Die folgende Geschichte
verdanke ich Martin Dornes, der Sie auf einem Kongress vorgetragen hat.
Sie lehrt, dass es Erinnerungen auf einer tiefen Ebene gibt (vielleicht in
Form eines Körper- oder Verhaltensgedächtnisses). Diese sind unserem
Bewusstsein nicht zugänglich, aber wir können sie „durch Handeln in Szene
setzen“. Außerdem sieht man, wie Phänomene von Generation zu Generation
weitergereicht werden können, ohne dass es die Beteiligten merken.
Zugleich wird verständlich, warum sich nicht alle „seltsamem
Verhaltensweisen“ eines Menschen allein aus seiner eigenen
Lebensgeschichte erschließen lassen. Oft muss man in den voran gegangenen
Generationen forschen, um das entsprechende Rätsel zu lösen.
Ein berühmter Kinderforscher hatte die Chance,
zusammen mit seinen Schülern ein Mädchen, die kleine „Monika“, und deren
Nachkommen 40 Jahre lang zu beobachten. Folgendes fiel den
Wissenschaftlern unter anderem auf:
Die kleine Monika wurde
mit einer Behinderung an der Speiseröhre geboren. Deshalb konnte sie nicht
in der gleichen Position wie andere Kinder beim Stillen gehalten werden.
Während Babys beim Stillen meist im Arm der Mutter ruhen und sich dabei
eng an den Körper der Mutter schmiegen, musste Monikas Mutter ihr Kind
beim Füttern auf Abstand halten, um diesem die Nahrung mit einer Sonde
verabreichen zu können. Nach sechs Monaten war Monika alt genug, um sich
einer Operation an der Speiseröhre zu unterziehen. Der Eingriff war
erfolgreich und fortan konnte Monika wie die meisten anderen Kinder dieser
Welt beim Stillen gehalten werden.
Als die kleine Monika ca. 3 Jahre alt war,
fiel den Forschern auf, dass sie sich beim Spiel mit Puppen seltsam
verhielt: Immer wenn sie in Mutter-Kind-Rollen schlüpfte, hielt sie ihre
Baby-Puppe so, wie sie selbst von ihrer Mutter während der ersten sechs
Lebensmonate gehalten worden war. Dies erstaunte die Forscher, da sich im
allgemeinen kein Mensch an die ersten Monate seines Lebens erinnern kann.
Zu einer weiteren Überraschung kam es, als
Monika mit ca. 20 Jahren selbst Mutter wurde und ebenfalls eine Tochter
zur Welt brachte. Diese war glücklicherweise völlig gesund. Trotzdem
hielt Monika ihr gesundes Kind beim Füttern in der gleichen Art und Weise,
wie sie selbst als Baby (aufgrund ihrer körperlichen Behinderung!)
gehalten worden war.
Die Kette der Überraschungen gipfelte darin,
dass Monikas völlig gesunde Tochter scheinbar ohne Grund die Mutter
nachahmte: Auch sie benutzte als kleines Kind beim Puppenspiel die
seltsame Füttertechnik, obwohl diese in ihrem Fall erst recht keinerlei
Sinn machte. Die weitere Entwicklung lässt sich erahnen. Als Monikas
Tochter später ebenfalls Mutter wurde, verfuhr sie mit ihrem eigenen
Kind (also Monikas Enkelin) in gleicher Weise, wie es die Großmutter mit
Monika eingeführt hatte. Über wie viele Generationen das seltsame
Verhalten insgesamt weitergegeben wurde bzw. noch immer weitergegeben
wird, ist leider unbekannt.
Fragen Sie sich anhand dieser Geschichte, ob
es nicht auch bei Ihnen „seltsame Verhaltensweisen“ gibt, mit denen Sie
schlecht zurecht kommen. Nutzen Sie die Gelegenheit, Ahnenforschung zu
betreiben, wenn Sie für das Verhalten keine Ursachen in der eigenen
Lebensgeschichte entdecken. Befragen Sie Ihre Eltern und Großeltern
danach, ob es ähnliche Phänomene in der Familiengeschichte schon einmal
gegeben hat. Sollten Sie fündig werden, kann dies sehr entlastend sein:
Denn für ein entsprechendes „Erbe“ können Sie nicht verantwortlich gemacht
werden. Dagegen gehört es zu Ihrer Verantwortung zu entscheiden, inwieweit
Sie das betreffende Verhalten an Ihre Kinder weitergeben wollen.
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