Quelle:
http://www.aerztestellen.de/v4/archiv/artikel.asp?src=heft&id=52441
(1) Ich schwöre und rufe Apollon den Arzt und Asklepios und Hygieia und
Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, daß ich diesen Eid
und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht
erfüllen werde.
Ich werde den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleich meinen Eltern
achten, ihn an meinem Unterhalt teilnehmen lassen, ihm, wenn er in Not
gerät, von dem Meinigen abgeben, seine Nachkommen gleich meinen Brüdern
halten und sie diese Kunst lehren, wenn sie sie zu lernen verlangen,
ohne Entgelt und Vertrag. Und ich werde an Vorschriften, Vorlesungen und
aller übrigen Unterweisung meine Söhne und die meines Lehrers und die
vertraglich verpflichteten und nach der ärztlichen Sitte vereidigten
Schüler teilnehmen lassen, sonst aber niemanden.
(2) Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach
meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie
zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden.
(3) Auch werde ich niemandem ein tödliches Mittel geben, auch nicht,
wenn ich darum gebeten werde, und werde auch niemanden dabei beraten;
auch werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel geben.
(4) Rein und fromm werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.
(5) Ich werde nicht schneiden, sogar Steinleidende nicht, sondern werde
das den Männern überlassen, die dieses Handwerk ausüben.
(6) In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken
hineingehen, frei von jedem bewußten Unrecht und jeder Übeltat,
besonders von jedem geschlechtlichen Mißbrauch an Frauen und Männern,
Freien und Sklaven.
(7) Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im
Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde
ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.
(8) Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden,
in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei
allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und
breche, so geschehe mir das Gegenteil.“
In: Hippokrates: Ausgewählte Schriften. Übersetzt und herausgegeben von
Hans Diller. Mit einem bibliographischen Anhang von Karl-Heinz Leven.
Stuttgart 1994, S. 8–10. – Die Autorschaft des dem Hippokrates von Kos
(ca. 460 – ca. 375 v. Chr.) zugeschriebenen Eids ist bis heute
wissenschaftlich ungeklärt, wahrscheinlich stammt der Text nicht von
ihm. Es handelt sich um den berühmtesten und wirkmächtigsten Text der
abendländischen Medizingeschichte. Eine Interpretation an dieser Stelle
würde den vorgegebenen Rahmen sprengen. Als kompetente knappe Einführung
zur Interpretation und Rezeption des hippokratischen Eides sei
empfohlen: Thomas Rütten: Die Herausbildung der ärztlichen Ethik. Der
Eid des Hippokrates. In: Meilensteine der Medizin. Herausgegeben von
Heinz Schott. Dortmund 1998, S. 57–66.
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