Satirische
Bemerkungen von
Dr. Dr. med. Herbert Mück
Was
Ihren Doktor krank macht
und
Ihre Behandlung erschwert
Sehr
geehrte Patientin,
sehr
geehrter Patient,
vielen
Dank für Ihr Interesse an diesem Thema. Vielleicht lesen Sie diese
Zeilen, weil es Sie irritiert, dass auch Ärzte erkranken können.
Vielleicht befürchten Sie sogar, für ein solches Erkrankungsrisiko
eventuell verantwortlich zu sein.
Eine
neue Krankheit?
Vorweg
möchte ich Sie beruhigen:
Der „Krankheits-Erreger“ ist bereits bekannt und heißt "System
der ärztlichen Bezahlung". Es handelt sich dabei um ein typisches
Zivilisationsleiden, wobei zur Zeit nur KassenärztInnen betroffen sind.
Da wir Mediziner unseren Patienten immer ein gutes Vorbild sein wollen,
werde ich unser Leiden nicht
verheimlichen, sondern in Form dieses Briefes ganz offen darüber zu Ihnen
sprechen.
Interessanterweise
ist nämlich über den "Krankheits-Erreger" in der breiten Öffentlichkeit
erstaunlich wenig bekannt. Wir Ärzte können es uns nur so erklären, dass
die Politiker befürchten, dass sich der Erreger auch auf andere
Berufsgruppen ausbreiten könnte. Und dies würde unter Umständen
katastrophale Folgen haben: Denn der Erreger bewirkt bei den meisten
Befallenen, dass diese bei gleicher oder sinkender Bezahlung immer mehr
arbeiten. Bei vielen Kassenärzten wurden zuletzt durchschnittliche
Arbeitssteigerungen von rund 30 Prozent pro Vierteljahr beobachtet! In
einer Zeit zunehmender Arbeitslosigkeit ist dies natürlich eine
zweischneidige Entwicklung.
Habe
ich Ihre Aufmerksamkeit ausreichend geweckt, um die Dinge jetzt beim
richtigen Namen zu nennen?
Von
"Fleißpunkten" und "Hamsterrädern"
Die
Rede ist von dem Bezahlungssystem für deutsche Kassenärzte, an dem seit
wenigen Jahren solange herumgebastelt wurde, bis es schließlich die
beschriebene, regelrecht "verrücktmachende" Wirkung entfalten
konnte.
Wie
funktioniert nun dieses System?
Kassenärzte
rechnen bekanntlich immer zum Quartalsende mit den Krankenkassen ab. Pro
Quartal stellen die Krankenkassen dafür eine von vornherein festgelegte
unveränderliche Summe zur Verfügung (einige Politiker sprechen vom
festen "Budget", andere vom "Honorardeckel"). Egal,
wie viele Behandlungen im Quartal notwendig werden (z.B. durch eine
unvorhergesehene Grippewelle), die Ärzte erhalten immer die gleiche
Geldsumme, um sie unter sich aufzuteilen.
Wer
nun wie viel aus diesem Topf mit gleichbleibendem Inhalt erhält, hängt
davon ab, wie viele "Fleißpunkte" er oder sie im Quartal
erarbeitet hat (Dieses künstliche Verrechnungsgeld heißt auch tatsächlich
"Punkt").
Beispiel:
Es
sind 1.000 DM unter den 5 Ärzten A, B, C, D und E zu verteilen. Alle sind
gleich fleißig und erarbeiten daher 10.000 Punkte. Dann würde jeder von
ihnen aus dem Topf mit 1.000 DM jeweils 200 DM erhalten. Würden die fünf
Ärzte alle länger arbeiten, um mehr Punkte zu erwirtschaften, wären sie
zwar fleißiger, aber an der insgesamt zu verteilenden Geldmenge von 1.000
DM würde sich nichts ändern.
Folgen
des wachsenden Fleißes wären nur dann zu erwarten, wenn die 5 Ärzte ihr
zusätzliches Arbeitspensum in unterschiedlichem Umfang steigern würden:
Beispiel:
A erarbeitet 15.000 Punkte
B erarbeitet 20.000 Punkte
C erarbeitet 15.000 Punkte
D erarbeitet 20.000 Punkte
E erarbeitet 30.000 Punkte
Nach
diesem "Punkte-Konto" müßten A, B, C, D und E die 1.000 DM
folgendermaßen unter sich aufteilen:
A
erhält 150 DM
statt 200 DM (trotz 50
% Mehrarbeit)
B
erhält 200 DM
weiterhin (trotz 100 % Mehrarbeit)
C
erhält 150 DM
statt 200 DM (trotz 50
% Mehrarbeit)
D
erhält 200 DM
weiterhin (trotz 100 % Mehrarbeit)
E
erhält 300 DM
statt 200 DM (bei 200
% Mehrarbeit)
Staunen
Sie nicht auch? Obwohl alle Ärzte
erheblich mehr arbeiten, bekommt nur ein einziger mehr Geld (dafür
verdreifacht er auch sein Arbeitspensum), zwei erhalten weiterhin das
Gleiche (obwohl sie doppelt so viel arbeiten) und zwei erhalten 25 %
weniger (weil sie nur 50 % mehr arbeiten).
Nun
werden Sie sicherlich verstehen, warum dieses System krank machen muß: Es
kennt nämlich kein Ende (außer dem der körperlichen und seelischen
Erschöpfung bzw. des wirtschaftlichen Bankrotts)! Wie in einem
"Hamsterrad" muss jeder der Mitspieler immer schneller laufen
(also mehr arbeiten), damit seine Temposteigerung beim Punktezuwachs ja
nicht geringer ausfällt als die seiner Mitläufer.
Es
ist schon beinahe tragisch: Zwar kann man als Kassenarzt durch Fleiß
regelrecht "Punkte-Millionär" werden, aber diese Punkte
verlieren genau wie bei der Geldinflation ähnlich schnell
an Wert. Zugegeben: Unser Zahlenbeispiel ist übertrieben. Denn der schon
immer arbeitsreiche Tag eines Kassenarztes lässt sich nicht beliebig verlängern,
insbesondere nicht verdreifachen. Nur lässt erst eine solche Übertreibung
das raffiniert eingebaute Prinzip eindrucksvoll zutage treten. Außerdem
meine ich, daß bei gleichbleibendem Honorar schon eine 30prozentige
Arbeitssteigerung die Grenze des Zumutbaren weit überschritten hat.
Haftung
für jede Grippewelle
Haben
Sie schon einmal davon gehört, dass Glasereibetriebe nach einem
Hagelunwetter die Glaspreise senken, weil sie aufgrund der
Naturkatastrophe rund um die Uhr arbeiten? Mir ist
ein solcher Fall bislang nicht bekannt geworden. In einer Marktwirtschaft
ist vielmehr das Gegenteil der Fall: Die steigende Nachfrage erhöht den
Preis.
Nur
für Kassenärzte gelten andere Regeln. Sie haften für jede
unvorhergesehene Krankheitswelle. Bei ihnen führt die steigende Nachfrage
nach Hilfe zwar auch zu "unverschuldeten" Überstunden, aber
diese sind kostenlos abzuleisten, da es dafür ja keine einzige Mark mehr
gibt. Anders ausgedrückt: Das wirtschaftliche Risiko für die
Erkrankungen aller Kassenpatienten tragen zu einem großen Teil die Kassenärzte!
Also werden Sie bitte möglichst nicht krank!
Kontrolle
statt Medizin
Und
es gibt noch ein weiteres Beispiel dafür, wie "verrückt" die
Verantwortlichkeiten in unserer kassenärztlichen Versorgung mittlerweile
sind: Jeder Kassenarzt wird bei seinen Verordnungen immer mit dem
Durchschnitt aller Kollegen verglichen. Wehe dem, der deutlich davon
abweicht! Er muss mit Überprüfungen und einer teilweisen Rückzahlung
seines Honorars rechnen. So kommt es, dass sich Kassenärzte immer mehr am
"Durchschnitt" und immer weniger am Einzelfall orientieren können.
Unausgesprochen gilt das Motto "Weg von der Hochleistungsmedizin -
hin zur Durchschnittsmedizin". Vermutlich wissen sie auch, dass alle
Kassenärzte haftbar gemacht werden, wenn die Gesamtheit der in
Deutschland verordneten Medikamente einen bestimmten Wert überschreitet.
Also nochmals meine Bitte: Werden Sie möglichst nicht krank.
Leidet
Ihre Behandlung?
Vielleicht
erahnen Sie schon, dass "gehetzte" bzw. rund um die Uhr sowie an
Wochenenden arbeitende Ärzte, die zudem immer mehr kontrollieren müssen,
nicht unbedingt die besseren Ärzte sind. Vielen bleibt nichts anderes übrig,
als vor allem solche Leistungen anzubieten, mit denen sie in kurzer Zeit möglichst
viele Punkte erwirtschaften können, um im beschriebenen Wettlauf um die
beschränkte Geldmenge nicht auf der Strecke zu bleiben. Bei einem solchen
System gehört fast übermenschliche Größe dazu, sich weiterhin nur am
Wohl des Patienten zu orientieren.
Bislang
ist es noch wenig verbreitet, dass Ärzte mit Patienten über das Thema
"Bezahlung" sprechen. Um so mehr freue ich mich, dass Sie den
Brief bis an diese Stelle gelesen haben. Denn wir
Kassenärzte wollen das krankmachende und letztlich allen schadende
Honorierungssystem durch ein menschlicheres ersetzen. Und dazu brauchen
wir Ihre Unterstützung in Form Ihrer Meinung. Bitte beantworten Sie
deshalb die Fragen des folgenden Abschnitts und geben Sie mir den ausgefüllten
Teil wieder zurück.
Meine
Vorschläge
1.
Alle Kassenärzte konzentrieren sich wieder auf ihre angestammten
Aufgaben (Behandlung, Beratung, Betreuung).
2.
Kassenärzte entscheiden nur noch, ob eine bestimmte medizinische
Maßnahme erforderlich ist oder nicht. Ob sie bezahlt wird, handelt der
Patient mit seiner Kasse und nicht mit seinem Arzt aus.
3.
Jede ärztliche Leistung erhält ihren festen Preis (unabhängig
davon, wie krank die Bevölkerung gerade ist).
4.
Kassenärzte stellen dem Patienten ihre Leistungen schriftlich in
Rechnung. Die Patienten tragen dafür Sorge, dass diese Rechnungen auch
beglichen werden.
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