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Drängende Probleme erfordern drastische Lösungen. Nach diesem Motto
werden derzeit von Politikern höhere Kassenbeiträge für Übergewichtige
oder Sondersteuern auf ungesunde Nahrungsmittel gefordert. Beides
stößt bei Medizinethikern auf Bedenken. Statt die Freiheit einzelner
Menschen einzuschränken, sollte die Eigenverantwortung gefördert
werden, argumentiert ein Theologe in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche
Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2008)
Als Mitglied einer
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten
Nachwuchsforschergruppe beschäftigt sich der Diplom-Theologe Jens Ried
von der Universität Marburg mit den ethischen Fragen der
Adipositas-Prävention: Was lässt sich moralisch rechtfertigen, um das
Übergewicht beim Einzelnen zu verhindern und die Gesamtzahl der
Adipösen zu senken? Eine einfache "Patentlösung" kann es für Ried
nicht geben. Übergewicht sei eine komplexe Störung, bei der neben
Ernährungsfehlern auch Gene eine wichtige Rolle spielen. Etwa 50
Prozent der Unterschiede im Körpergewicht zwischen einzelnen Menschen
sind erblich bedingt, sagt Ried. Eine Trennung zwischen Verantwortung
und Veranlagung sei beim einzelnen Menschen nicht möglich.
Dennoch sieht der
Medizinethiker Gestaltungsmöglichkeiten für eine moralisch vertretbare
und vielleicht auch wirksame Prävention. Das Leitprinzip muss für Ried
dabei die Befähigung zu einer eigenverantwortlichen Lebensweise sein
("Capability Approach"). Da heute vor allem Menschen mit niedrigem
Einkommen und geringer Bildung zum Übergewicht neigen, bieten sich für
Ried vermehrte Anstrengungen im Bildungsbereich an. Auch eine
deutliche Kennzeichnung von Nahrungsmitteln hält er für sinnvoll.
Eingriffe in die Freiheitsräume der Menschen oder Sondersteuern für
fette und zuckerhaltige Nahrungsmittel seien dagegen ethisch und
juristisch nur schwer zu rechtfertigen, findet Ried. Besser sei es,
den Menschen Gelegenheiten zur Änderung des Ernährungsverhaltens zu
geben, etwa durch zusätzliche gesündere Mahlzeiten in Kantine oder
Mensa. Eine Ausnahme würde Ried bei Kindern und Jugendlichen machen.
Hier seien restriktivere Schritte ethisch vertretbar. Ried spricht
sich etwa für die Beschränkung bei der Werbung aus wie es sie bei
Tabakwaren und Alkohol bereits gibt. Wirksam könnten auch bessere
Ernährungs- und Bewegungsangeboten in den Kindertagesstätten und
Schulen sein.
J. Ried:
Adipositasprävention zwischen Veranlagung und Verantwortung - eine
sozialethische Problemskizze.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2008; 133 (3): S. 92-95