Praxis für Psychosomatische Medizin u. Psychotherapie, Coaching, Mediation u. Prävention
Dr. Dr. med. Herbert Mück (51061 Köln)

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Der Fremde an sich ist seltsam!
von Barbara Mück, MA, veröffentlicht in TopInfo 03/05


„Klingonen“ werden die Bewohner des Balkans von manchem Bundeswehr-Soldaten genannt, dem die ein oder andere Eigenart der „Zielgruppe“ etwas komisch erscheint. Wir beobachten eine Gesellschaft aus unserer Sicht und beurteilen sie aus derselben. Dinge, die uns fremd sind, schätzen wir im besten Falle als seltsam, im schlimmsten Falle als verachtens- oder bekämpfenswert ein.

Da kann es zur Erhellung der Lage interessant sein, die eigene Gesellschaft einmal aus dem Blickwinkel anderer zu sehen. Noch Anfang der achtziger Jahre galt Deutschland als ethnologisch wenig erforschtes Gebiet. Deutsche Ethnologen hatten seit der Kolonialzeit die Welt bereist und das Leben der Menschen in fremden Ländern beschrieben. Deutschland selbst erlebte erst seit der Wiedervereinigung einen Boom ausländischer Ethnologen, die hierher kamen, um Feldforschung zu betreiben. Feldforschung ist die vornehmliche Methode der Ethnologie: Der Wissenschaftler lebt mitten unter den Menschen, über die er forscht und nimmt aktiv an ihrem Leben teil. Die Ethnologie nennt das „teilnehmende Beobachtung“. Um uns zu helfen, den „Klingonen in uns“ zu entdecken, will ich im Folgenden ethnologische Forschungen in Deutschland vorstellen, die vor einigen Jahren auf einer Konferenz vorgestellt wurden, an der ich teilnahm. Die ausführlichen Beiträge können in der Veröffentlichung zur Tagung nachgelesen werden.

Der kameruner Ethnologe Flavien Ndonko forschte über die Beziehung der Deutschen zu ihren Hunden. Aufgewachsen in einem Land, in dem Hunde im Hof oder auf der Straße leben und sich von Essensresten der Menschen und von Müll ernähren, war er zutiefst geschockt, als er in Deutschland zum ersten Mal sah, wie sich eine Frau von einem Hund küssen (abschlecken) ließ. Eine Tatsache, die ihn ebenso sehr belustigte war, dass die Menschen Tütchen und kleine Feger kaufen, um den Kot ihrer Hunde anständig zu beseitigen. Ndonko kommt zu dem Schluss, dass der Hund in Deutschland nicht einfach, wie in anderen Ländern, nur ein Hund ist, sondern „Freund, Ehemann, Ehefrau, Elternteil oder Kind“. Er schließt das aus seiner Beobachtung, dass Deutsche ihre Hunde wie Menschen behandeln: Sie kaufen dem Hund besondere Nahrung, bringen ihn zum Friseur, wo er teilweise auch mit Schleifchen, Kettchen oder Haarspangen geschmückt wird, sie zahlen Steuern für den Hund, besorgen ihm einen internationalen Impfpass, geben mit seiner besonderen Abstammung an und was für ihn die Höhe des Unvorstellbaren ist: Er bekommt ein Grab, auf dem dann Dinge stehen wie „Hier ruht mein einziger wahrer Freund Teddy“ oder „Meine Liebe“.

Die Ethnologin Lisa Hoecklin aus Oxford untersuchte die Erwartungen an ein sozial "angemessenes" Verhalten von Müttern in einer bayerischen Kleinstadt. Frau Hoecklin, die mit ihrer kleinen Tochter nach Bayern gezogen war, erlebte in vielen Bereichen des Mutterseins starke soziale Kontrolle von ihren Nachbarinnen. Was die Einwohner von einer "guten Mutter" und Hausfrau erwarteten, wurde ihr schnell klar anhand von nachbarlichen Bemerkungen wie: "Stört es Sie nicht, wenn die Fenster schmutzig sind?". Wollte man in den Augen der anderen eine gute Mutter sein, schien es auch sehr wichtig, alles auf „natürlichem“ Wege zu tun. Natürlich zu essen, die Kinder mit natürlichem Spielzeug spielen zu lassen usw. Vor allem bei der Geburtsvorbereitung musste alles ganz natürlich sein. Es wurde dabei so viel von „Natürlichkeit“ gesprochen", erlebte die Forscherin, als sie selbst ein Kind in Bayern bekam, "und nirgendwo erlebte ich einen solchen Einsatz von High Tec, um dieses Ziel zu erreichen." „Natürlichkeit“ scheint ein Muss für das erfolgreiche Aufziehen von Kindern zu sein.

Ein weiteres Beispiel handelt vom Niederlassungsleiter einer japanischen Firma in Deutschland. Um alle 180 Mitarbeiter schnell kennen zu lernen, geht er mittags in die Kantine, grüßt und scherzt mit jedem - egal, ob Angestellter oder Fließbandarbeiter. Seinem deutschen Stellvertreter gefällt dieses egalitäre Verhalten nicht. Er rät ihm, sich nur mit Seinesgleichen zu umgeben. Dem Japaner erscheint dies sehr seltsam, denn in Japan definiert sich der Berufstätige nicht über seine Ausbildung, seine Stellung oder sein Spezialgebiet, sondern über seine Firma. Die Firma sorgt für die berufliche Bildung und Weiterbildung. Dort ist Job-Rotation mit und ohne Aufstieg die Regel. Auch findet der japanische Manager es höchst seltsam, dass er nicht den Mitarbeiter, der „nur“ eine Technikerschule besucht hat, zum Chefingenieur ernennen soll, obwohl er ihn für den Fähigsten hält. Es wird im dringend angeraten, einen „Studierten“ für den Posten einzusetzen. In Deutschland wird also die Leistung von Mitarbeitern und das soziale Verhalten zwischen der Belegschaft einer Firma ganz anders beurteilt als in Japan.

Man könnte noch viele Beispiele nennen, die für Ausländer seltsam erscheinen, wenn sie uns Deutschen kennen lernen: "Ich bin jedes Mal wieder erstaunt, wie viel Bier und Schnaps getrunken wird", berichtete etwa die 17-jährige Italienerin Claudia Parisi im Jugendmagazin "jetzt" der "Süddeutsche Zeitung" über hiesige Erfahrungen. "Sie müssen Alkohol trinken, um in Stimmung zu kommen, um locker zu werden, sich miteinander zu unterhalten und Spaß zu haben". Dem gleichaltrigen Russen Ilja Krylov fällt unter jungen Deutschen auf: "... trotz ihrer Weltoffenheit beschäftigen sie sich komischerweise mehr mit Gegenständen als mit anderen Menschen ... die sitzen meistens mit Stereoanlagen und Computern zu Hause". Ebenso erstaunlich erscheint Besuchern unser Umgang mit Alten, das Töten ungeborener Kinder, das wir „Abtreibung“ nennen, der Kult ums Auto usw.

Die genannten Beispiele sollen reichen, um zu zeigen, dass nicht nur die anderen seltsam sind, sondern immer der jeweilige Fremde. Alle Menschen sind Ausländer – fast überall. Die Klingonen auf dem Balkan sind übrigens nicht die Einheimischen ; die Klingonen auf dem Balkan sind wir!