Unsere hervorgehobene
Position als Menschen erklärt sich vermutlich aus unserer Fähigkeit,
emotional bereits in Gang gesetzte Programme „bremsen“ oder „variieren“
zu können. Das Bewusstsein eröffnet uns also „Alternativen“ zu den im
„Emotionsgehirn“ bereits fertig entworfenen und durch Außenreize
abgerufenen Programmen. Dadurch macht es uns variabler und zugleich
anpassungsfähiger an komplizierte Situationen (die sich allein durch
Flucht oder Angriff nicht optimal lösen lassen). Menschlicher
Fortschritt dürfte somit vor allem auf der Fähigkeit beruhen, Emotionen
kontrollieren (stoppen, modulieren) zu können. Zugleich erklärt sich so
das Leid mancher Menschen, die sich ihren Emotionen „ausgeliefert“
fühlen (unter Angststörungen leiden, süchtig werden, sich aggressiv
verhalten, Essstörungen haben usw.) und diese Vorgänge auch nicht
verstehen können. Solche Menschen darf man nicht verachten oder
belächeln. Denn es ist extrem schwer, Emotionen mit dem Verstand zu
kontrollieren. Dies liegt daran, dass weitaus mehr Nervenverbindungen
Informationen von den Emotionszentren zu den Verstandeszentren leiten
als umgekehrt. Das Emotionshirn hat somit weitaus mehr
Einflussmöglichkeiten als die „Vernunft“.
Viele psychische
Erkrankungen lassen sich damit erklären, dass das Bewusstsein (der
Wille) zu schwach ist, emotional in Gang gekommene Prozesse („Impulse“)
zu hemmen. Die Betroffenen werden dann von ihren Emotionen („Impulsen“)
beherrscht. Beispiele sind neben den Angststörungen auch Essstörungen,
alle Süchte und andere schädigende Verhaltensweisen (wie etwa die
Borderline-Störung). In diesen Fällen kann man auch von einer
„Impulskontrollstörung“ sprechen. Eine zweite große Gruppe psychischer
Erkrankungen zeichnet sich dadurch aus, dass es dem Bewusstsein
misslingt, Emotionen richtig wahrzunehmen bzw. angemessen zu deuten.
Emotional gefärbte Körperzustände (Herzrasen, Schwitzen, Druck, Zittern,
Frieren) werden entweder komplett ignoriert oder irrtümlich als die
„eigentliche Gefahr“ fehl interpretiert. Solche Personen irren oft
jahrelang von Arzt zu Arzt, bis als eigentliche Ursache eine
Angststörung erkannt wird.
Bei emotional
begründeten Störungen versagt nicht nur die „Verstandesbremse“, vielmehr
tritt das Bewusstsein eher noch auf das Gaspedal. Ein typisches Beispiel
dafür sind katastrophisierende Gedanken von Panikkranken („Jetzt sterbe
ich gleich“ – wenn das Herz rast oder Schwindel auftritt) und
Depressiven („Ich kann nichts.“ „Ich bin nichts wert.“ „Das wird auch
nicht klappen.“). Kognitive Therapie nutzt die Möglichkeiten des
Verstandes, Emotionen zu steuern, indem sie das Denken entsprechend
schult und trainiert. Schneller und zuverlässiger wirken bei emotionalen
Störungen vermutlich verhaltenstherapeutische Ansätze. Bei diesen setzen
sich die Betroffenen den gefürchteten oder gemiedenen Situationen aus,
wodurch sie korrigierende Erfahrungen machen können. Letztere sind
offenbar besonders gut geeignet, die im Emotionshirn gespeicherten
Informationen zumindest teilweise zu überschreiben bzw. zu modifizieren.
Bei weiteren ähnlichen Reizen reagiert das Emotionsgehirn dann
möglicherweise schon deutlich schwächer. Dagegen nimmt die kognitive
Therapie in Kauf, dass der Organismus durch das Emotionsgehirn in
Alarmbereitschaft versetzt wird, wobei anschließend eintreffende
„Kommandos der Verstandeszentrale“ die vorprogrammierten Aktionen noch
unterbinden können. Dass die „Alarmbereitschaft“ entsprechend
veranlagter Menschen komplett beseitigt werden kann, ist
unwahrscheinlich und von der Natur wohl auch nicht gewollt. Denn die
Fähigkeit zur Alarmbereitschaft fördert ja unserer Überleben. Wer etwa
zu Panikattacken neigt, kann daher auch nach 20 Jahren „Pause“ noch von
einer Panikattacke überrascht werden. Für „emotionskompetent“ gewordene
Menschen dürfte dies jedoch kein Problem mehr sein, da sie ja
mittlerweile wissen, wie sie mit solchen Situationen umgehen können.
Literatur:
- Wassermann, Claudia:
Die Macht der Emotionen. Wie Gefühle unser Denken und Handeln
beeinflussen. Primus Verlag 2002. ISBN 3-89678-430-7
- Ledoux, Joseph: Das
Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. Hanser Verlag 1998. ISBN
3-446-19308-1
- Damasio, Antonio R.:
Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. List,
2. Auflage 2000. ISBN 3-471-77349-5
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