Gesundheitliche Störungen durch missbräuchlichen Alkoholgenuss stellen
ein wesentliches Problem unserer Gesellschaft dar. In Deutschland leiden
etwa 1,6 Millionen Menschen unter Alkoholabhängigkeit (drei Prozent der
erwachsenen Bevölkerung), weitere 2,7 Millionen betreiben schädlichen
Alkoholgebrauch und fünf Millionen Menschen einen riskanten
Alkoholkonsum. Die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten durch
alkoholbezogene Störungen beziffert ein Aufsatz in der Zeitschrift
"Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie" (Georg Thieme Verlag,
Stuttgart) auf jährlich etwa 20 Milliarden Euro. Im Rahmen eines
Projektes des Suchtforschungsverbundes Baden-Württemberg wurde erstmalig
die Versorgungssituation dieser Patienten im Bereich der Psychiater und
Psychotherapeuten untersucht. Ziel ist die Entwicklung effektiver
Strategien für das Qualitätsmanagement. Es ist bemerkenswert, dass ein
großer Anteil der Alkohol-Patienten den Therapeuten ohne Überweisung zur
Abklärung anderer Beschwerden, wie etwa Depressionen, Angst- oder
Persönlichkeitsstörungen konsultierte. Dies legt die Vermutung nahe,
dass diese Symptome einen subjektiv höheren Leidensdruck verursachen als
die Alkoholproblematik selbst oder dass diese von Seiten der Patienten
gar nicht wahrgenommen wird. Auch über die Hälfte der Hausärzte überwies
die Patienten zur Abklärung anderer Erkrankungen und sah demnach deren
Alkoholproblematik nicht.
Viele Hausärzte gaben an, dass eine beträchtliche Anzahl von Patienten
die Diagnose "Alkohol" nicht akzeptieren wollte. Dies erschwert die
Behandlung ebenso wie der Umstand, dass viele Patienten die
Mitbehandlung durch einen Facharzt oder eine Suchtberatung verweigert
haben. Daher sollte die Kooperation zwischen Hausärzten und
Fachberatungsstellen intensiviert werden. Auf der Hausarztseite sind oft
Wissensdefizite vorhanden, die ausgeräumt werden können. Beispielsweise
könnte eine regelmäßige zweiwöchentliche Präsenz eines Suchtberaters in
größeren Gemeinschaftspraxen auf einfache Weise Kontakt zwischen
Klienten und Suchtberatungsstellen herstellen und zu einer optimalen
Vernetzung der Versorgungsangebote führen. In Suchtberatungsstellen
werden nicht nur insgesamt zu wenig Betroffene erreicht, auch sprechen
die Hilfsangebote in zu geringem Maße Personen im Frühstadium vor
Entwicklung einer Abhängigkeit an. Suchtberatungsstellen sollten also
mehr Aufgaben im Bereich primärer Suchtprävention übernehmen,
beispielsweise in Form von niederschwelligen Angeboten oder auch in
Schulen und Betrieben.
Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen – Ergebnisse einer
repräsentativen Umfrage in psychiatrischen und psychotherapeutischen
Praxen. Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen –
Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage in Suchtberatungsstellen.
Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75; Nr. 1 und 2;
S. 18-25; S. 91-99.
Dr. Michael M. Berner,
Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik.
michael.berner@psyallg.ukl.uni-freiburg.de |