fzm - Darauf, ob Schmerzen chronisch werden
oder nicht, haben psychologische Faktoren einen entscheidenden Einfluss.
Das ist eine der Kernaussagen des so genannten "fear-avoidance" (Angst-Vermeidungs)-Konzepts,
das die amerikanische Medizinerin Clare Philips bereits in den 80er
Jahren entwickelte. In der "Zeitschrift für Orthopädie" (Georg Thieme
Verlag, Stuttgart. 2004) gibt Michael Pfingsten vom Zentrum
Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin der Universität Göttingen
nun einen Überblick darüber, wie das Konzept in den letzten Jahren
bestätigt und ausgeweitet wurde. "Viele prospektive Studien belegen
eindrucksvoll, dass psychosoziale Mechanismen deutlich besser als
körperliche Faktoren vorhersagen können, ob Rückenschmerzen chronisch
werden", schreibt Pfingsten.
Das Angst-Vermeidungs-Konzept besagt,
dass die Schmerzen zunächst durchaus eine körperliche Ursache haben.
Nach der akuten Schmerzerfahrung beginnt jedoch ein Teufelskreis, in
dessen Verlauf die Patienten zunächst eine Angst vor Bewegung entwickeln
- denn Bewegung, das haben sie in der Akutphase gelernt, verursacht
Schmerzen. Da Bewegungen vermieden werden, schwächt sich die Muskulatur
ab, Fehlstellungen entwickeln sich und die Funktion des
Bewegungsapparats nimmt ab. Weitere Schmerzen sind die Folge.
"Würde der Betroffene sich weiter bewegen
und erfahren, dass dies nicht notwendigerweise mit einer Zunahme der
Schmerzen verbunden ist, so würde er seine gelernte Angst wieder
verlieren", so Pfingsten. Aufgrund der negativen Erwartung setzen sich
viele Patienten dieser Erfahrung jedoch nicht aus - die Vermeidung hält
an.
In einer eigenen Studie konnte Michael
Pfingsten nachweisen, dass bereits die Erwartung einer schmerzhaften
Bewegung die Schmerzen von Rückenpatienten verstärkt. Wird den Patienten
jedoch mitgeteilt, dass die auszuführende Bewegung harmlos ist,
verringert sich die Schmerzempfindung deutlich.
Ärzte, die Patienten mit Rückenschmerzen
behandeln, sollten daher nach Ansicht des Göttinger Mediziners darauf
achten, keine negativen Erwartungen zu schüren. Es sei wichtig, die
Patienten zu motivieren und zu aktivieren, sagt Pfingsten. Dagegen
sollte es der Arzt unbedingt vermeiden, den Beschwerden eine bedrohliche
Bedeutung zu geben.
Chronische Rückenschmerzen: Vom Symptom
zur Krankheit
PD Dr. Michael Pfingsten
Zeitschrift für Orthopädie 2004; 142: 146-152
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