Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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„Spiegelnervenzellen“:

Wie wir funktionieren und andere „verstehen“


Wer kennt nicht das Phänomen, dass der Anblick eines gähnenden Menschen auch bei uns selbst sofort spontanes Gähnen auslöst? Wer hat sich beim Füttern eines Babys noch nicht dabei ertappt, den eigenen Mund einladend weit zu öffnen, um dem kleinen Erdenbürger zur Nachahmung zu bewegen, damit er den Weg für den mit Speise beladenen Löffel oder die Trinkflasche frei macht? Solche und ähnliche Phänomene sind heute biologisch erklärbar. Ihre körperliche Grundlage sind so genannte Spiegelneurone bzw. Spiegelnervenzellen. Sie befinden sich in unserem Gehirn und zeichnen sich dadurch aus, dass sie unter sehr unterschiedlichen Umständen aktiv werden: 1. Wenn ein Mensch selbst in einer bestimmten Weise handelt, 2. wenn der Betreffende beobachtet, wie ein anderer die gleiche Handlung vornimmt und 3. wenn sich der Betreffende die Ausführung dieser Handlung nur vorstellt. Diesen vielfältigen Fähigkeiten verdanken wir es, dass wir uns in andere „intuitiv einfühlen“ können: Wie ihr Name verrät, „spiegeln“ Nervenzellen die beobachtete Handlung in einer Weise, die das Gesehene in unserem Nervensystem gleichsam „nachspielt“ (bzw. „simuliert“), so als führten wir die Handlung selbst aus. Das erklärt beispielsweise, warum wir zusammenzucken, wenn wir sehen, dass einem anderen etwas auf den Kopf fällt (Wir verhalten uns, als seien wir selbst betroffen).

Spiegelnervenzellen helfen uns also, andere Menschen zu verstehen und ihr Verhalten und Fühlen vorauszusagen. Allerdings liegt hier zugleich auch der größte Fallstrick. Denn was wir mit Hilfe unseres Nervensystems „nachspielen“, beruht ausschließlich auf unseren ganz persönlichen Erfahrungen. Denn je nach der eigenen Prägung, muss das im Gehirn simulierte Geschehen nicht zwingend etwas mit dem Beobachteten zu tun haben. Die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen werden mitunter völlig daneben liegen. Um diesem Problem zu begegnen, hat uns die Natur mit Verstand ausgestattet, der die von den Spiegelnervenzellen entwickelten Verhaltensvorschläge kritisch hinterfragen kann. Diese und die nachfolgenden Gedanken stützen sich auf das lesenswerte und sehr anschaulich geschriebene Buch von Joachim Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone (Hoffmann und Campe 2005. ISBN 3-455-09511-9). Der folgende Text gibt wesentliche Aussagen wieder und verbindet sie mit meinen eigenen Überlegungen (Dr. Dr. Herbert Mück).


Übertragung und Projektion als Folge "eingespiegelter" Handlungsfolgen

Spiegelnervenzellen lernen durch Erfahrung (insbesondere durch Nachahmung). Sie merken sich ganze Handlungsfolgen. Oft genügt es, nur einen Teil einer Handlungsfolge oder einen damit verbundenen Reiz wahrzunehmen (z. B. ein Geräusch oder ein dazu passendes Wort), um das wie in einem Dokumentarfilm gespeicherte Programm real oder in der inneren Simulation erneut ablaufen zu lassen. Wer sieht, wie ein anderer zum Himmel blickt, kann nur mit Mühe dem Impuls widerstehen, dort ebenfalls hinzusehen. Wer erlebt hat, dass er von Lehrern oft gedemütigt wurde, wird beim Anblick eines jeden neuen Lehrers „nichts Gutes ahnen“ und sich in seinem Verhalten schon einmal darauf einrichten. Wer von einer leckeren Mahlzeit hört, dem läuft vielleicht direkt die Spucke im Mund zusammen. Spiegelnervenzellen bilden in uns relativ dauerhaft die Außenwelt ab, insbesondere unsere wichtigsten Bezugspersonen (und dabei nicht nur deren Verhalten, sondern auch unsere Interaktion mit diesen Personen). Vermutlich bewirken Spiegelneurone auf körperlicher Ebene das, was man in der Psychotherapie „Übertragung“ oder „Projektion“ nennt. Da Reize oder Begriffe nie mit einem spezifischen Verhalten verbunden sind, sondern von Mensch zu Mensch andere Reaktionen auslösen können, wird verständlich, warum unsere Spiegelnervenzellen nie sichere „Voraussagen“ (bzw. Projektionen und Übertragungen) ermöglichen, sondern in ihren „Berechnungen“ oft daneben lieben. Spiegelnervenzellen treten immer schnell in Aktion, wenn ihnen etwas bekannt erscheint. Vor überstürzten Verallgemeinerungen dieses „Nervencomputers“ schützt das Bemühen, dessen „Hochrechnungen“ möglichst viele und unterschiedliche Aspekte des Beobachteten zugrunde zu legen und das Ergebnis mit den Mitteln unseres Verstandes kritisch zu analysieren. Während Spiegelnervenzellen rasch arbeiten, braucht der Verstand allerdings weitaus mehr Zeit.



Nichtbeachtung macht behindert

Um lernen bzw. Erfahrungen speichern zu können, sind Spiegelnervenzellen auf „Spiegelung“ durch andere Menschen angewiesen. So zeigen Eltern ihrem kleinen Kind, wie sein eigenes Verhalten auf sie wirkt (etwa indem sie sein Lächeln mit einem eigenen Lächeln beantworten). So lernt das Kind, Emotionen wahrzunehmen, zu benennen, zu unterscheiden und zu regulieren. Vorenthalten oder Entzug von Spiegelung wird von uns Menschen als grausam erlebt (etwa wenn jemand bewusst nicht beachtet wird, was z. B. beim „Mobbing“ häufig vorkommt). Für unsere Entwicklung spielt es also eine große Rolle, welche Art von „Nervenfutter“ wir vor allem zu Beginn unseres Lebens erhalten haben. Wer als Kind wenig gespiegelt wurde, verankert in seinen Spiegelnervenzellen nur wenige oder sehr einseitige Erfahrungen. Im späteren Leben werden diese Spiegelnervenzellen nur selten oder unter einseitigen Bedingungen „anspringen“ bzw. kaum in „Resonanz“ (= Wechselwirkung) zu den beobachteten Phänomenen oder Personen treten. Solchen Menschen fällt es schwer, sich in andere einzufühlen, weil ihre Spiegelnervenzellen auf keine entsprechenden „kodierten Erfahrungen“ zurückgreifen können. Sie wirken dann unberührt, kalt oder hilflos. Eine wichtige Aufgabe von Psychotherapie ist es daher, dem Patienten durch einfühlsame Spiegelung noch fehlende grundlegende zwischenmenschliche Erfahrungen zu vermitteln und so die Reaktionsmöglichkeiten seiner Spiegelnervenzellen zu vergrößern. Dabei ist es wichtig, dass sich der Therapeut spontan, wertschätzend und authentisch verhält (Prinzipien der Gesprächstherapie nach Rogers).

Im Spiegel elterlichen Verhaltens eigenes Befinden einschätzen lernen

Damit sich Handlungsabläufe bei Kindern mit Hilfe der Spiegelneurone im Gehirn einprägen können, müssen sie von lebenden Vorbildern kommen (Fernsehen funktioniert nicht, da es keine individuellen Interaktionen ermöglicht!). Nur wenn Betreuer persönlich anwesend sind und das Spielen immer wieder in Gang bringen, werden Kleinkinder zeitweise dazu übergehen, das Spiel selbst zu organisieren. Ohne entsprechende Anleitung wirken Kinder in ihrem Verhalten und ihrer Körpersprache oft unentwickelt, meistens grob, ungeschickt oder gehemmt. Ein Kleinkind orientiert sich bei der Einschätzung aktueller Situationen daran, wie sie von der Bezugsperson beurteilt wird. Es übernimmt die Bewertungen der Eltern sogar dort, wo es um die eigene Befindlichkeit geht. Bei einem Sturz erkundigt es sich beispielsweise durch einen Blick zur Mutter danach, ob ihm dieser Sturz sehr oder nur wenig weh getan hat. Deren Antwort („Das tut doch nicht weh.“) liefert den Spiegelnervenzellen die Regieanweisung dafür, wie sie künftig auf ähnliche Ereignisse zu reagieren haben Für den permanenten Abgleich seiner eigenen Erfahrungen mit denen anderer braucht das Kind präsente Eltern. Spielerisch übt es laufend zwischenmenschliche Handlungsstile ein.

Vorbeugende Befindensprüfung

Es gibt nicht nur Spiegelnervenzellen, die beim Handeln oder beim Beobachten von Handlungen aktiv werden bzw. in Resonanz treten. Eine weitere Gruppe ist vor allem mit der Handlungsplanung befasst. Eine dritte Gruppe wird aktiv, wenn es darum geht herauszufinden, wie sich eine Handlung „anfühlt“. Dank dieses Dreierverbandes ist unser Gehirn in der Lage, Handlungen nicht nur zu planen, sondern auch vorab zu prüfen, wie sich der Handlungsablauf im Falle seiner Umsetzung anfühlen würde. Ein ungünstiges Ergebnis („Handlung führt zu einem schlechten Befinden“) kann zu einem Verzicht auf die geplante Handlung führen. Die Möglichkeit „hochzurechnen“, wie sich geplante Handlungen auf das Befinden auswirken werden, fördert zugleich unsere Einfühlung in andere. Denn das „emotionale Hochrechnungssystem“ wird nicht nur bei eigenen Handlungen aktiv, sondern auch bei beobachteten Handlungen anderer („emotionale Resonanz“). Die Fähigkeit, sich eine Vorstellung vom Innenleben eines anderen Menschen zu machen, nennt man auch „Theory of Mind (TOM)“. Offenbar sind Spiegelnervenzellen deren biologische Grundlage.

Angst und Stress trüben den Spiegel

Bei Angststörungen scheint das Hochrechnungssystem durchweg ungünstige Ergebnisse zu errechnen. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass die Signalrate von Spiegelnervenzellen unter Angst, Anspannung und Stress stark abnimmt. Indem Verhaltenstherapie die Spiegelnervenzellen zu neuen Erfahrungen regelrecht zwingt, verändert sich nicht nur deren Reaktionsvielfalt, auch wächst die Datenlage für weitere Hochrechnungen bzw. erweitert sich die Vielfalt alternativ verfügbarer Verhaltensprogramme. „Entspannungsmethoden“ bereiten den Spiegelneuronen optimalere „Arbeitsbedingungen“.

Spiegeln vermittelt traditionelles Wissen

Spiegelnervenzellen werden aktiv, ohne dass wir es merken. Auch Reize unterhalb der Bewusstseinschwelle (dargeboten in Bruchteilen von Sekunden) lassen Spiegelzellen „anspringen“ (in Resonanz treten). Da ein Großteil menschlichen Wissens durch Spiegelung weitergegeben wird (Verhaltensregeln und damit verbundene emotionale Sanktionen, etwa in Form von Gewissensbissen und Scham), dürften Spiegelnervenzellen an der Gestaltung unseres Zusammenlebens wesentlich beteiligt sein. Was einmal durch Beobachtung in unser Vorstellungsrepertoire Eingang gefunden hat, ist künftig prinzipiell vorstellbar und aufgrund der damit gebahnten Handlungsbereitschaft auch potenziell realisierbar. Angesichts des heutigen medialen Überangebots (insbesondere in Form von Bildern, die Gewaltakte zeigen) erscheint Psychohygiene (Enthaltsamkeit) dringend geboten.


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Hemmung befreit

Während Spiegelsysteme bei Kleinkindern die starke Tendenz haben, Beobachtetes sogleich nachzumachen, verfügt der Erwachsenen über hemmende neurobiologische Systeme, die ihm Verhaltensalternativen eröffnen. Mit ihrer Hilfe kann der Erwachsene Verhaltenstendenzen zunächst in Schwebe halten und dabei Alternativen prüfen (insbesondere im Hinblick auf das damit jeweils verbundene eigene Befinden). Nach ausreichender Klärung kann er dann einer bestimmten Verhaltensvariante den Vorzug geben bzw. auf Handeln komplett verzichten. Menschen mit „Impulskontrollstörungen“ sind dazu nicht in der Lage. Ihre Spiegelnervenzellen lösen unweigerlich entsprechende Reaktionen aus.

Resonanz und geteilte Aufmerksamkeit machen glücklich und „binden“

Spiegelzellen zeigen besonders starke Aktivität, wenn sich eigene und beobachtete (= gespiegelte) Handlung entsprechen. Hier entsteht eine besonders starke „Resonanz“ (Widerhall, Anklang), die im Fall positiver Spiegelungen (gelungener „Zuwendung“) sogar „Glücksgefühle“ auslösen können (was auf einer vermehrten Freisetzung körpereigener Botenstoffe, hier der „Opiode“, zu beruhen scheint). Eigenes Erleben und von der Umwelt gespiegeltes Verhalten scheinen dann identisch zu sein. Zugleich sind eigene und fremde Aufmerksamkeit auf den gleichen Inhalt gerichtet („joint attention“), so dass man sich mit dem anderen verbunden fühlt,  letztendlich also „Bindung“ entsteht. Vermutlich erlebt man sich in einer solchen Situation auch als besonders „wirksam“. Spiegelzellen sind somit auch wichtige „Kontaktorgane“, die abtasten und zu erfühlen versuchen, was den anderen gerade bewegt. So lassen sie soziale Verbundenheit erleben. Nicht zuletzt wird verständlich, warum Zuwendung Schmerzen besser ertragen lässt.

Wie Mit-Leid entsteht und vergeht

Da immer die gleichen Spiegelnervenzellen anspringen, egal ob man selbst handelt oder das Handeln eines anderen beobachtet, fragt sich, wie der Organismus überhaupt erkennen kann, wer denn nun der eigentlich Handelnde ist. Zugleich wird verständlich, wie „Mit-Leid“ im wahrsten Sinne des Wortes entsteht. Wer sich in der Gegenwart eines nahe stehenden leidenden Menschen schlecht fühlt, hat mit Hilfe von Spiegelnervenzellen offenbar einen vergleichbaren Zustand in sich selbst erzeugt. Interessanterweise zeichnen sich „Sympathische Menschen“ („Sym-pathie“  = Mitleid) nicht zuletzt durch ihre Fähigkeit des „Nachempfinden-Könnens“ aus. Manche („Helfertypen“) laufen allerdings Gefahr, sich im Einsatz für andere „selbst zu verlieren“. Sie können offenbar nicht mehr zwischen eigenem und fremdem Erleben unterscheiden. Sie erleben das Leid der anderen genau wie eigenes, umgekehrt unterstellen sie anderen (meist unbewusst) Gedanken und Gefühle, die vor allem sie selbst beherrschen.

Menschen können nur dann empathisch sein, wenn die dazu erforderlichen Grundlagen durch entsprechende zwischenmenschliche Erfahrungen ausreichend „eingespielt“, also „gebahnt“ und damit  funktionsfähig gemacht wurden.  Wo eine emotionale Resonanz fehlt, kann eine „Alexithymie“ oder ein „Autismus“ vorliegen. Eine vorhandene Empathiefähigkeit kann durch Extremerfahrungen von Gefühllosigkeit und Brutalität nachträglich Schaden erleiden.


Joachim Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Hoffmann und Campe 2005. ISBN 3-455-09511-9. 192 Seiten. 19,95 Euro


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