Niederlande. Immer mehr Befunde weisen darauf hin, dass sich Migräne nicht
nur in Form sporadischer Attacken manifestiert. Offenbar ist sie eine
chronische Erkrankung, die den gesamten Alltag der Betroffenen prägt.
Dafür sprechen beispielsweise radiologische Untersuchungen, die bei
Migräne-Kranken vermehrt Hirninfarkte nachgewiesen haben (siehe
Neuroscience Spektrum 1/2004). Wie eine Studie von D. L. Stronks und
Kollegen belegt, äußert sich das Leiden darüber hinaus auch in dauerhaft
verändertem Verhalten und größerer Erschöpfung. So sind Migräne-Patienten
sogar im anfallsfreien Intervall im Vergleich zu Kontrollpersonen
körperlich deutlich inaktiver, was sie als reduzierte Belastbarkeit selbst
spüren. Sie fühlen sich zudem müder und weniger vital. Wenn die Patienten
körperlich aktiv sind, ist ihre Beweglichkeit vergleichsweise geringer.
Alle erwähnten Folgen des Leidens beeinträchtigen nicht nur die
Betroffenen, sie belasten auch die Gesellschaft. Denn Migräne-Kranken
scheint es auch außerhalb von Migräne-Attacken schwer zu fallen, sich im
Arbeitsleben, in der Schule oder im Privatleben normal zu engagieren. Vor
diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass die indirekten gesellschaftlichen
Kosten der Erkrankung bislang eher unterschätzt wurden.
Die niederländische
Studie rekrutierte 24 Migräne-Patienten (Alter: 21 bis 57 Jahre) und 24 zu
ihnen passende Kontrollpersonen. Alle Studienteilnehmer trugen 48 Stunden
lang einen Bewegungsmesser am Handgelenk (die Patienten im migränefreien
Intervall). Während dieser Zeit wurde das EKG abgeleitet und führten die
Teilnehmer ein Tagebuch, in dem sie Aktivitäten vermerkten und gezielte
Fragen beantworteten (zu Schlafqualität, Schläfrigkeit,
Funktionstüchtigkeit im Alltag und Gefühlen). Die Auswertung ergab, dass
Migräne-Patienten im Vergleich zu den Kontrollpersonen nachmittags und
abends weniger lang dynamisch aktiv waren. Am Nachmittag verbrachten sie
mehr Zeit im Liegen und in den Abendstunden waren sie in allen
Körperpositionen (Stehen, Sitzen, Liegen) weniger beweglich. Morgens und
abends fühlten sich die Migräne-Kranken zudem schläfriger. Außerdem
beurteilten sie morgens und nachmittags ihre Leistungsfähigkeit schlechter
als die Kontrollen. Im Vergleich zu diesen fühlten sie sich während des
ganzen Tages weniger vital.
Nach Ansicht der
Autoren beruhen die erwähnten Veränderungen nicht nur auf besonderen
Funktionsweisen des Gehirns Migräne-Kranker. Möglicherweise dient das
„vorsichtigere“ Verhalten der Patienten der Prophylaxe. Es könnte einen
Versuch darstellen, vor allem solchen Migräne-Attacken vorzubeugen, die
Folge körperlicher Anstrengung sind. Stronks und Kollegen betrachten ihre
Ergebnisse unter mehreren Gesichtspunkten als bedeutsam: Sie dokumentieren
anhand objektiver Parameter, dass Migräne-Patienten nicht nur subjektiv
unter ihrer Erkrankung leiden, sondern sich auch objektiv anders
verhalten. Außerdem belegen sie, dass Migräne typische Merkmale einer
chronischen Erkrankung aufweist.
D. L.
Stronks u. a.: Interictal daily functioning in migraine. Cephalagia 2004
(24) 271-279 |