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Aus unserer Umgebung strömt sekündlich eine Vielzahl von Reizen und
Informationen auf uns ein – sowohl optische als auch akustische und
taktile, um nur ein paar Reizqualitäten zu nennen, und natürlich auch
sensorische Reize aus unserem Körper –, von denen unser Gehirn nur ein
Bruchteil gleichzeitig verarbeiten kann. Das Gehirn muss also
selektieren, welche Vorgänge so wichtig sind, dass wir uns damit
befassen sollten. Diese Auswahl für unsere Bewusstseinsinhalte obliegt
unserer Aufmerksamkeit. Bis heute weiß man jedoch erst in Ansätzen,
welche neuronalen Strukturen unter welchen Bedingungen welche Inhalte
wie bewusstseinsfähig machen. Ein Aufsatz in der Zeitschrift "Aktuelle
Neurologie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2008) fasst die jüngsten
Ergebnisse der facettenreichen Forschung zum Thema Aufmerksamkeit
zusammen. Insgesamt ergibt sich, dass Aufmerksamkeit die Verarbeitung
sensorischer Informationen beeinflusst und die Aktivität sensorischer
Neurone in der Großhirnrinde moduliert.
Man nimmt an, dass
es eine Art von Prozessor für höhere kognitive Leistungen gibt, etwa
die semantische Analyse von Eingangsreizen, dessen Kapazität limitiert
ist und der vor Überlastung geschützt werden muss, der aber auch
geteilte Aufmerksamkeit auf mehreren Informationskanälen organisiert.
Dabei findet die Verarbeitung verschiedener Informationsqualitäten
(beispielsweise Farbe, Form, Bewegung) in unterschiedlichen Arealen
der Hirnrinde statt. Noch nicht entschieden ist die auch philosophisch
bedeutsame Frage, ob die Selektion eingehender Informationen für
motorische Kontrolle oder Verarbeitung im Gedächtnis schon früh
erfolgt, und zwar auf Grund ihrer physikalischen Merkmale, oder erst
zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem die Eingangsreize vollständig,
auch semantisch, analysiert wurden.
Bei manchen
klinisch nachweisbaren Störungen der Aufmerksamkeit sind sich die
Patienten einiger Objekte nicht bewusst, während sie andere Objekte
vollkommen klar wahrnehmen können. Solche Störungen können nach
Schädigungen in einer Hirnhälfte auftreten, wobei beispielsweise bei
Störungen in der rechten Hirnhälfte Eingangsinformationen aus dem
linken Raum und der linken Körperhälfte vernachlässigt oder nicht
wahrgenommen werden. Man nennt dieses Defizit "Neglect". Noch
faszinierender ist das als Extinktion bezeichnete Phänomen, wobei die
Patienten zwar zwei unterschiedliche Objekte in den beiden Raumhälften
erkennen können. Aber erst als in beiden Raumhälften jeweils dasselbe
Objekt gezeigt wurde, kam es zur Löschung des Objektes, das in der der
Hirnschädigung gegenüberliegenden Raumhälfte dargeboten wurde. Hier
wetteifern offensichtlich beide Hirnhälften um Aufmerksamkeit, wobei
der Reiz dominiert, der in der intakten Hirnhälfte verarbeitet wird,
während der Reiz auf der gegenüberliegenden Seite bei simultaner
Stimulation aus dem Bewusstsein gelöscht zu werden scheint.
B Kopp:
Neuropsychologie der Aufmerksamkeit.
Aktuelle Neurologie 2008, 35 (1); S. 16-27