Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Sexualität von und mit Demenz-Kranken

von Dr. Dr. med. Herbert Mück, Köln
(siehe auch die Beiträge "Eheliche Bedürfnisse und Demenz in Heimen"
und für einen aktuellen Überblick insbesondere "Sexualität und Demenz (2013) sowie das dazugehörige Hörbuch über Sexualität und Demenz

   "Mit der Krankheit stirbt der Geist", lautet eine häufig benutzte Redewendung zur Charakterisierung der Alzheimer-Demenz. Was nicht immer so rasch schwindet, sind die sexuellen Bedürfnisse und zwar sowohl beim Kranken als auch beim pflegenden und meist ebenfalls älteren Ehepartner. Dies wird jedoch leicht vergessen, da Fehlvorstellungen von der Alterssexualität immer noch weit verbreitet sind. Außerdem dürfte vielen Menschen die Vorstellung schwer fallen, dass Sexualität selbst in der Beziehung zu einem dementen Ehepartner noch eine wichtige Rolle spielen kann. Neben solchen Vorurteilen (alte Menschen als asexuelle Wesen) sind noch weitere Gründe denkbar, warum über das Sexualleben dementer Menschen so wenig bekannt ist. Erwähnt seien nur das einseitige Interesse an den kognitiven Aspekten der Demenz, die Zurückhaltung des medizinischen Personals gegenüber sexuellen Themen und brisante ethische Probleme (Stichwort: Sexualverkehr im Pflegeheim).

   Auch die Partner dementer Patienten räumen nicht gerne ein, dass sie weiterhin sexuelle Wünsche an den Kranken haben. Andere könnten dann ja denken, dass sie egoistische und schlechte Betreuer sind. Solche Gedanken erzeugen schnell Schuldgefühle (dem Kranken nicht gerecht zu werden oder ihn gar zu missbrauchen) und die Sorge zu selbstsüchtig zu sein. Wie die Umwelt haben offenbar auch viele Partner von Demenz-Kranken die Vorstellung, Sexualität habe im Alter bzw. in der Pflegebeziehung nichts mehr zu suchen. Die Situation wird noch komplizierter, wenn die gesunden Partner außereheliche Beziehungen eingehen oder sie mit paranoiden Untreue-Ängsten des dementen Ehepartners konfrontiert werden.

Fallbeispiel

   Litz und Mitarbeiter berichten von einem 72 Jahre alten Mann, der bereits 6 Jahre lang seine an einer Alzheimer-Demenz erkrankte Ehefrau betreute und in dieser Zeit auch sexuelle Kontakte mit ihr pflegte. Als sich Erektionsstörungen einstellten und auch eine Gesprächsgruppe ihm nicht weiterhalf, begab er sich in Einzelbehandlung. Im Verlauf der Therapie stellte sich heraus, dass der Ehemann unter Schuldgefühlen litt, weil er glaubte, seine eigenen Bedürfnisse zu stark zu bewerten und möglicherweise seine kranke Frau als Objekt zu missbrauchen. Dem stand jedoch entgegen, dass die demente Ehefrau den sexuellen Verkehr offenbar sehr genoss und häufig selbst initiativ wurde, indem sie den Ehemann nonverbal zu sexuellem Handeln veranlasste. Dies wiederum rief beim Ehemann die Sorge hervor, seine Frau könne eines Tages auch in der Öffentlichkeit sexuelle Verhaltensweisen zeigen. Die Erektionsstörungen traten meistens in der Mitte des Sexualspiels auf. Sie beruhten vermutlich darauf, dass sich der Ehemann völlig auf die Anleitung und Betreuung seiner sexuell unbeholfenen Frau konzentrierte, worunter dann seine eigene sexuelle Erregung litt.

   Verschiedene therapeutische Interventionen halfen dem Ehemann weiter. So erfuhr er, dass die Fortsetzung sexueller Kontakte mit seiner Ehefrau normal und der Wunsch nach Behandlung seiner Erektionsstörung richtig seien. Eine neue Deutung ("Reframing") der sexuellen Botschaften seiner Frau erleichterte es ihm, diese zu akzeptieren. Er lernte, diese Signale als eine der spärlichen Möglichkeiten zu schätzen, die seiner Frau verblieben waren, um ihre Gefühle für ihn auszudrücken. Zufriedenheit mit den vorgegebenen beschränkten Möglichkeiten sexuellen Verkehrs und Freude an nicht genitalen Sexualbeziehungen waren weitere wichtige Behandlungsziele.

Plädoyer für mehr Offenheit, Toleranz und Interesse

   Vorerst lässt sich über die wichtigsten sexuellen Probleme zwischen Demenz-Kranken und ihren Partnern nur spekulieren. So mag es häufig vorkommen, dass ein ehemals sexuell aktiver Mensch im Rahmen einer beginnenden Demenz jegliche Freude an Sexualität verliert. Wenn sein Ehepartner selbst weiterhin sexuell interessiert ist und gerne eine außereheliche Beziehung aufnehmen möchte, werden sich bei dem Gesunden oft Schuldgefühle einstellen. Aber auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Der Patient entwickelt aufgrund einer Demenz besonders starke sexuelle Bedürfnisse, die jedoch beim Partner auf Ablehnung stoßen. Überhaupt mag es häufig vorkommen, dass sich der gesunde Partner körperlich immer weniger zu dem Kranken hingezogen fühlt. Mögliche Gründe sind eine hygienische Verwahrlosung des Patienten, eigenartige sexuelle Verhaltensweisen, veränderte Rollen ("Pfleger" statt "Partner") oder einfach das Gefühl, es nicht mehr mit dem Menschen zu tun zu haben, den man einmal geheiratet hat.

   Selbst wenn Demenz-Kranker und gesunder Partner gewillt sind, weiterhin sexuell miteinander zu verkehren, stellen sich ihnen mitunter erhebliche Hürden in den Weg. So kann es an dem notwendigen Wissen mangeln, wie man die sexuelle Beziehung den Besonderheiten der Erkrankung anpaßt. Bei einer Heimunterbringung des Kranken stellt sich die Frage, ob die Einrichtung überhaupt gewillt ist, die Privatsphäre für Intimkontakte bereitzustellen.

   Schwierigkeiten wird es häufig auch dann geben, wenn zwei demente Heimbewohner eine Intimbeziehung aufnehmen möchten. Nicht jedes Heim toleriert dies. Besonders kompliziert wird es, wenn der gesunde Ehepartner des "fremdgehenden" Patienten noch lebt und diesen regelmäßig besucht.

   Die Problemfülle im Zusammenhang mit dem Sexualleben dementer Patienten läßt sich nur erahnen. Schwierigkeiten bereiten auch sozial unangemessene Verhaltensweisen, wie öffentliche Selbstbefriedigung, sexuelle Handgreiflichkeiten, sexualisierte Ausdrucksweisen, falsche Behauptungen über das Sexualverhalten anderer und die Möglichkeit sexuellen Missbrauchs durch Betreuer.

   Wer glaubt, die Situation verbessere sich allein schon dadurch, dass Pflegeheime mehr Möglichkeiten zu heterosexuellen Kontakten schaffen, irrt vermutlich. Ein solcher Ansatz verspricht nämlich nicht nur Vorteile (etwa Verhaltensverbesserungen, vermehrte Selbstachtung und gesteigerte Zufriedenheit). Er kann auch zusätzliche Probleme auslösen, wie Eifersucht und unangemessenes Sexualverhalten bei Dritten.

   Dagegen spricht alles dafür, ausdrücklich und öffentlich anzuerkennen, dass trotz des Beginns einer Demenz sowohl beim Patienten als auch bei seinem Ehepartner weiterhin sexuelle Gefühle und Bedürfnisse bestehen. Sollte sich diese Erkenntnis und das erforderliche fachliche Wissen verbreiten, werden sich die Betroffenen nicht länger scheuen, ihre Probleme offen mit dem Arzt oder in Angehörigen-Gruppen anzusprechen.

Literatur: P. M. Haddad, S. M. Benbow: Sexual problems associated with dementia: Part 1. Problems and their consequences. Int. J. Geriatric Psychiatry 8 (1993), 547-551; B. T. Litz et al.: Sexual concerns of male spouses of female Alzheimer's disease patients. Gerontologist 30: 113-116 (1990)

Dieser Text erschien erstmals 1995 im Demenz-Spektrum ( www.demenz-spektrum.de  )