Vor etwa 7 Jahren bekam ich plötzlich
einen Pfeifton im rechten Ohr, den ich den ganzen Tag lang nicht mehr
loswurde. Ich bemerkte auch, dass ich auf einmal Frequenzen im
Fernsehen oder bei elektrischen Geräten anders wahrnahm als zuvor. Ich
ging am nächsten Tag zum HNO-Arzt, der einen Hörsturz mit Tinnitus
diagnostizierte und mir Infusionen verabreichte, die aber keinerlei
Veränderung brachten. Es vergingen zwei Wochen. Inzwischen hatte ich
keine Nacht mehr geschlafen und wurde immer panischer. Ich sehnte mich
so nach Stille im Ohr. Die Stille unserer Wohnung in der Nacht dagegen
war kaum zu ertragen, da mir der Tinnitus noch viel lauter vorkam und
nicht von anderen Geräuschen in den Hintergrund gedrängt wurde.
Teilweise lief ich mit dem Finger im Ohr herum, um herauszufinden, ob
sich mein lästiger Begleiter irgendwie verändert hatte, um daraus
Hoffnung zu schöpfen, wenn er denn leiser geworden wäre, dass ich ihn
auch irgendwann wieder loswerden würde. Natürlich nutzte ich auch die
Möglichkeiten, mich über Tinnitus im Internet schlau zu machen. Dort
waren die schrecklichsten Einträge zu lesen. Von Leuten, die ihr Gehör
vollends verloren bis hin zu Leuten, die sich deswegen umbrachten,
weil sie dieses Geräusch nicht mehr aushielten. Auf den Seiten der
Tinnitus-Liga erhoffte ich mir Hilfe, aber dort war nur
Niederschmetterndes zu vernehmen. Hast Du einmal mehrere Monate
Tinnitus, wirst Du ihn nie wieder los - das war der Tenor. Das
bewusste Hinhören zum Geräusch würde sich mit der Zeit ins Gehirn
„brennen" und damit chronisch werden. Mit diesen Aussichten wurde ich
noch viel panischer und merkte, dass dadurch auch mein Tinnitus
stärker wurde.
Von einer Freundin erhielt ich den Tipp,
doch mal zu einem anderen HNO-Arzt zu gehen, der auch gleich mal – im
Gegensatz zum vorigen Arzt - alle organischen Dinge untersuchte. Da
ein Tinnitus ja auch durch Fehlstellungen der Halswirbelsäule oder
auch durch Kieferprobleme (Zähneknirschen im Schlaf) entstehen kann,
ließ ich alle diese Dinge untersuchen. Nach zahlreichen Arztbesuchen
wurde aber klar, dass es keine organische Ursache geben konnte und für
meinen HNO blieb es ein Rätsel, wieso ich Tinnitus hatte. Beim
nächsten Besuch fragte er mich dann, ob ich in letzter Zeit extrem
viel Stress um die Ohren hatte. Viele Dinge seien ja nicht physisch
bedingt, sondern auch psychisch, seelisch. Er hätte eine Kollegin, die
sich auf Tinnitus spezialisiert habe und nach jahrelangem Praktizieren
auf einer HNO-Abteilung im Krankenhaus wohl zu dem Schluss gekommen
sei, dass viele Tinnitusfälle psychisch gelagert seien. Ich machte
sofort einen Termin bei ihr. Eigentlich hatte ich in der letzten Zeit
auch nicht mehr um die Ohren als vorher, allerdings hatten sich
familiär viele Dinge in den letzten 1-2 Jahren getan, die, wie sich im
Nachhinein herausstellen sollte, mich doch noch sehr belasteten.
Meine Eltern hatten sich nach dem Umzug in
ein neu gebautes Mehrfamilienhaus, in dem mein Mann und ich zusammen
mit meinem Bruder und seiner Familie lebten, getrennt, meine Mutter
hatte darauf mehrere Suizidversuche. Mein Vater kam nach ca. einem
Dreivierteljahr zu meiner Mutter zurück. Für mich aber war der
Umstand, dass mein Vater wieder da war, eine Art Beruhigung. Für mich
schien fast alles wieder im Lot. Ich hatte mich in der Zeit des
Klinikaufenthaltes meiner Mutter um meine Mutter und das ganze Haus
kümmern müssen, was ich ja jetzt nicht mehr tun musste. Allmählich kam
mein normales Leben wieder zurück.
Bis eben zu jenem Tinnitus.
Bei mir ist sehr oft so, dass ich mir
Krankheiten in Stressphasen einfach nicht gönne, ich mir eine Art
Vorschuss bei meinem Körper hole. Sobald die Stressphase dann vorüber
ist, meistens am Wochenende, erwischt mich dann beispielsweise eine
starke Erkältung. Dies würde auch erklären, warum ich den Tinnitus
nicht in der Phase der hohen psychischen Belastung (Trennung der
Eltern, Suizidversuche meiner Mutter) bekommen habe, sondern erst, als
vermeintlich "wieder alles in Ordnung" war. Mir wurde in den
Gesprächen mit der Psychotherapeutin klar, dass ich noch Glück gehabt
hatte. Mich hätte auch ein Herzinfarkt oder eine andere schwere
Krankheit als Ausdruck meiner Seelenlage ereilen können. Dass ich
ausgerechnet ein lästiges, permanenten Pfeifen im Ohr hatte, war
Ausdruck meiner Seele, die mir damit zu verstehen gab, dass ich viel
zu viel um die Ohren gehabt hatte.
Ich begann also, zusammen mit der
Therapeutin, meine Beziehung zu meinen Eltern und was in der
Vergangenheit passiert war, aufzuarbeiten. Sie riet mir dazu, auch
wieder Sport zu treiben, was ich auch tat. Ich ging fortan regelmäßig
joggen und ernährte mich sehr gesund.
Ich erfuhr
auch, dass ich gegen dieses „Einbrennen“ des Tinnitus ins Nervensystem
etwas tun konnte. Ich musste von diesem bewussten Hinhören wegkommen.
Dazu ging ich mit einem CD-Player abends ins Bett, worüber ich
wunderbar einschlafen konnte. Meinen Tinnitus hörte ich dann einfach
nicht mehr, da die leise Entspannungsmusik ihn übertönte, die mich
auch wunderbar entspannen ließ. Noch dazu lenkte ich mich tagsüber mit
Arbeit und schönen Freizeitaktivitäten ab.
Ich bemerkte
in den darauf folgenden Monaten, wie sich mein Gehör wieder
verbesserte. Die Frequenzverschiebung verschwand zusehends und das
Geräusch wurde immer leiser. Nach ca. einem Dreivierteljahr (laut
Tinnitus-Liga hätte es da ja schon längst chronisch sein müssen!!!)
hatte ich das Geräusch nur noch stärker, wenn ich mal wieder Stress
hatte oder wenn ich auch mal ein Gläschen Wein getrunken hatte, was
aber nach dem Schlafen wieder verschwand. Nach ca. 1,5 Jahren war er
völlig verschwunden.
Wenn ich
heutzutage hin und wieder mal ein Pfeifen höre, was ein paar Sekunden
anhält, erschrecke ich zwar immer noch und denke "hoffentlich bleibt
der Ton nicht“ und versuche mich sofort abzulenken, aber bis jetzt ist
er immer wieder verschwunden. Allerdings nehme ich dieses Ereignis
jedes mal zum Anlass zu hinterfragen, ob ich in letzter Zeit nicht zu
viel Stress hatte, ich betrachte diese Art des Geräusches als meinen
persönlichen „Mahner“, meine momentane Situation zu hinterfragen, mich
nicht zu übernehmen und auch mal wieder zu entspannen.
Allen, die
mit Tinnitus zu tun haben, kann ich eine psychotherapeutische
Behandlung nur empfehlen. Solange organisch nichts feststellbar ist,
würde ich immer auch mal meine Seele hinterfragen. Auf keinen Fall
würde ich mich von irgendwelchen Foren oder Scharlatanen, die ihre
Wundermittelchen verkaufen wollen, verrückt machen lassen. Ein auch
Monate bestehender Tinnitus muss nicht bleiben! Eine gesunde Seele in
Kombination mit Sport war bei mir jedenfalls das allerbeste
Heilmittel.