonderen Abstammung an und was für ihn die
Höhe des Unvorstellbaren ist: Er bekommt ein Grab, auf dem dann Dinge
stehen wie „Hier ruht mein einziger wahrer Freund Teddy“ oder „Meine
Liebe“.
Die Ethnologin Lisa Hoecklin aus Oxford
untersuchte die Erwartungen an ein sozial "angemessenes" Verhalten von
Müttern in einer bayerischen Kleinstadt. Frau Hoecklin, die mit ihrer
kleinen Tochter nach Bayern gezogen war, erlebte in vielen Bereichen des
Mutterseins starke soziale Kontrolle von ihren Nachbarinnen. Was die
Einwohner von einer "guten Mutter" und Hausfrau erwarteten, wurde ihr
schnell klar anhand von nachbarlichen Bemerkungen wie: "Stört es Sie
nicht, wenn die Fenster schmutzig sind?". Wollte man in den Augen der
anderen eine gute Mutter sein, schien es auch sehr wichtig, alles auf
„natürlichem“ Wege zu tun. Natürlich zu essen, die Kinder mit natürlichem
Spielzeug spielen zu lassen usw. Vor allem bei der Geburtsvorbereitung
musste alles ganz natürlich sein. Es wurde dabei so viel von
„Natürlichkeit“ gesprochen", erlebte die Forscherin, als sie selbst ein
Kind in Bayern bekam, "und nirgendwo erlebte ich einen solchen Einsatz von
High Tec, um dieses Ziel zu erreichen." „Natürlichkeit“ scheint ein Muss
für das erfolgreiche Aufziehen von Kindern zu sein.
Ein weiteres Beispiel handelt vom
Niederlassungsleiter einer japanischen Firma in Deutschland. Um alle 180
Mitarbeiter schnell kennen zu lernen, geht er mittags in die Kantine,
grüßt und scherzt mit jedem - egal, ob Angestellter oder
Fließbandarbeiter. Seinem deutschen Stellvertreter gefällt dieses
egalitäre Verhalten nicht. Er rät ihm, sich nur mit Seinesgleichen zu
umgeben. Dem Japaner erscheint dies sehr seltsam, denn in Japan definiert
sich der Berufstätige nicht über seine Ausbildung, seine Stellung oder
sein Spezialgebiet, sondern über seine Firma. Die Firma sorgt für die
berufliche Bildung und Weiterbildung. Dort ist Job-Rotation mit und ohne
Aufstieg die Regel. Auch findet der japanische Manager es höchst seltsam,
dass er nicht den Mitarbeiter, der „nur“ eine Technikerschule besucht hat,
zum Chefingenieur ernennen soll, obwohl er ihn für den Fähigsten hält. Es
wird im dringend angeraten, einen „Studierten“ für den Posten einzusetzen.
In Deutschland wird also die Leistung von Mitarbeitern und das soziale
Verhalten zwischen der Belegschaft einer Firma ganz anders beurteilt als
in Japan.
Man könnte noch viele Beispiele nennen, die
für Ausländer seltsam erscheinen, wenn sie uns Deutschen kennen lernen:
"Ich bin jedes Mal wieder erstaunt, wie viel Bier und Schnaps getrunken
wird", berichtete etwa die 17-jährige Italienerin Claudia Parisi im
Jugendmagazin "jetzt" der "Süddeutsche Zeitung" über hiesige Erfahrungen.
"Sie müssen Alkohol trinken, um in Stimmung zu kommen, um locker zu
werden, sich miteinander zu unterhalten und Spaß zu haben". Dem
gleichaltrigen Russen Ilja Krylov fällt unter jungen Deutschen auf: "...
trotz ihrer Weltoffenheit beschäftigen sie sich komischerweise mehr mit
Gegenständen als mit anderen Menschen ... die sitzen meistens mit
Stereoanlagen und Computern zu Hause". Ebenso erstaunlich erscheint
Besuchern unser Umgang mit Alten, das Töten ungeborener Kinder, das wir
„Abtreibung“ nennen, der Kult ums Auto usw.
Die
genannten Beispiele sollen reichen, um zu zeigen, dass nicht nur die
anderen seltsam sind, sondern immer der jeweilige Fremde. Alle Menschen
sind Ausländer – fast überall. Die Klingonen auf dem Balkan sind übrigens
nicht die Einheimischen
; die Klingonen auf
dem Balkan sind wir! |