Zur aktuellen Lage der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung in
Nordrhein stellt der Vorstand der Ärztekammer Nordrhein fest:
Der
Vorstand sieht die Qualität der ambulanten ärztlichen Versorgung akut
gefährdet. Die chronische Unterfinanzierung hat sich durch die Einführung
der Regelleistungsvolumen mit der Honorarreform 2009 dramatisch
verschärft. Die völlig unzureichende Honorierung originär ärztlicher
Tätigkeiten vernichtet Existenzen − von der Allgemeinmedizin bis hin zur
Urologie.
Vor
allem Nordrhein-Westfalen gehört zu den Verlierern der Honorarreform.
Praxisinsolvenzen in NRW aber wären ein verheerendes Signal für die
Versorgung kranker Menschen in unserer älter werdenden Gesellschaft wie
auch für den ärztlichen Nachwuchs. Schon jetzt spüren wir die Folgen des
beginnenden Ärztemangels, weil junge Kolleginnen und Kollegen sich von dem
zerstörerischen Honorarsystem abgeschreckt fühlen. Folgerichtig suchen sie
zunehmend Tätigkeiten fern der Patientenversorgung oder im Ausland. Und
auch ältere Ärztinnen und Ärzte resignieren zunehmend vor diesem absurden
System und gehen schnellstmöglich in den Ruhestand, andere reduzieren den
Umfang ihrer ärztlichen Tätigkeit.
Bürger und Betriebe in NRW zahlen − das Geld fließt ab
Dabei
sind gerade in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, die
medizinischen Herausforderungen offensichtlich. Dass nun aber gerade hier
trotz eines bundeseinheitlichen Beitragssatzes zur Gesetzlichen
Krankenversicherung den Vertragsärztinnen und Vertragsärzten weniger Geld
für die Patientenversorgung zur Verfügung gestellt wird als den
Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern, ist nicht zu
tolerieren; dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass die in NRW
aufgebrachten Krankenkassenbeiträge zu einem erheblichen Teil in andere
Bundesländer abfließen.
Nur
mit einer leistungsgerechten Honorierung der Regelversorgung wird es auch
in Zukunft noch eine flächendeckende haus- und fachärztliche Versorgung
der Bevölkerung auf hohem Qualitätsniveau geben können. Die Tätigkeit als
selbständiger, niedergelassener Vertragsarzt wird nur dann wieder
attraktiver werden, wenn die Kolleginnen und Kollegen mit den ärztlichen
Kern-Arbeiten ein angemessenes Einkommen erzielen können. Die ruinös
pauschalierte Vergütung aber, wie sie unsere Kolleginnen und Kollegen im
Augenblick erleben, bestraft Leistung und demotiviert auf Dauer.
Eine
falsche Gesundheitspolitik hat dazu geführt, dass der Anteil der
ambulanten ärztlichen Versorgung an den Leistungsausgaben der gesetzlichen
Krankenkassen im vergangenen Jahrzehnt von 17,9 Prozent (1997) um 16
Prozent auf 15 Prozent (2007) gefallen ist. Das heißt: Nur noch 15 Euro
von 100 Euro Kassenbeitrag kommen in der ambulanten ärztlichen Versorgung
an − hier werden über 90 Prozent der Behandlungsfälle versorgt −, während
gleichzeitig immer mehr ältere und mehrfach schwer erkrankte Menschen mit
hochwertigen Leistungen − zum Beispiel Magen-/Darmspiegelungen,
Computertomographien, Magnetresonanztomographien, Chemotherapien,
Heimbehandlungen oder ambulanten Operationen − versorgt werden.
Das
derzeitige Leistungsniveau wird noch aufrechterhalten, weil die
Kolleginnen und Kollegen bis zur Selbstausbeutung arbeiten. Für die
Patienten erbrachte notwendige Leistungen werden in erheblichem Umfang
nicht vergütet. Dessen ungeachtet leidet die Versorgung unter einem
schleichenden Prozess der verdeckten Rationierung, der durch die verfehlte
Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre immer stärker beschleunigt wird.
Ärztinnen und Ärzte geraten dadurch zunehmend in eine unwürdige und die
Patienten in eine untragbare Situation. Zu Recht empfinden die Kolleginnen
und Kollegen eine durch unbegrenzte politische Leistungsversprechen
einerseits und streng begrenzte Finanzmittel andererseits geprägte
Situation als Ethikfalle. Politische Versuche, die Lösung dieses Problems
bei den Ärztinnen und Ärzten abzuladen, zerstören auf Dauer das Vertrauen
im Patient-Arzt-Verhältnis. Der Vorstand unterstützt deshalb öffentliche
Proteste der Kolleginnen und Kollegen, die für die Zukunft einer guten
ambulanten ärztlichen Versorgung kämpfen und gleichzeitig auf die
Bedrohung ihrer Existenz hinweisen. |