Alle Ängste stark
zurückgegangen – Psychologen sehen Gewöhnungs- und Verdrängungseffekt
durch zu viele bedrohliche Nachrichten – Information und Bildung
schützen vor Angst
Hamburg, 7. Juni 2006. Die
Ängste der Kinder in Deutschland sind 2006 auf einem Rekordtief
angelangt. Nur noch 40 Prozent der 6- bis 14-Jährigen haben große Angst
vor der Zukunft. Vor rund zehn Jahren waren es noch 56 Prozent. Dies
zeigt eine repräsentative Langzeitstudie, die das Infocenter der R+V
Versicherung heute in Hamburg vorgestellt hat. „Kinder sind ständig
einer Reizüberflutung ausgesetzt – durch bedrohliche Nachrichten in
Fernsehen und Internet, durch Gewaltszenen in Computerspielen. Das
Ergebnis der Studie zeigt: Kinder verdrängen ihre Ängste oder gewöhnen
sich an beunruhigende Botschaften“, erklärt Karin Clemens, Psychologin
des R+VInfocenters. Mit Abstand am größten ist die Befürchtung der
Kinder, dass Eltern und Geschwistern etwas Schlimmes passiert. Gleich
danach folgt die Sorge um die eigene Person: Jedes zweite Kind hat große
Angst vor sexuellem Missbrauch oder schwerer Krankheit. Wirtschaftliche
und politische Themen hingegen haben kontinuierlich an Bedeutung
verloren.
Bereits zum siebten Mal seit 1994 hat das R+V-Infocenter
mehr als 900 Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren nach ihren Ängsten
befragt. Das Ergebnis: 59 Prozent der Kinder fürchten sich vor einem
Schicksalsschlag in der Familie, 52 Prozent haben Angst vor
Sittlichkeitsverbrechen, 48 Prozent vor schwerer Erkrankung oder Tod. Am
wenigsten Angst haben Kinder davor, dass es Probleme durch Ausländer
gibt (22 Prozent). Überhaupt sind politische und wirtschaftliche Themen
von Arbeitslosigkeit bis Umweltverschmutzung für die Kinder in den
Hintergrund getreten. Die Angst davor, dass Deutschland in einen Krieg
verwickelt wird, ist seit der letzten Befragung 2003 sogar am stärksten
zurückgegangen (- 23 Prozent).
Information und Bildung schützen vor Angst
„Die Studie belegt, dass sich Gymnasiasten weniger
fürchten als Gleichaltrige an Haupt- oder Realschulen. Information und
Bildung schützen offenbar vor Angst“, sagt Rita Jakli, Leiterin des
R+V-Infocenters. Während an Gymnasien durchschnittlich 35 Prozent der
Schüler große Angst haben, sind es an Hauptschulen 45 Prozent. Und:
Gymnasiasten machen sich viel weniger Gedanken um Themen, bei denen
Aufklärung und konkrete Strategien helfen wie beispielsweise Unfälle im
Straßenverkehr, Feuer und Fahrraddiebstahl. Auch mögliche
Arbeitslosigkeit und Geldnot in der Familie beschäftigt Schüler an
Hauptschulen mehr als Gleichaltrige an Gymnasien (53 vs. 41 Prozent).
Ein Hintergrund ist, dass Kinder aus einkommensstarken
Akademikerhaushalten den Sprung aufs Gymnasium viel häufiger schaffen
als andere Kinder. Hauptschüler haben dagegen überdurchschnittlich oft
Eltern, die weniger verdienen, und erleben daher wirtschaftliche Nöte
eher als Teil ihres Alltags.
Die Studie zeigt auch: Je älter die Kinder werden und je
besser sie sich informieren können, desto weniger ängstlich sind sie –
die Heranwachsenden lernen, Gefahren besser einzuschätzen. Für Rita
Jakli bestätigt dieses Ergebnis die Arbeit des R+V-Infocenters: „Mit
unseren regelmäßigen Informationen und Tipps helfen wir, Risiken im
Alltag zu verringern.“
Mütter unterschätzen Sorgen ihrer Kinder
Kinder zeigen heute weniger Angst als früher – aber
immer noch mehr, als die Erwachsenen glauben. Eine zusätzliche Befragung
des R+V-Infocenters zeigt: Die Mütter der befragten Kinder unterschätzen
deren Angst bei Themen wie Sittlichkeitsverbrechen (49 vs. 52 Prozent),
Arbeitslosigkeit (36 vs. 41 Prozent) sowie Umweltverschmutzung (31 vs.
41 Prozent). Doch es gibt auch Gegenbeispiele: So überschätzen die
Mütter beispielsweise die Furcht der Kinder, dass sie von ihrer Gruppe
ausgeschlossen werden (40 vs. 35 Prozent).
Was aber können die Eltern tun, um ihren Kindern Ängste
zu nehmen? „In erster Linie sollten sie ihren Kindern soviel
Geborgenheit wie möglich geben und ihnen eine zuversichtliche
Lebenseinstellung vermitteln – natürlich ohne konkrete Gefahren, etwa im
Straßenverkehr, zu verharmlosen“, rät Karin Clemens.
Im Osten Deutschlands sind die Ängste größer
Auch mehr als 15 Jahre nach der Wiedervereinigung
unterscheiden sich die Ängste der Kinder in West und Ost. Die Kinder aus
den neuen Bundesländern machen sich in fast allen Bereichen mehr Sorgen
als ihre Altersgenossen im Westen. Dies gilt besonders für das Thema
Arbeitslosigkeit und Geldnot in der Familie. Im Westen haben davor 40
Prozent große Angst, im Osten sind es 49 Prozent. Einzige Ausnahme:
Umweltverschmutzung beschäftigt westdeutsche Kinder mehr (41 vs. 40
Prozent).
Kinder in Kleinstädten fürchten sich am meisten
Die „heile Welt“ der Kleinstadt gibt es der Studie
zufolge nicht. Wer dort aufwächst, hat mehr Angst als Kinder in Dörfern
oder Großstädten: So haben in Kleinstädten mit 5.000 bis 20.000
Einwohnern durchschnittlich 48 Prozent der Kinder große Angst, in
Dörfern unter 5.000 Einwohnern sind es nur 34 Prozent – und auch in der
Großstadt fühlen sich nur 39 Prozent unsicher. Ein Beispiel: Bedrohung
durch andere Kinder in Schule und Freizeit beschäftigt 45 Prozent der
Jungen und Mädchen in Städten mit 5.000 bis 20.000 Einwohnern – im
Gegensatz zu 25 Prozent in Dörfern und 39 Prozent in Städten ab 100.000
Einwohnern.
Mädchen fürchten sich mehr als Jungen
Das „starke Geschlecht“ ist der Befragung zufolge
tatsächlich weniger ängstlich. Besonders Sittlichkeitsverbrechen
fürchten Mädchen mehr als Jungen (57 vs. 48 Prozent). Die Tapferkeit
endet allerdings beim eigenen Fahrrad: 39 Prozent der Jungen haben große
Angst, dass ihr Zweirad gestohlen werden könnte – bei den Mädchen sind
es nur 31 Prozent. Auch Arbeitslosigkeit in der Familie und die Furcht
vor Problemen durch Ausländer schrecken Jungen mehr.
Quelle: Presseinformation der R+V Versicherung
(www.infocenter.ruv.de)
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